In seinem auch von der Tagespresse beachteten Beschluss vom 14.06.2017 (Az. 10 AZR 330/16, liegt als Pressemitteilung vor) hat der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht befolgen muss, wenn keine rechtskräftige Entscheidung eines Arbeitsgerichtes zur Rechtmäßigkeit der Weisung vorliegt. Da hierin eine Abweichung von der Rechtsprechung des 5. Senats (vgl. Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11) liegt, hat der 10. Senat bei diesem angefragt, ob der 5. Senat an seiner Rechtsprechung festhält. Sollte der 5. Senat sich der Auffassung des 10. Senats nicht anschließen, muss der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts die Rechtsfrage nach § 45 Abs. 2, 3 Satz 1 ArbGG entscheiden.
Hintergrund der Entscheidung
Nach § 106 GewO steht dem Arbeitgeber – soweit Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nicht konkret im Arbeitsvertrag oder anderen Vereinbarungen festgelegt sind – das Recht zur näheren Ausgestaltung dieser Arbeitsbedingungen zu. Die Ausübung des Direktionsrecht im Einzelfall muss billigem Ermessen entsprechen.
Der 5. Senat hat in einem Rechtsstreit über Annahmeverzugsvergütung nach unwirksamer Arbeitgeberkündigung entschieden, dass es für den Bestand der Ansprüche auf Arbeitsentgelt wegen Annahmeverzugs darauf ankomme, ob die verweigerte Weisung nicht lediglich unbillig, sondern (auch) aus anderen Gründen unwirksam sei. Allein der Umstand, dass die Weisung nicht billigem Ermessen entsprochen hat, führe noch nicht zu deren Unwirksamkeit. Eine unbillige Leistungsbestimmung sei nicht nichtig, sondern nur unverbindlich (vgl. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Der Arbeitnehmer durfte sich nach Auffassung des 5. Senats somit über die Weisung nicht hinwegsetzten, sondern musste diese zunächst befolgen bis eine Klärung durch die Gerichte für Arbeitssachen erfolgt ist. Diese Entscheidung ist in der Literatur verschiedentlich stark kritisiert worden. Auch einzelne Instanzgerichte haben sich der Rechtsauffassung des 5. Senats nicht angeschlossen (vgl. z.B. LAG Hamm vom 17.03.2016 – 17 Sa 1660/15 sowie den Kommentar von Groß und den Blogbeitrag von Schröder).
Mögliche Auswirkungen einer geänderten Rechtsprechung für die Praxis
Nach dem 10. Senat steht dem Arbeitnehmer künftig ein einseitiges Leistungsverweigerungsrecht auch in Bezug auf (lediglich) unbillige Weisungen zu. Allerdings stellen sich zahlreiche Folgefragen, die einer – zum Teil vorgenommenen – einseitigen Bewertung der Auffassung des 10. Senats als arbeitnehmerfreundlich widersprechen.
Ein einseitiges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers bedeutet, dass sich der Arbeitnehmer effektiv gegen Weisungen zur Wehr setzen kann, ohne den Rechtsweg beschreiten zu müssen. Die Ausübung dieses Leistungsverweigerungsrecht ist für den Arbeitnehmer – wenn die Weisung nicht offenkundig unbillig ist – jedoch nicht ohne Risiko. Stellt sich die Weisung nämlich nachträglich als billig und damit verbindlich heraus, war die Leistungsverweigerung unberechtigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber auf eine unberechtigte Leistungsverweigerung mit der Kürzung der Vergütung und ggf. der Kündigung des Arbeitsverhältnisses reagieren. Jedenfalls in Zweifelsfällen sind Arbeitnehmer daher weiterhin gut beraten, einer evtl. unbilligen Weisung (zumindest vorläufig) Folge zu leisten.
Das Risiko einer Falschbewertung kann der Arbeitnehmer in der Regel auch nicht durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtschutzes minimieren. Insbesondere kann der Arbeitnehmer die Unbilligkeit der Weisung nicht im Wege einer einstweiligen Feststellungsverfügung klären lassen.
Vorläufiges Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob der 5. Senat sich der Auffassung des 10. Senats anschließt oder ob der Große Senat die Rechtsfrage entscheiden muss. Ungeachtet dessen dürften sich die praktischen Folgen in Grenzen halten, jedenfalls solange der Arbeitnehmer das Risiko einer unberechtigten Leistungsverweigerung trägt.