Der Bundesrat hat mit einer Entschließung vom 10. Februar 2017 (BR-Drucksache 740/16) die Bundesregierung dazu aufgefordert, das Recht der betrieblichen und Unternehmensmitbestimmung zu reformieren.
Inhalt und Begründung
Der im Hinblick auf den mit dem Übergang zur „Wirtschaft 4.0“ erwartete „grundlegende Wandel der Arbeitswelt“ ist aus Sicht des Bundesrats nur durch eine „faire Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe“ für alle Beschäftigten „passgenau und gewinnbringend“ zu gestalten. In diesem Zusammenhang soll zunächst die betriebliche Mitbestimmung (d.h. die Vertretung der Arbeitnehmer durch Betriebsräte auf Betriebsebene) neben den Arbeitnehmern zukünftig auch sog. „arbeitnehmerähnliche Personen“ erfassen.
Daneben betrachtet der Bundesrat mit großer Sorge, dass sich insbesondere „junge, wachsende Kapitalgesellschaften“ zunehmend dem Geltungsbereich der Unternehmensmitbestimmung (d.h. der Vertretung der Arbeitnehmer in mitbestimmten Aufsichtsräten auf Unternehmensebene), durch Schutzlücken im deutschen und europäischen Recht entzögen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, diese Schlupflöcher zu schließen und sich darüber hinaus für eine Respektierung der deutschen Regeln der Mitbestimmung auf europäischer Ebene einzusetzen.
Bewertung und Hintergrund
Initiative betriebliche Mitbestimmung
Interessant ist zunächst die Initiative bei der betrieblichen Mitbestimmung, die sich konkret für die Einbeziehung sog. „arbeitnehmerähnlicher Personen“ in den Schutzbereich des Betriebsverfassungsgesetzes stark macht, dem sie bisher nicht unterfallen. Diese Gruppe lässt sich als Unterfall der freien Mitarbeit einordnen und meint im Allgemeinen Beschäftigte, die zu einem Arbeitgeber in wirtschaftlicher, nicht aber in persönlicher Abhängigkeit stehen und sozial ähnlich schutzbedürftig wie Arbeitnehmer sind. Hier ist jeweils allerdings eine Einzelfallbetrachtung erforderlich und demzufolge existiert hier eine breit gefächerte Rechtsprechung. Als arbeitnehmerähnliche Personen wurden z.B. eine Call-Center-Agentin, ein Dozent in einem freien Lehrinstitut, ein Franchisenehmer, ein Servicebeauftragter für Fotokopierer und ein selbstständiger Erfinder eingeordnet.
Diese eher speziellen Einzelfälle dürfte der Bundesrat allerdings wohl kaum gemeint haben. Höchstwahrscheinlich hat er vielmehr diejenigen Personen im Blick gehabt, die auf Grundlage von (freien) Dienst- und Werkverträgen eingesetzt werden, um den Schutz des Arbeitsrechts auszuhebeln. Genau diese Fälle bekam die Rechtsprechung aber bereits bislang in den Griff, in dem sie in einer wertenden Betrachtung das gesamte Rechtsverhältnis untersucht: Ist der „Werkunternehmer“ (oder dessen Mitarbeiter) in den Betrieb des „Bestellers“ eingegliedert und unterliegt dort dem Weisungsrecht des „Bestellers“, dann liegt trotz der formal gewählten Vertragsform ein Arbeitsverhältnis (bzw. eine illegale Arbeitnehmerüberlassung) vor. Die nach dieser Wertung ermittelten (tatsächlichen) Arbeitsverhältnisse unterliegen dann aber auch dem Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes.
Auf diese Problematik zielt (u.a.) bereits die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die am 1. April 2017 in Kraft tritt, ab, indem sie u.a. den Begriff des Arbeitnehmers mit den durch die Rechtsprechung entwickelten Merkmalen nunmehr gesetzlich definiert. Im Ergebnis erschließt sich mir vor diesem Hintergrund die Problematik, die der Bundesrat konkret vor Augen hat, nicht.
Initiative Unternehmensmitbestimmung
Anders sieht dies beim zweiten Punkt aus, dem Schließen von „Schlupflöchern“ bei der Unternehmensmitbestimmung: Es ist inzwischen landläufig bekannt, dass die Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung nach bisheriger Lesart nur bestimmte inländische Rechtsformen, nicht aber (EU-)ausländische und bestimmte Mischformen erfassen (siehe hierzu z.B. Beitrag des Autors bei LTO). Dieser Befund wurde vielerorts seit Jahren mehrfach diskutiert und ist auch der Bundesregierung bekannt, die eine entsprechende Reform der Unternehmensmitbestimmung bisher stets abgelehnt hat.
Verteidigen der nationalen Regeln zur Unternehmensmitbestimmung auf EU-Ebene
Der letzte Punkt, die Vertretung der „nationalen Mitbestimmungsinteressen“ auf EU-Ebene, zielt m.E. auf ein derzeit beim EuGH anhängiges Verfahren zur Überprüfung der Vereinbarkeit von Mitbestimmungs- und Unionsrecht (siehe hierzu auch den Blogbeitrag des Autors) ab, bei dem es um die Frage geht, ob Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland diskriminiert werden, wenn sie bei den Wahlen zu den mitbestimmten Aufsichtsräten im Inland nicht berücksichtigt werden: Gewerkschaften befürchten als Ergebnis der Verfahren eine „Abschaffung“ des nationalen Rechts der Unternehmensmitbestimmung (siehe z.B. DGB). Wie sie zu dieser Einschätzung kommen, erschließt sich mir allerdings nicht, weil selbst bei Unvereinbarkeit nationalen mit Unionsrecht zunächst die Möglichkeit der unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Bestimmungen naheliegt. Diese könnte hier schlicht am Begriff des „Arbeitnehmers“ i.S.d. Mitbestimmung ansetzen.
Fazit
Bei näherem Hinsehen hat nur die Aufforderung nach einer Reform des Rechts der Unternehmensmitbestimmung Substanz. Angesichts der derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bleibt deswegen abzuwarten, ob sich eine derartige Initiative mit einer neuen Bunderegierung in der kommenden Legislaturperiode verwirklichen lässt. Für deutsche Unternehmen wäre dies nicht ohne Brisanz: Entscheidet der EuGH, dass das die Mitbestimmungsgesetze Arbeitnehmer andere Mitgliedstaaten diskriminieren und wird der Gesetzgeber zusätzlich die hinlänglich bekannten „Schlupflöcher“ zu schließen versuchen, droht einer Vielzahl von Unternehmen die erstmalige Einrichtung (paritätisch) mitbestimmter Aufsichtsräte.