Die 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) tritt am 09.06.2017 in Kraft. Die Schwerpunkte der Novelle betreffen das Kartellschadenersatzrecht und die Anpassung des Gesetzes an das digitale Zeitalter, insbesondere im Bereich der Vorschriften über marktbeherrschende Unternehmen und der Fusionskontrolle. Auch die unter dem Stichwort „Wurstlücke“ vielfach diskutierte Unternehmenshaftung für Kartellrechtsverstöße wird verschärft. Nachfolgend werden einige der wesentlichen praktischen Neuerung kurz beleuchtet.
Kartellrechtliche Schadenersatzklagen
Zentraler Bestandteil – und eigentlicher Anlass der Novelle – ist die Umsetzung der EU-Kartellschadenersatzrichtlinie (2014/104/EU) in nationales deutsches Recht. Hiernach sollen Kartellopfer die ihnen entstandenen Schäden gegen vormalige Kartellanten in Zukunft deutlich besser durchsetzen, als dies in der Praxis bislang der Fall war. Deshalb verjähren Kartellrechtsverstöße nach neuem Recht zum Beispiel erst nach fünf Jahren, anstatt wie bisher nach drei Jahren. Es wird zudem widerlegbar vermutet, dass ein Kartell auch einen Schaden zur Folge hat.
Gesetzliche Auskunftsansprüche
Auch die Möglichkeiten der Informationsgewinnung (sowohl für Kartellgeschädigte als auch für Kartellanten) wird deutlich verbessert. Vor allem Opfer eines Kartells können so erheblich komfortabler an notwendige Auskünfte gelangen, um einen Schadenersatzanspruch vor Gericht besser darlegen zu können. Zukünftig ist jeder, der einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung des Kartellrechts glaubhaft machen kann, berechtigt, von dem vormaligen Kartellanten Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln zu verlangen. Dies gilt selbst dann, wenn der Anspruch zunächst nur im außergerichtlichen Bereich geltend gemacht werden soll, was außergerichtliche Vergleichsverhandlungen deutlich vereinfachen soll (§ 33g Abs. 1 GWB).
Dagegen wird auch dem beklagten Kartellanten bei einer gerichtlichen Inanspruchnahme auf Schadenersatz die Möglichkeit eingeräumt, den Einwand der Weiterwälzung eines beim Kläger entstandenen Schadens an dessen Abnehmer geltend zu machen (sog. passing on defense). Es ist bereits jetzt in aller Deutlichkeit absehbar, dass die Gesetzesänderungen dazu führen werden, dass es in Deutschland künftig erheblich mehr Schadenersatzprozesse geben wird, als dies bislang der Fall war.
Änderungen bei Unternehmenszusammenschlüssen
Auch der Bereich der Fusionskontrolle soll an die zunehmende Digitalisierung der Märkte angepasst werden. Nach der neuen Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1a GWB ist ein Zusammenschluss dann zusammenschlusskontrollpflichtig, wenn die beteiligten Unternehmen die Umsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 1 GWB (500 Millionen Euro weltweit) überschritten haben, ein Beteiligter im Inland mehr als 25 Millionen Euro und weder das zu erwerbende Unternehmen noch ein anderes beteiligtes Unternehmen jeweils mehr als 5 Millionen Euro im Inland umgesetzt haben, aber der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 400 Millionen Euro beträgt und zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist. Die neue Aufgreifschwelle soll Zusammenschlüsse erfassen, bei denen ein hohes Marktpotential des Zielunternehmens besteht, welches noch nicht in den jeweiligen Umsätzen ablesbar ist, so dass die Schwellen des § 35 Abs. 1 GWB (noch) nicht erreicht werden. Hierzu hatte der Gesetzgeber die Fusion von Facebook/Whatsapp paradigmatisch vor Augen.
Derzeitige Rechtsunsicherheit
Zu praktischer Rechtsunsicherheit führt die Regelung allerdings bei der Frage, ab wann das Zielunternehmen überhaupt in „erheblichem Umfang“ im Inland tätig ist. Mit dieser Regelung möchte der Gesetzgeber den sog. „local nexus“ des Zusammenschlusses herstellen. Nach der Gesetzesbegründung stellt etwa das Anbieten von Produkten oder aber F&E-Tätigkeit im Inland eine marktbezogene Inlandstätigkeit dar. Das Kriterium der Erheblichkeit soll lediglich marginale Tätigkeiten ausschließen. Hier möchte der Gesetzgeber im Bereich von digitalen Märkten auch auf die Nutzerzahlen abstellen, wonach eine erhebliche Inlandstätigkeit des Anbieters von zum Beispiel einer Kommunikationsapp dann anzunehmen sei, wenn sich die App an alle Verbraucher richte und eine Nutzerzahl von einer Million Nutzern auf dem bundesweiten Markt erreiche. Die kollisionsrechtliche Frage der „Spürbarkeit“ einer Inlandsauswirkung gem. § 185 Abs. 2 GWB ist nach der Regierungsbegründung des Gesetzesentwurfs zusätzlich zu prüfen.
Fraglich sind allerdings auch Konstellationen, bei denen das Zielunternehmen nahezu sämtliche Umsätze im Ausland erzielt. Für diese Konstellationen sieht Nr. 4 vor, dass § 35 Abs. 1a GWB wegen fehlender erheblicher Inlandstätigkeit keine Anwendung findet. Die Beurteilung, ob (hohe) Auslandsumsätze einen entsprechenden Kaufpreis rechtfertigen, lässt zudem einen sehr großen Spielraum. Dies wird bei praktischer Betrachtung dazu führen, dass die Zusammenschlussparteien vorsichtshalber eine Anmeldung beim Bundeskartellamt vornehmen, um ein mögliches Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Vollzugsverbot zu vermeiden.
Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamtes
Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit erhält das Bundeskartellamt in § 53 Abs. 4 und Abs. 5 GWB nun auch eine gesetzliche Ermächtigung, Öffentlichkeitsarbeit vorzunehmen, was in der Vergangenheit ebenfalls aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit gefordert wurde (z.B. Steger, ZWeR 2013, 179 ff.).
Verbraucherschutzkompetenzen des Bundeskartellamtes
Zudem erhält das Bundeskartellamt Zusatzkompetenzen im Bereich des Verbraucherschutzes. Dem Amt wird so die Möglichkeit für eine Sektoruntersuchung „bei begründetem Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften eingeräumt, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen“ (§32 e Abs. 5 u. 6 GWB). Dies betrifft vor allem das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), aber auch AGB-Verstöße (wie im Facebookverfahren) und Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 Abs. 2 Unterlassungsklagengesetz. Da auch § 3a UWG (der sog. Rechtsbruchtatbestand) mit erfasst zu sein scheint, kann davon ausgegangen werden, dass das Bundeskartellamt zahlreiche Bereiche des Verbraucherrechts zum Gegenstand von Untersuchungen und Stellungnahmen machen kann. In verbraucherschutzrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeiten soll sich das Amt zudem als amicus curiae einbringen können (§ 90 Abs. 6 GWB).
Insgesamt handelt es sich um einen gelungenen Gesetzesentwurf, der allerdings auch zahlreiche noch unbeantwortete Fragen in sich trägt, die die Gerichte demnächst zu klären haben werden.
Redaktioneller Hinweis:
Vgl. zu diesem Thema auch Gronemeyer/Slobodenjuk, DB 2017 S. 1010 = DB1237120 (abrufbar über die Owlit-Datenbank).