Nach weniger als zwei Jahren hat der Gesetzgeber eine kurze Phase großer Freiheiten beim Delisting beendet. Mit der jüngst verabschiedeten Änderung des Börsengesetzes wurden die Anforderungen an den Rückzug von der Börse neu geregelt. Möglich ist ein Delisting jetzt nur noch, wenn zugleich ein Erwerbsangebot nach dem Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG) vorgelegt wird und damit jeder Aktionär die Möglichkeit hat, seine Aktien noch vor dem Delisting zu verkaufen.
Die gesetzliche Neuregelung gilt rückwirkend schon für Anträge auf Widerruf der Börsenzulassung von Aktien, die nach dem 07.09.2015 gestellt worden sind. Von diesem Zeitpunkt an war die gesetzlich vorgesehene Angebotspflicht konkret absehbar. An dieser Rückwirkung ist insofern nichts zu kritisieren: Wenn der Gesetzgeber sich schon für eine solche Angebotspflicht entscheidet, dann ist es auch sinnvoll, nicht jenen Gesellschaften ein Schlupfloch zu lassen, die noch ganz schnell vor dem förmlichen Inkrafttreten der Gesetzesänderung ihr Delisting auf den Weg bringen wollen.
Delisting als kapitalmarktrechtlicher Vorgang
Allgemein begrüßenswert an der Neuregelung ist sicher, dass für ein Delisting kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich ist. Zutreffend wird ein Delisting vielmehr als kapitalmarktrechtlicher Vorgang (und nicht als gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahme) eingeordnet, sodass auch eine kapitalmarktrechtliche Regulierung dieses Vorgangs konsequent ist. In diese Linie fügt sich eine am Börsenkurs orientierte Abfindung.
Manchen geht indessen der Anlegerschutz bei der jetzt verabschiedeten Lösung nicht weit genug. An sich müsste man eher fragen, womit eine Abfindungspflicht überhaupt zu rechtfertigen ist. Denn eigentlich ist es das normale Risiko jedes Anlegers, dass sich –zumeist durch Herausbildung eines dominanten Großaktionärs – die Verhältnisse einer Gesellschaft so ändern, dass eine Börsennotierung nicht mehr sinnvoll ist. Es wird stattdessen aber offenbar vielfach für legitim gehalten, wenn Kleinaktionäre beim Börsenrückzug noch einmal ein richtig gutes Geschäft machen können – und das, obgleich nach der Rechtsprechung des BVerfG feststeht, dass Eigentumspositionen durch ein Delisting gerade nicht berührt sind. Umgekehrt wird dem Großaktionär gerne einmal unterstellt, er manipuliere mit finsteren Machenschaften den Börsenkurs nach unten, um verbliebene Streubesitz-Aktien möglichst billig einsammeln zu können. Dieses Verständnis von Anlegerschutz scheint doch arg holzschnittartig.
Ausnahmen von der Maßgeblichkeit des durchschnittlichen Börsenkurs der letzten sechs Monate
Der Gesetzgeber hat solchen Überlegungen mit Recht im Wesentlichen widerstanden. Allerdings ist es nach den Neuregelungen so, dass ein Angebot zum durchschnittlichen Börsenkurs der letzten sechs Monate nicht mehr ausreicht, wenn im maßgeblichen Zeitraum von der Gesellschaft Insiderinformationen nicht oder nicht richtig veröffentlicht wurden oder wenn eine Marktmanipulation stattgefunden hat; in einem solchen Fall können die Aktionäre zivilrechtlich (aber nicht im Spruchverfahren) eine Abfindung zum Unternehmenswert verlangen. Hier dürfte es in Zukunft spannend werden: Für das Delisting müssen sich die Emittentin (deren Vorstand den Widerrufsantrag stellen muss) und in der Regel ein Großaktionär (der das Erwerbsangebot unterbreiten muss) im Vorfeld eng abstimmen. Bei diesem Abstimmungsprozess die insiderrechtlichen Vorschriften zu beachten, wird eine echte Herausforderung sein.
Hauptversammlung im Anschluss an Delisting
Gesellschaften können sich auf der Hauptversammlung, die der Entscheidung zum Delisting nachfolgt, also schon einmal auf inquisitorische Befragungen gefasst machen, wer wann mit dem abfindungsbereiten Großaktionär gesprochen hat, welche Entscheidungen wann von wem getroffen wurden und auf welche Weise die Ad-hoc-Publizität beachtet wurde. Diese Fragen werden zum Ziel haben, anschließend die BaFin zu Ermittlungen wegen eines Verstoßes gegen die Ad-hoc-Publizitätspflichten in Marsch zu setzen und so die Tür zur Abfindung nach dem Unternehmenswert zu öffnen. Die Konsequenz wird sein, dass sich Gesellschaften wieder sehr genau überlegen werden, ob ein Delisting sinnvoll ist. Vielleicht führt also die Neuregelung im Ergebnis nur dazu, dass Gesellschaften angesichts solch drohender Auseinandersetzungen – trotz entfallener Sachgründe für die Börsennotierung – die Zulassung aufrechterhalten und ein Delisting scheuen. Dann wäre weder für den Kapitalmarkt noch für die Anleger etwas erreicht. Insofern ist zu hoffen, dass die Ausnahmefälle, die zu einer Abfindung zum Unternehmenswert statt zum Börsenkurs führen sollen, wirklich Ausnahmefälle bleiben.