Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats haben in den letzten Jahren und v.a. Monaten verstärkt die Gerichte beschäftigt. Dabei stritten die Landesarbeitsgerichte (siehe auch Bernd Weller, Handelsblatt Rechtsboard vom 27.06.2016) auf Basis durchaus gegenläufiger Standpunkte – die einen Gerichte hielten die Betriebsräte für „allzuständig“ und insbesondere dazu berechtigt, allgemeine Beschäftigungsbedingungen festzulegen, andere Gerichte hingegen sahen die Systematik des BetrVG durch eine derart weite Auslegung bedroht und forderten die Feststellung konkreter Gesundheitsgefahren vor dem Eingreifen erzwingbarer Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
„BAG-Serie“ zu Gesundheitsschutz
Das BAG hat nun in einer Serie von Entscheidungen selbst Stellung dazu bezogen:
Schon im Jahr 1990 (BAG, Beschl. v. 13.02.1990 – 1 ABR 11/89) hatte das BAG klar formuliert, dass es „nicht Aufgabe des Betriebsrats sein, einen besseren Gesundheitsschutz im Betrieb durchzusetzen, als er durch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Gesundheitsschutzes umschrieben“ werde. In der Grundsatzentscheidung vom 28.03.2017 (1 ABR 25/15) führt das BAG dies weiter aus:
„Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. … Allerdings geht der Senat bei sehr weit gefassten Generalklauseln des Gesundheitsschutzes aus gesetzessystematischen Gründen davon aus, das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG könne nicht so umfassend sein, dass anderen auf den Gesundheitsschutz bezogenen Vorschriften (§ 88 Nr. 1 und § 91 BetrVG) der Anwendungsbereich entzogen würde. Dies wäre der Fall, wenn bei solchen Generalklauseln ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG einschränkungslos bejaht würde. … § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG setzt … das Vorliegen konkreter Gefährdungen iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG voraus (Pieper AuR 2016, 32). … Für die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten beeinflussen, ist eine Gefährdungsbeurteilung iSd. § 5 Abs. 1 ArbSchG unerlässlich. Angemessene und geeignete Schutzmaßnahmen lassen sich erst ergreifen – und des Weiteren auf ihre Wirksamkeit überprüfen – wenn das Gefährdungspotential von Arbeit für die Beschäftigten bekannt ist.“
Dieselbe Linie bestätigte das BAG dann mit der Entscheidung vom 25.04.2017 – 1 ABR 46/15.
BAG vom 18. Juli 2017 – 1 ABR 59/15
Auch mit seiner jüngsten Entscheidung zum Gesundheitsschutz am 18. Juli 2017 bestätigt das BAG einmal mehr seine neue (alte?) Rechtsprechung. Die Entscheidung hält aber noch eine weitere wesentliche Aussage parat. Worum ging es? In einer Bank hatte der Gesamtbetriebsrat per Gesamtbetriebsvereinbarung unternehmenseinheitliche Bekleidungsvorschriften gemacht und dabei u.a. die Krawattenpflicht für männliche Bedienstete festgeschrieben. Ein (für 80 Filialen zuständiger) Betriebsrat setzte in einer betrieblichen Einigungsstelle zum „Gesundheitsschutz/Raumklima“) mittels Spruchs der Einigungsstelle durch, dass die Herren zum Gesundheitsschutz ab einer Raumtemperatur von mehr als 30°C auf das Tragen von Krawatten verzichten dürfen.
Highlander-Prinzip
Der Arbeitgeber focht diesen Spruch der Einigungsstelle u.a. mit der Begründung an, der Spruch der Einigungsstelle verstoße gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Unternehmenskleidung und greife rechtswidrig in das Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrats ein. Nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gilt bei Mitbestimmungsrechten nämlich das sog. „Highlander-Prinzip“ für die Zuständigkeit zur Ausübung der Mitbestimmungsrechte: Es ist immer nur ein Gremium allein und umfassend zuständig für die Ausübung des jeweiligen Mitbestimmungsrechts. Folgerichtig darf ein anderes, unzuständiges Gremium, nicht in (bestehende) Regelung eines anderen Gremiums eingreifen.
Einschränkung des Highlander-Prinzips – aber wie?
Eben dieses Highlander-Prinzip schränkt das BAG nun ein. Im konkreten Fall stand dem Gesamtbetriebsrat das originäre Mitbestimmungsrecht für die Regelung der Unternehmenskleidung zu, dem lokalen Betriebsrat hingegen das Mitbestimmungsrecht zum Gesundheitsschutz. Bei der Frage der Krawattenpflicht – ab einer bestimmten Raumtemperatur – überlappten sich nun beide Mitbestimmungsrechte und Regelungskreise. Während das LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 21. Oktober 2015 – 4 TaBV 2/15) noch eine Abwägung beider Mitbestimmungsrechte, eine Art „praktische Konkordanzprüfung“ vornahm, schweigt das BAG insoweit völlig. Es führt aus, der Gesamtbetriebsrat sei für die Unternehmensbekleidung, der örtliche Betriebsrat hingegen für den Gesundheitsschutz zuständig. Es schließt daraus, dass – mangels Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Gesundheitsschutz – das Vorliegen der Gesamtbetriebsvereinbarung unbeachtlich für die Überprüfung des Spruchs der Einigungsstelle sei.
Kritik
Die Entscheidung des BAG ist in der Sache richtig; leider ist die Begründung des BAG aber in wesentlichen Teilen lückenhaft.
Es begründet seine Entscheidung damit, dass „aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die eine Regelungsmaterie keine solche für die andere [folge](vgl. Interessenausgleich und Sozialplan…)“. Das ist sicherlich richtig, trifft aber den Sachverhalt und die Rechtsfrage im konkreten Fall nicht richtig. Der Interessenausgleich beinhaltet schließlich eine andere Regelungsfrage (Wie soll eine Betriebsänderung umgesetzt werden?) als der Sozialplan (Wie sollen betroffene Arbeitnehmer für infolge der Umsetzung der Betriebsänderung eintretende wirtschaftliche Nachteile entschädigt werden?). Eine Überlappung der Regelungen aus beiden Beteiligungsrechten – § 111 und § 112 BetrVG – kommt aber gerade nicht.
Hier ging es um die Regelungsfragen „Wie sollen unsere Arbeitnehmer sich bekleiden“ und „Wie können wir unsere Arbeitnehmer bei Hitze / Kälte entlasten?“ Dabei können sich die Antworten auf beide Fragen, also die Regelungen – wie der vorliegende Fall deutlich zeigt – sehr wohl widersprechen.
Die Regelung der einheitlichen Unternehmensbekleidung beinhaltet zudem immer auch Aspekte des Gesundheitsschutzes (bspw. Stoffqualität, toxische Unbedenklichkeit, Hautverträglichkeit etc.). Diese wiederum können nur einheitlich mit der Frage der Unternehmensbekleidung entschieden werden; insoweit aber berührt die Regelung der Unternehmensbekleidung immer auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Nr. 7 BetrVG, für dessen Ausübung der Gesamtbetriebsrat ebenfalls originär zuständig ist. Mit der Auswahl bestimmter Stoffe und Schnitte nimmt der Gesamtbetriebsrat demnach sehr wohl – und zu Recht – ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Nr. 7 BetrVG wahr.
An anderer Stelle (BAG vom 17.01.2012 – 1 ABR 45/10) vertritt das BAG die Auffassung, dass die Einführung einer unternehmensweit einheitlichen Unternehmenskleidung dann nicht wirksam durch Spruch der Einigungsstelle erfolgt sei, wenn diese nicht zugleich die örtlichen Umkleidemöglichkeiten regele. Dabei nahm das BAG (wohl) ohne weiteres an, dass der Gesamtbetriebsrat auch das Recht und die Pflicht habe, die Lage und Beschaffenheit von Umkleideräumen in den einzelnen Betriebe zu regeln – obwohl dort doch wieder das Mitbestimmungsrecht des örtlichen Betriebsrats nach § 87 Nr. 7 BetrVG betroffen wäre.
Insgesamt ist die Linie des BAG demnach inkonsistent und stellt die Praxis für schwer zu überbrückende Widersprüche.
Völlig richtig ist im Ausgangspunkt, dass eine Regelung nicht ausnahmslos und immer vollständig in die alleinige Regelungszuständigkeit eines Gremiums fällt; im Gegenteil – das Überlappen von Mitbestimmungstatbeständen bei betrieblichen Regelungen ist eher die Regel denn die Ausnahme. Wenn dies so ist, muss zwingend eine Abgrenzung beider Zuständigkeitsbereiche gefunden werden; das Müller-Prinzip („Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“) kann schwerlich richtig sein. Ebenso wenig kann es aber richtig sein, dass immer das Gremium die Oberhand behält, das seine Regelung zuletzt trifft.
Der einzig richtige Ausweg aus diesem Dilemma ist derjenige, den die Rechtsprechung stets bei der Abgrenzung konfligierender Rechtskreise wählt – die Abwägung, die bei Grundrechten praktische Konkordanz genannt wird. Es ist also im Hinblick auf die konkrete Regelung – wie das LAG Baden-Württemberg dies in seiner zweitinstanzlichen Entscheidung angedeutet hat – zu prüfen, wie beide Zuständigkeitsbereiche bestmöglich und unter größtmöglicher Achtung des jeweils anderen Mitbestimmungsrechts voneinander abzugrenzen sind. Im vorliegenden Falle gilt damit zunächst der Vorrang der Mitbestimmung des Gesamtbetriebsrats bis zu dem Punkt, an dem der Gesundheitsschutz wichtiger wird – ab einer Raumtemperatur von mehr als 30°C. Der zeitliche Eingriff in die Mitbestimmungshoheit des Gesamtbetriebsrats ist angesichts der besonderen Voraussetzung des Eingriffs (hohe Raumtemperatur) angemessen und damit wirksam. Leider hat es das BAG versäumt, diese, seiner Entscheidung (greifbar) zugrunde liegenden Erwägungen auch zum Ausdruck zu bringen.