Der Bundesrat will Sanierungsgewinne weiterhin steuerfrei stellen (vgl. BR-Drucks. 59/1/17 vom 27.2.2017 S. 10 ff.). Der Gesetzgeber reagiert damit auf einen Beschluss vom 28.11.2016, mit dem der Große Senat des BFH den Sanierungserlass 2003 gekippt hat (vgl. BMF-Schreiben vom 27.3.2003 – IV A 6 S 2140 8/03, BStBl. I 2003, ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22.12.2009, IV C 6 – S 2140/7/10001-01, BStBl. I 2010 S. 18, sog. Sanierungserlass). Der Sanierungserlass verstoße gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl. BFH, Beschluss vom 28.11.2016 – GrS 1/15, sowie dazu Werth, DB 2017 S.337 = EWiR 2017 S. 149 mit Anm. Möhlenkamp).
Kann der neue § 3a EStG nun aber zügig Anwendung finden oder ist die Vorschrift bei der EU-Kommission als (Regelungs-) Beihilfe zu notifizieren? Wenn ja, was folgt daraus?
Notifizierung als Beihilfe
Der Bundesrat hält eine Notifizierung offenbar für erforderlich. Ob die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns eine Beihilfe ist, ist zwar umstritten (vgl. Kahlert, ZIP 2016 S. 2107). Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Steuerfreiheit das betroffene Unternehmen selektiv begünstigt oder ob sie Ausdruck der allgemeinen, systemkonformen Besteuerung in Deutschland ist. Der neue § 3a EStG soll aber unbeachtet dieser Fragen nicht am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten, sondern erst, wenn „die Europäische Kommission die erforderliche Genehmigung erteilt hat“ (vgl. BR-Drucks. 59/1/17 vom 27.02.2017, Art. 3 Abs. 2 des Gesetzentwurfs).
Die geplante Notifizierung ist zu begrüßen. Praktisch, weil allein die Frage, ob es sich bei der Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns um eine Beihilfe handelt, eine nur schwer erträgliche Rechtsunsicherheit in Sanierungsfällen begründet („Rückforderungsrisiko“). Rechtlich, weil der BFH mit seinem Beschluss vom 28.11.2016 eine Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV geradezu herbeiargumentiert hat (vgl. BFH, Beschluss vom 28.11.2016, Rn. 134: „steuerliche Subventionierung der Sanierung notleidender Unternehmen“).
Rettungs- und Umstrukturierungs-Leitlinien
Die Genehmigung der Europäischen Kommission ist aber durchaus kein Selbstläufer. Denn die Kommission hat nur zwei Möglichkeiten: entweder sie erkennt an, dass die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen keine Beihilfe darstellt. Die Bundesregierung wird die gewichtigen Argumente, die dafürsprechen, im Notifizierungsverfahren vortragen. Oder die Kommission bewertet die Steuerfreiheit auf Sanierungsgewinne als Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV. Dann muss sie als weiteren Prüfungsmaßstab für eine (Genehmigungs-) Entscheidung die Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien anwenden (vgl. dazu Möhlenkamp, ZIP 2014, Beilage zu Heft 44).
Voraussetzungen für Genehmigung sind komplex
Die Voraussetzungen für eine beihilferechtskonforme Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns sind dann aber deutlich komplexer, als es § 3a EStG-Entwurf derzeit vorsieht. Insbesondere wird es nicht leicht sein zu begründen, dass eine Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen stets ein Ziel von gemeinsamem Interesse erreicht (RuU-LL 2014, Rn. 43 ff.). Ist es stets ein „sozialer Härtefall“, wenn ein Unternehmen aus dem Markt ausscheidet, etwa auch in konjunkturell guten Zeiten in einer Region mit niedriger Arbeitslosigkeit? Der Arbeitsmarkt würde die meisten von einer Insolvenz betroffenen Mitarbeiter schnell aufsaugen.
Die Kommission erwartet zudem stets einen Umstrukturierungsplan, mit dem gezeigt werden muss, dass das begünstigte Unternehmen langfristig wieder rentabel werden kann (RuU-LL 2014, Rn. 45 ff.). Da es sich um eine Regelungsbeihilfe handeln wird und nicht um eine Ad-hoc-Beihilfe, wird zwar die Kommission nicht jeden Umstrukturierungsplan prüfen. Aber es wäre im Sinne der RuU-LL konsequent, wenn die Kommission im Laufe des Notifizierungs- und Genehmigungsverfahrens stets einen Umstrukturierungsplan fordern würde. Mindeststandards gelten auch für KMU.
Die in der Praxis weitgehend eingeübten Sanierungs- und Insolvenzpläne müssten etwa die folgenden Besonderheiten des Europäischen Beihilferechts berücksichtigen:
- Szenario-Planungen,
- Alternativ-Szenario ohne Steuerbefreiung,
- Eigenbeiträge der Anteilseigner („so hoch wie möglich“),
- die Rückzahlung der Beihilfe,
- Maßnahmen zur Begrenzung von Wettbewerbsverfälschungen und
- Verhaltensmaßregeln (sic!).
Sanierungsrecht und -praxis würden erheblich durch wettbewerbspolitische Erwägungen flankiert oder überlagert. Das mag man aus Sicht des Wettbewerbs begrüßen. Aus Sicht der Sanierung ergeben sich Stolpersteine.
Nächste Schritte
Elegant und für die Praxis wünschenswert wäre es, wenn die Europäische Kommission zu dem Ergebnis käme, dass die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns keine Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV ist. Die Ausführungen des BFH im Beschluss vom 28.11.2016 haben die Chance auf eine solche Entscheidung allerdings sinken lassen. Es bleibt damit abzuwarten, wie die Kommission entscheidet. Sie kann im Laufe der Genehmigungsverhandlungen Nachbesserungen zum § 3a EStG-Entwurf verlangen. Solange wird die Praxis mit rechtssicheren Sanierungsvereinbarungen, die auf die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns oberhalb der Bagetellschwelle (200.000 € in drei Jahren) angewiesen sind, warten müssen – und zwar auch dann, wenn das Gesetz verabschiedet ist. In Kraft treten wird es erst, wenn die Kommission entschieden hat. Immerhin verspricht die Kommission, „nach Möglichkeit“ innerhalb eines Monats zu entscheiden (vgl. RuU-LL 2014, Rn. 121).