Der Referentenentwurf der Bundesregierung vom 17.04.2018 für ein „Gesetz zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts“ will in zwei Punkten tarifliche Regelungen der Brückenteilzeit zulassen: Nach dem neuen § 9a Abs. 6 TzBfG soll der gesetzliche Rahmen für den begehrten Zeitraum der Arbeitszeitverringerung durch Tarifvertrag auch zuungunsten des Arbeitnehmers verändert werden können. Praktisch sollen, wie es in der Begründung heißt, abweichend vom gesetzlichen Regelfall die Mindestdauer der Brückenteilzeit auf mehr oder weniger als ein Jahr und die Höchstdauer auf mehr oder weniger als fünf Jahre festgelegt werden können. Nach dem weiter geltenden § 8 Abs. 4 Satz 3 TzBfG sollen die Gründe, aus denen der Arbeitgeber die Gewährung von Brückenteilzeit ablehnen kann, durch Tarifvertrag festgelegt werden können.
Nimmt man die ab 01.01.2019 geltenden einschlägigen Bestimmungen der Manteltarifverträge für die Metallindustrie als Vergleichsmaßstab, werden diese Gestaltungsmöglichkeiten den Bedürfnissen der Tarifpraxis nur teilweise gerecht. Dass dort eine Laufzeit der Brückenteilzeit von mindestens sechs und höchstens 24 ganzen Monaten vorgesehen ist, ist durch den Tarifvorbehalt des § 9a Abs. 6 TzBfG des Referentenentwurfs gedeckt. Auch dass der Arbeitgeber nach Überprüfung unter Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds den Anspruch ablehnen kann, wenn seiner Auffassung nach das entfallende Arbeitsvolumen voraussichtlich nicht mit der entsprechenden Qualifikation kompensiert werden kann, wird man noch als eine tarifliche Regelung der Ablehnungsgründe im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 3 TzBfG ansehen können.
Regelbarkeit der Quote fehlt
Keine Entsprechung findet im Gesetz aber die in den Manteltarifverträgen enthaltene Befugnis des Arbeitgebers, den Antrag abzulehnen, wenn und solange 10% der Beschäftigten des Betriebs von einer verkürzten Vollzeit Gebrauch machen oder wenn eine Gesamt – Überlastquote von 18% der Beschäftigten mit einer individuellen regelmäßigen Wochenarbeitszeit (IRWAZ) von weniger als 35 Stunden überschritten wird. Zwar ist das BAG bisher davon ausgegangen, dass die Festlegung einer Quote von Teilzeitarbeitsplätzen im Verhältnis zu Vollzeitarbeitsplätzen die Konkretisierung eines entgegenstehenden betrieblichen Grundes nach § 8 Abs. 4 Satz 3 TzBfG darstellen kann (zuletzt BAG vom 21.11.2006 – 9 AZR 138/06, DB 2007 S. 2155). Mit der vorgesehenen Neuregelung lässt sich das aber nicht mehr vereinbaren. Der Referentenentwurf sieht nunmehr, beschränkt auf Arbeitgeber mit zwischen 46 und 200 Arbeitnehmern, eine eigene gesetzliche Quotenregelung vor. Dass er für Arbeitgeber mit mehr als 200 Beschäftigten auf eine solche Überforderungsregel verzichtet, führt zu dem Schluss, dass er diese auf die im Einzelnen begründete Ablehnung aus betrieblichen Gründen verweisen will. Ist das nicht die Absicht des Gesetzgebers, muss er das jedenfalls klarstellen.
Gestattet das Gesetz Tarifverträgen, von seinen Vorschriften abzuweichen (tarifdispositives Recht), erlaubt es auch nicht tarifgebundenen, unter den Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern regelmäßig die Anwendung der tariflichen Regelungen. So geschieht es auch in Satz 4 des nach dem Referentenentwurf aufrecht zu erhaltenden § 8 Abs. 4 TzBfG. Anderes sieht der Entwurf aber für die Tarifdispositivität des gesetzlichen Rahmens für die Brückenzeit vor. Sein § 9a Abs. 6 TzBfG beschränkt sich auf die Bestimmung, dass durch Tarifvertrag der Rahmen für den begehrten Zeitraum der Arbeitszeitverringerung auch zuungunsten des Arbeitnehmers abweichend festgelegt werden kann. Damit schließt er eine abweichende Regelung durch Bezugnahme im Arbeitsvertrag nicht tarifgebundener Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus. Für diese gilt dann der in § 22 Abs. 1 TzBfG ausdrücklich festgelegte Grundsatz, dass von den Vorschriften des Gesetzes nicht abgewichen werden kann.
Ausschluss arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Regelungen des Brückenzeitraums
Motiv dieser Regelung ist ersichtlich die in letzter Zeit viel berufene „Stärkung der Tarifautonomie“. Wie im Rahmen der 2017 erfolgten Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung soll auf diese Weise ein Anreiz zur Tarifbindung gesetzt werden. Dieser Weg ist aus zwei Gründen ein Holzweg:
Benachteiligung organisierter Arbeitnehmer
Einmal führte er dazu, dass Arbeitgeber sich gegenüber ihren tarifgebundenen Arbeitnehmern auf die tariflich festgelegte verkürzte Brückenteilzeit berufen könnten, gegenüber ihren nicht organisierten Arbeitnehmern aber nicht. Da diese auf den Tarifvertrag nur arbeitsvertraglich Bezug nehmen können, stießen sie auf die zwingende Wirkung des § 22 Absatz 1 TzBfG.
Dagegen lässt sich nicht einwenden, eine Tarifnorm, welche den Zeitraum für die Brückenteilzeit regelt, sei eine Betriebsnorm, die nach § 3 Abs. 2 TVG gleichermaßen für die tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer des tarifgebundenen Arbeitgebers gelte. Denn wie das BAG in seinem Urteil vom 18.9.2001 (9 AZR 397/00, DB 2002, 486) für den Parallelfall der tariflichen Regelung des Anspruchs auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags festgestellt hat, gehört eine solche Regelung zu den Inhaltsnormen, die nach § 3 Abs. 1 TVG nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit gelten. Nicht einmal eine entsprechende Quotenregelung stellt nach diesem Urteil eine Betriebsnorm i.S.v. § 3 Abs. 2 TVG dar. Damit kann aber auch die tarifliche Regelung des Zeitraums, für den ein Anspruch auf Brückenteilzeit geltend gemacht werden kann, nicht als Betriebsnorm angesehen werden. Soll sich der Arbeitgeber auch gegenüber seinen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern auf eine solche Regelung berufen können, muss das Gesetz die Tarifdispositivität auch auf die arbeitsvertragliche Bezugnahme erstrecken.
Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit nicht organisierter Arbeitgeber
Zum anderen verletzt der Ausschluss nicht tarifgebundener Arbeitgeber von der Möglichkeit, sich durch Bezugnahme auf einen entsprechenden Tarifvertrag eine tarifliche Regelung des Brückenzeitraums zu Eigen zu machen, deren negative Koalitionsfreiheit:
Zwar müssen nicht tarifgebundene Arbeitgeber es als Preis des Fernbleibens von dem für sie zuständigen Arbeitgeberverband grundsätzlich hinnehmen, dass tarifliche Regelungen für sie nicht gelten. Aber darum geht es nicht. Vielmehr versagt der Gesetzgeber den nicht tarifgebundenen Arbeitgebern eine Regelung, die er den tarifgebundenen Arbeitgebern eigens erlaubt. Darin liegt eine Diskriminierung, welche der negativen Koalitionsfreiheit nicht standhält. Dass Art. 9 Abs. 3 GG die negative Koalitionsfreiheit gleichermaßen schützt wie die positive, zwingt nämlich, wie es das OLG Düsseldorf jüngst formuliert hat, zu der Erkenntnis, dass der Erhalt und die Absicherung kollektiver Arbeitnehmerrechte keine besonders zu schützende Gemeinwohlbelange sein können, weil sonst der positiven Koalitionsfreiheit eine größere Bedeutung beigemessen würde als der negativen (OLG Düsseldorf vom 12.07.2016 – VI – Kart 3/16 [V], BB 2016 S. 1741). So wie es das OLG Düsseldorf aus diesem Grund abgelehnt hat, den Erhalt der bestehenden, über Tarifverträge nach § 3 BetrVG geregelten Mitbestimmungsstrukturen im Rahmen der Überprüfung einer Ministererlaubnis nach § 42 Absatz 1 GWB als im Allgemeininteresse liegend zu berücksichtigen, ist es ausgeschlossen, gesetzliche Regelungen des Teilzeitrechts oder des Arbeitnehmerüberlassungsrechts (dazu Löwisch, DB 2017 S. 1449) zu dem Zweck einzusetzen mehr Tarifbindung herbeizuführen. Derartige gesetzgeberische Maßnahmen verletzen die durch Art. 9 Abs. 3 GG gebotene staatliche Neutralität und greifen deshalb unverhältnismäßig in die negative Koalitionsfreiheit ein.
Unbegründete Bevorzugung öffentlich finanzierter Arbeitgeber
Dass die vom Referentenentwurf vorgesehene Regelung ins verfassungsrechtliche Abseits führt, wird auch an der von ihm veränderten Ausnahmevorschrift des § 22 Abs. 2 TzBfG sichtbar. Nach der Änderung soll ein Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der Bestimmungen im Sinne von § 8 Abs. 4 Sätze 3 und 4 auch in Verbindung mit § 9a Abs. 2, § 9a Abs. 6 TzBfG enthält, auch zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern außerhalb des öffentlichen Dienstes gelten, wenn die Anwendung der für den öffentlichen Dienst gelten tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen ihnen vereinbart ist und die Arbeitgeber die Kosten des Betriebs überwiegend mit Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts decken. Regelte § 22 Abs. 2 TzBfG bisher nur, dass die Beschränkung der dispensierenden Bezugnahme auf Arbeitgeber, die unter den Geltungsbereich des in Bezug genommenen Tarifvertrags fallen, für solche Arbeitgeber aufgehoben wurde, würde sie nunmehr auch bedeuten, dass allein diese nicht tarifgebundenen Arbeitgeber an tariflichen Modifikationen des Brückenzeitraums partizipieren können. Diese Ungleichbehandlung ist willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG: Warum soll ein privat oder kirchlich finanziertes Krankenhaus nicht an einer tariflichen Verkürzung des Brückenzeitraums teilhaben können, während dem öffentlich finanzierten Krankenhaus dies Möglichkeit offen steht?
Zusätzliche Verdrängung von Minderheitstarifverträgen
Der Ausschluss der arbeitsvertraglichen Bezugnahme von der Tarifdispositivität wird schließlich auch nicht der Bedeutung gerecht, welche das Bundesverfassungsgericht in seinem Tarifeinheitsurteil dieser Möglichkeit unter dem Aspekt der Zumutbarkeit der Verdrängungswirkung des § 4a TVG zugemessen hat: Werde auf einen anderen Tarifvertrag lediglich arbeitsvertraglich Bezug genommen, fehle es von vornherein an einer Tarifkollision, so dass eine Verdrängungswirkung gar nicht eintrete (BVerfG vom 11.07.2017, 1 BvL 1571/15, NJW 2017,2523, Rn 184). Wird aber, wie im geplanten § 9a Abs. 6 TzBfG, die Tarifdispositivität auf normative tarifliche Regelungen beschränkt, geht die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf modifizierende Regelungen des Minderheitstarifvertrags ins Leere und kann ihre die Verdrängungswirkung korrigierende Funktion nicht erfüllen. Auch das sollte sich der Gesetzgeber vor Augen führen.