Der große Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) hat mit Beschluss vom 28.11.2016 (GrS 1/15), der am 07.02.2017 veröffentlicht wurde, den Sanierungserlass des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) aus dem Jahr 2003 für unrechtmäßig erklärt. Denn nach Auffassung des BFH verstößt der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Danach darf die Verwaltung sich nicht über bestehende Gesetze hinwegsetzen und selbst wie ein Gesetzgeber tätig sein. Dies sieht der BFH durch den Sanierungserlass aber als gegeben an. Die Möglichkeit der Sanierung von Unternehmen, nicht zuletzt im Rahmen der neueren Sanierungsinstrumente Schutzschirm und Eigenverwaltung, steht auf der Kippe.
Worum geht es?
Der Gesetzgeber hatte sich 1997 entschieden, das bis zu diesem Zeitpunkt im Einkommensteuergesetz bestehende Sanierungsprivileg abzuschaffen. Gemäß der gestrichen Regelung waren Sanierungsgewinne nicht zu versteuern. Ein solcher Sanierungsgewinn fällt immer dann an, wenn einem Unternehmen von seinen Gläubigern Verbindlichkeiten erlassen werden. Es realisiert dann einen Buchgewinn, der ggf. zu einer Steuerlast führen kann, wenn keine verrechenbaren Verlustvorträge vorhanden sind.
1999: Insolvenzordnung mit neuen Möglichkeiten der Sanierung
Zu Beginn des Jahres 1999 hatte der Gesetzgeber mit der neuen Insolvenzordnung die Möglichkeit geschaffen, dass sich Unternehmen über ein Insolvenzverfahren durch ein Insolvenzplan sanieren. Der Insolvenzplan führte zu einer Art Zwangsvergleich, in dem die Gläubiger dem Unternehmen einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten erlassen. Hierdurch wollte der Gesetzgeber ein sanierungsfreundliches Insolvenzrecht schaffen und Unternehmer dazu veranlassen, frühzeitig eine Sanierung in einem Insolvenzverfahren durchzuführen. Dieser Versuch schlug allerdings in den Jahren nach 1999 zunächst fehl. Denn aufgrund der Abschaffung des Sanierungsprivilegs im Jahr 1997 war der durch den Insolvenzplan ausgelöste Sanierungsgewinn auch zu versteuern. Diese Steuerlast konnten die Unternehmen nicht tragen. Sie waren ja gerade erst durch einen Insolvenzplan von ihren Verbindlichkeiten befreit worden. Zu dieser Zeit gab es im Rahmen der Sanierung von Unternehmen also faktisch keine Insolvenzplanverfahren. Dies änderte sich im Jahr 2003 als aufgrund der Insolvenz des Babcock-Konzerns Insolvenzplan-Lösungen unausweichlich wurden. Da eine gesetzliche Regelung nicht vorhanden war, handelte das BMF mit dem vorgenannten Schreiben. Danach war der Finanzverwaltung vorgegeben, dass auf den Insolvenzplan anfallende Steuern auf den Sanierungsgewinn zu stunden und in der Folge zu erlassen sind. In den folgenden Jahren kamen schließlich immer mehr Insolvenzpläne auf.
2012: Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen
Im Jahr 2012 schuf der Gesetzgeber dann die Möglichkeit mit dem sogenannten ESUG, dass Unternehmer sich über ein Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahren in Eigenregie in einem Insolvenzverfahren sanieren können. Der Gesetzgeber wollte hierdurch Anreize für Unternehmen setzen, frühzeitig die Möglichkeiten der Insolvenzordnung für die Sanierung des eigenen Unternehmens zu nutzen. Die anfallenden Sanierungsgewinne waren aufgrund des Schreibens des BMF bislang unproblematisch. In aller Regel hat die zuständige Finanzverwaltung schnell und unkompliziert reagiert.
Eine neue Zeitrechnung für die Sanierung von Unternehmen?
Der am 07.02.2017 veröffentlichte Beschluss des BFH beendet nun diese Möglichkeit. Der BFH hat zwar grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass Steuern erlassen werden, ist jedoch der Ansicht, dass dies nur durch eine gesetzliche Regelung geschehen darf. Für alle Fälle, in denen die Finanzverwaltung bereits Entscheidungen gefällt hat oder verbindliche Auskünfte erteilt wurden, dürfte sich keine rückwirkende Änderung mehr ergeben. Nach ersten Aussagen, die aus Kreisen von Oberfinanzdirektionen zu vernehmen sind, dürfte es aber in Zukunft keine Erlasse von Steuern auf Sanierungsgewinne mehr geben.
Damit ist die Intention des Gesetzgebers, Sanierungsmöglichkeiten in Deutschland – wie die Sanierung über das Schutzschirmverfahren und die Eigenverwaltung – zu fördern, nahezu vollständig konterkariert worden. Gerade bei großen Unternehmen, wie der Unternehmensgruppe Wöhrl oder SinnLeffers, die sich erst vor kurzem in ein solches Verfahren mit der Intention der eigenverantwortlichen Sanierung über einen Insolvenzplan begeben haben, wird jetzt Katerstimmung herrschen. Unternehmen, die künftig eine Sanierung planen, werden genau überlegen müssen, welche steuerlichen Auswirkungen ihr Vorhaben hat. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird aber eine Sanierung über einen Insolvenzplan schwierig bis unmöglich werden. Auf die weiterhin bestehende Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung aus Billigkeitsgründen kann sich kein Unternehmen verlassen. Zumal der BFH in seinem Beschluss auch anklingen lässt, dass der Einzelfall sicherlich nicht der Regelfall sein kann.
What next?
Trotz aller bevorstehenden Wahlkämpfe muss der Gesetzgeber jetzt kurzfristig reagieren, wenn er nicht den gerade in Deutschland begonnenen Weg zu einer Sanierungskultur einstampfen möchte. Wie man das alles mit dem von der EU im vergangenen November veröffentlichten Richtlinienentwurf eines präventiven Restrukturierungsrahmens in Einklang bringen will, in dem sich Unternehmen außerhalb einer Insolvenz entschulden können, bleibt abzuwarten. Auch mit dem immer wieder geäußerten Gedanken, dass ein Verzicht auf die Besteuerung des Sanierungsgewinns eine EU-rechtlich unzulässige Beihilfe darstellen könnte, wird der Gesetzgeber sich auseinander setzen müssen.
Bleibt die Frage, ob der BFH jetzt an dem ganzen Schlamassel Schuld ist. Sicher nicht. Der Gesetzgeber hatte 13 Jahre Zeit eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Der Vorwurf der Kompetenzüberschreitung durch das BMF ist nicht neu und steht seit längerer Zeit im Raum.