Referentenentwurf der 9. GWB-Novelle – die wichtigsten Änderungen

RA Dr. Jens Steger, Kaye Scholer LLP, Frankfurt/M.

RA Dr. Jens Steger, Kaye Scholer LLP, Frankfurt/M.

Am 01.07.2016 hat das Bundeswirtschaftsministerium den seit langem erwarteten Referentenentwurf für eine 9. GWB-Novelle vorgelegt. Der Referentenentwurf nimmt tiefgreifende Änderungen im deutschen Kartellrecht vor und betrifft hierbei insbesondere die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche, die Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht. Vorliegend wird ein kleiner praktischer Ausschnitt der geplanten Änderungen vorgestellt. Das Ministerium beabsichtigt, dass Gesetzgebungsverfahren noch in diesem Jahr vollständig zu durchlaufen.

Konzernhaftung und Rechtsnachfolge bei Bußgeldern

Die Novelle sieht u.a. vor, eine in der Fachwelt seit längerem unter der Bezeichnung „Wurstlücke“ bekannte Gesetzeslücke zu schließen. Benannt ist die sog. „Wurstlücke“ nach dem Fall eines westfälischen Wurstfabrikanten. Im Jahr 2014 verhängte das Bundeskartellamt wegen Kartellabsprachen gegen eine zu seiner Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaft ein Bußgeld in dreistelliger Millionenhöhe. Daraufhin ließ der Wurstfabrikant sein Unternehmen – vereinfacht dargestellt – aus dem Handelsregister löschen, um so der Bußgeldforderung des Amtes zu entgehen. Geldbußen werden nach deutschem Kartellrecht gegen die Rechtsträger von Unternehmen verhängt. Wenn infolge einer Unternehmensumstrukturierung der Rechtsträger nicht mehr existiert, läuft die Bußgeldsanktion des Bundeskartellamtes ins Leere. Eine Rechtsgrundlage, um auch den jeweiligen Rechtsnachfolger für das Bußgeld verantwortlich zu machen, existiert nicht. Die Muttergesellschaft hatte nach einer erfolgten Umstrukturierung somit grundsätzlich nicht finanziell für Kartellrechtsverstöße ihrer Tochtergesellschaften aufzukommen. Im Jahr 2013 wurde die Bußgeldverantwortung dann jedoch durch den Gesetzgeber auch auf den Rechtsnachfolger erweitert. Die sog. „Wurstlücke“ konnte dadurch zwar „eingeengt“ aber eben nicht gänzlich geschlossen werden. Der Gesetzgeber setzt mit dem Referentenentwurf zur 9. GWB-Novelle nun nochmals an und schlägt vor, das Bußgeld nicht nur gegen die Juristische Person, deren Leitungspersonen den Kartellverstoß begangen haben, zu verhängen, sondern auch gegen die Konzernmutter und andere Konzerngesellschaften, soweit diese ein Unternehmen im Sinne des Unionsrechts bilden. Bezogen auf das Kartellrecht wird somit der europäische Unternehmensbegriff in deutsches Recht überführt (§ 81 Abs. 3a GWB-E). Konzerninterne Umstrukturierungen oder Vermögensübertragungen sind somit kein taugliches Gestaltungsmittel mehr, um der Geldbuße zu entgehen. Zusätzlich kann in Fällen der Gesamtrechtsnachfolge die Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger festgesetzt werden (§ 81 Abs. 3b GWB-E) sowie bei wirtschaftlicher Nachfolge gegen den Rechtsträger, der die Unternehmung fortführt (§ 81 Abs. 3c GWB-E). Die Neureglungen werden nicht nur bei gezielten Umstrukturierungen, sondern in der täglichen Praxis auch bei M&A-Transaktionen Bedeutung gewinnen, bei denen es gerade nicht um Umstrukturierungen zur Bußgeldvermeidung geht. In diesem Zusammenhang eröffnen sich zahlreiche weitere Fragen, auf die der Entwurf keine Antworten liefert.

Schadenersatzrecht

Auch das sog. Private-Enforcement wird gestärkt, denn Klagen gerichtet auf Schadenersatz gegen ehemalige Kartellanten werden immer häufiger erhoben. Der bisherigen Rechtsrahmen gilt in der Praxis allerdings seit jeher als nicht ausreichend, weshalb die EU bereits vor langer Zeit eine EU-Kartell-Schadenersatzrichtlinie erlassen hat (2014/104/EU), die Schadenersatzklagen wegen Kartellverstößen erleichtern soll. Der deutsche Gesetzgeber nimmt die 9. GWB nunmehr auch zum Anlass, die Erfordernisse der EU-Kartell-Schadenersatzrichtlinie in nationales deutsches Recht umzusetzen.

Richtiger Anspruchsgegner

Im Gegensatz zur oben beschriebenen Neuregelung bei der Bußgeldhaftung regelt der Entwurf die Frage des korrekten Anspruchsgegners einer kartellrechtlichen Schadenersatzklage nicht, obwohl seit langem Uneinigkeit herrscht, ob lediglich die an dem Kartellverstoß beteiligte juristische Person oder auch deren Mutterunternehmen Anspruchsgegner einer Schadenersatzklage sein kann. Diese in der Praxis nicht minder wichtige Frage ist also nach wie vor offen. Der auf EU-Ebene verwendete „Unternehmensbegriff“ zielt stets auf den gesamten Konzern ab, was in der Praxis einer klassischen Konzernhaftung entspricht. Ob die EU-Richtlinie indes auch eine Umsetzung des europäischen Unternehmensbegriffes in nationales (deutsches) Recht verlangt, wird seit Veröffentlichung der Richtlinie lebhaft diskutiert. Der Gesetzgeber des Referentenentwurfes hat die Klärung dieser Frage der Rechtsprechung überlassen.

Privilegierung des Kronzeugen

Die Verjährungsdauer für Schadenersatzansprüche wird generell auf 5 Jahre heraufgesetzt. Wie bisher auch, sind die Mitglieder eines Kartells als Gesamtschuldner für den Schaden verantwortlich. Im Innenverhältnis wird die Verteilung anhand der relativen Verantwortung der Schädiger vorgenommen. Entscheidend ist insbesondere das Maß der Verursachungsbeiträge. Von diesem Grundsatz sieht die Kartellschadensersatzrichtlinie drei wichtige Ausnahmen vor, die nun in deutsches Recht umgesetzt werden.

Kronzeugen und bestimmte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haften grundsätzlich nur auf den Ersatz des Schadens, der ihren unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern entsteht. Der Kronzeuge kann anderen nur dann zum Ersatz verpflichtet sein, wenn diese von den restlichen Kartellanten keinen Schadenersatz eintreiben können. Im Innenverhältnis der Gesamtschuldner können die anderen Schuldner auch nur diese Höhe verlangen.

Offenlegung von Beweismitteln

Kläger, aber auch Beklagte haben einen direkten Anspruch auf Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln. Der Anspruch soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn er unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen unverhältnismäßig erscheint. Stets zu berücksichtigen sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Gänzlich ausgeschlossen soll ein Herausgabeanspruch im Hinblick auf Settlementerklärungen sowie Kronzeugenanträge sein, um das scharfe Schwert des Bundeskartellamtes nicht abzustumpfen. Auch die Offenlegung von Informationen aus behördlichen Akten wird nach vorheriger Kritik (vgl. z.B. Steger, BB 2014, 932 ff.) nun gesetzlich geregelt.

Schadenvermutung

Es besteht zudem die (widerlegliche) Vermutung, dass ein Kartell auch einen Schaden verursacht. Der Entwurf sieht allerdings keine pauschale prozentuale Vermutungshöhe vor. Die Vermutung kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass die Preiserhöhung durch das Kartell an die nächste Marktstufe weitergegeben wurde („Passing-On-Defense“). Hierfür trägt der jeweils Beklagte die Beweislast. Auch mittelbare Abnehmer sind berechtigt, entstandene Schäden geltend zu machen, wobei sie für den Schadenumfang und die Weiterwälzung beweisbelastet sind.

Fusionskontrolle

Auch die Fusionskontrolle bleibt von Änderungen nicht verschont. So wird eine neue Aufgreifschwelle eingeführt, die dazu führt, dass Zusammenschlüsse, die nach bisherigem Recht nicht anmeldepflichtig waren, weil die zweite Inlandsumsatzschwelle von 5 Mio. EUR nicht erreicht wurde, dann anzumelden sind, wenn der Transaktionswert (Kaufpreis) 350 Mio. Euro überschreitet. Wie genau die Höhe des Transaktionswertes bemessen wird, ist unklar. Die Praxis wird zeigen, zu welcher Mehrbelastung diese Änderung in der Wirtschaft und beim Bundeskartellamt führen wird.

Missbrauchsaufsicht

Die Missbrauchskontrolle soll an die Besonderheiten digitaler Märkte angepasst werden, um in Zukunft besser Aufsicht über Internetplattformen und mehrseitige Märkte führen zu können. Vor allem soll ein Markt auch dann vorliegen, wenn es sich um unentgeltliche Leistungsbeziehungen handelt. Diese Frage war bisher sehr umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden.

Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamts

Auch der Veröffentlichungspraxis des Bundeskartellamtes soll nun eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur Seite gestellt werden, was in der Vergangenheit ebenfalls gefordert wurde (z.B. Steger, ZWeR 2013, 179 ff.).

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