Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 01.12.2015 entschieden, dass ein Urlaubsanspruch nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers untergeht, sondern sich in einen Abgeltungsanspruch der Erben umwandelt (56 Ca 10968/15). Überraschend? Nein.
Wir sind zwar in Deutschland immer von dem Gedanken ausgegangen, dass es der Zweck des Urlaubs sei, die Arbeitskraft des Arbeitnehmers wiederherzustellen und langfristig zu erhalten – was bei Erben schlicht nicht möglich ist. Davon müssen wir uns nun aber verabschieden. Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und der damit eingeleiteten und jetzt beginnenden Änderung der deutschen Rechtsprechung wird der Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses endgültig zum bloßen Vermögensanspruch.
In dem aktuellen Fall, über den das Arbeitsgericht Berlin zu entscheiden hatte, stand einer Arbeitnehmerin im Zeitpunkt ihres Todes noch ein Anspruch auf Erholungsurlaub von 33 Tagen zu. Ihre Erben verlangten vom Arbeitgeber die Auszahlung dieses Urlaubs.
Das Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht hatte einen solchen Anspruch mit Urteil vom 12.3.2013 (9 AZR 532/11) noch abgelehnt. Es vertrat die Auffassung, dass der Urlaubsanspruch unterginge und sich nicht in einen Abgeltungsanspruch umwandeln könne, wenn das Arbeitsverhältnis wegen des Todes des Arbeitnehmers ende. Dabei hat sich das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt, ob nicht die vom Europäischen Gerichtshof erzwungene Änderung des Urlaubsrechts die Vererbbarkeit des Urlaubs bzw. eines entsprechenden Abgeltungsanspruchs verlange. Dies hat das Bundesarbeitsgericht verneint. Es hat erklärt, dass der Europäische Gerichtshof davon ausginge, Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch seien zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) solle sicherstellen, dass der Arbeitnehmer sich zum einen von der Ausübung seiner Arbeit erholen könne und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit verfüge. Diese Zwecke ließen sich, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende, aber nicht mehr erreichen.
Der Europäische Gerichtshof
Das sah der Europäische Gerichtshof allerdings anders, als er ein Jahr später über einen entsprechenden Fall zu entscheiden hatte, der ihm vom Landesarbeitsgericht Hamm vorgelegt worden war. In seinem Urteil vom 12.06.2014 in der Rechtssache Bollacke (C-118/13) erklärte der Europäische Gerichtshof, dass die Arbeitszeitrichtlinie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstünde, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergehe, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende. Aus dem Begriff des bezahlten Jahresurlaubs folge, dass für die Dauer dieses Urlaubs das Entgelt für den Arbeitnehmer beizubehalten sei. Darum solle der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs, wenn der Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Möglichkeit habe, den bezahlten Jahresurlaub in natura zu nehmen, verhindern, dass dem Arbeitnehmer jeder Genuss des Anspruchs auf bezahlten Urlaub, etwa in finanzieller Form, vorenthalten werde. Voraussetzung für die Abgeltung sei allein, dass das Arbeitsverhältnis beendet sei und der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen habe. Insofern könne aus dem Umstand, dass ein Arbeitsverhältnis durch Tod des Arbeitnehmers ende, keine weitere Einschränkung abgeleitet werden. Die Urlaubsabgeltung stelle einen unerlässlichen finanziellen Ausgleich dar, um die praktische Wirksamkeit des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sicherzustellen. Würde man anders entscheiden, hätte dies zur Folge, dass ein unwägbares, weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbares Vorkommnis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen würde.
Das Arbeitsgericht Berlin
Nach der Entscheidung in Sachen Bollacke gab es keine ernsthaften Zweifel daran, dass sich die deutsche Rechtsprechung ändern würde. Dies ist nun geschehen. Das Arbeitsgericht Berlin folgt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, und auch das Bundesarbeitsgericht wird dies in letzter Instanz tun.
Hinweise für die Praxis
Auch die Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs bezieht sich nur auf den gesetzlichen Urlaub. Wenn also Arbeitgeber schon im Hinblick auf das Erlöschen von Urlaubsansprüchen zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub differenzieren konnten, ist dies auch im Fall des Todes des Arbeitnehmers möglich. Unklar ist, ob und ggf. an welche Ausschlussfristen sich Erben für die Urlaubsabgeltung halten müssen. Solange diese Rechtsfrage ungeklärt ist, sollten sich Arbeitgeber auf jeden Fall auch gegenüber Erben zunächst einmal auf Ausschlussfristen berufen.
Offen ist schließlich, ob es sich bei dem vererbten Urlaubsabgeltungsanspruch sozialversicherungsrechtlich um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt handelt. Beim normalen Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers ist dies der Fall. Nicht hingegen wohl beim Urlaubsabgeltungsanspruch, der erst durch den Tod des Arbeitnehmers entsteht. Bis hier eine offizielle Klärung vorliegt, sollte der betroffene Arbeitgeber jedoch vorsorglich Rücksprache mit der Einzugsstelle halten.