Der Arbeitgeber weigerte sich, die Direktversicherung eines Arbeitnehmers zu kündigen. Der Arbeitnehmer befand sich in einer finanziellen Notlage, weil er mit der Rückführung eines Baudarlehens in Rückstand war. Seine betriebliche Altersversorgung wurde über eine Direktversicherung abgewickelt, deren Versicherungsnehmer der Arbeitgeber war. Der Arbeitnehmer forderte den Arbeitgeber auf, die Direktversicherung zu kündigen, damit der Rückkaufswert der Versicherung an ihn ausgezahlt würde. Das Bundesarbeitsgericht (vom 26.04.2018 – 3 AZR 586/16) hat die ablehnende Haltung des Arbeitgebers bestätigt. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, auf Wunsch eines Arbeitnehmers dessen Direktversicherung zu kündigen.
Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis
Das Arbeitsverhältnis zwischen den streitenden Parteien war noch nicht beendet. Das Recht, die Direktversicherung eines Arbeitnehmers zu kündigen, liegt beim Arbeitgeber als Versicherungsnehmer. Der Arbeitnehmer ist „nur“ die versicherte Person und bezugsberechtigt auf Leistungen aus der Direktversicherung. Das Recht auf Kündigung liegt gleichwohl beim Versicherungsnehmer.
Wie in jedem Schuldverhältnis besteht auch im Arbeitsverhältnis eine gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 BGB). Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers zu wahren hat. Die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers gilt auch für die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Auflösung der Direktversicherung dennoch nicht verlangt werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn die finanzielle Notlage mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang steht. Der Kläger hatte behauptet, seine Notlage sei die Folge von verspäteten Entgeltzahlungen gewesen. Dennoch ordnen die Erfurter Richter sozialpolitische Gesichtspunkte höher ein, was es dem Arbeitgeber erlaubt, die Kündigung abzulehnen.
Sozialpolitische Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung
Das Gericht führt aus, dass die betriebliche Altersversorgung den Lebensstandard des Arbeitnehmers oder gegebenenfalls seiner Hinterbliebenen nach Ausscheiden aus dem Berufs- bzw. Erwerbsleben zumindest teilweise sichern solle, da das beständig sinkende Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung zu Versorgungslücken führe. Daher liege es auch im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers, seine betriebliche Altersversorgung aufrecht zu erhalten.
Mit der Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf Entgeltumwandlung zum Zweck der betrieblichen Altersversorgung in § 1a BetrAVG habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er dieses Interesse fördern wolle. Betriebsrentenanwartschaften würden angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung möglichst lückenlos bis zum Eintritt des Versorgungsfalls durch das Betriebsrentengesetz gesichert und erhalten. Es solle verhindert werden, dass unverfallbare Anwartschaften vor Eintritt des Versorgungsfalls ausgezahlt und für die Vermögensbildung, den Ausgleich von Schulden oder den Konsum statt für die vorgesehene Versorgung verwendet werden.
Wahrung des Versorgungszwecks
Diese dem Gesetz zugrundeliegenden Wertungen hat das BAG bei der Bestimmung von Inhalt und Grenzen der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers herangezogen. Demnach widerspräche es dem Versorgungszweck der betrieblichen Altersversorgung, wenn der Arbeitnehmer die Beendigung der Direktversicherung vorzeitig erzwingen und das angesparte Kapital zur Tilgung von Schulden verwerten könnte.
Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass der Arbeitnehmer kein schützenswertes Interesse habe, das es erlauben würde, die bezweckte Absicherung im Alter zu beseitigen. Mit der gesetzlichen Zwecksetzung der Entgeltumwandlung sei es nicht vereinbar, wenn der Kläger von seinem Arbeitgeber verlangen könnte, die Direktversicherung zu kündigen, um Verbindlichkeiten zu tilgen.
Bedeutung für die Praxis
Die Kündigung einer Direktversicherung im bestehenden Arbeitsverhältnis ist rechtlich möglich. Erst nach dem Ausscheiden ist die Verwertung des Rückkaufswertes ausgeschlossen (§ 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG). Will der Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses seine Anwartschaft liquidieren und veranlasst er daher den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer, den Versicherungsvertrag zu kündigen, wird damit die arbeitsvertragliche Versorgungszusage in zulässiger Weise geändert oder aufgehoben (hierzu schon BGH vom 8. Juni 2016 – IV ZR 346/15).
Im Regelfall kann der Arbeitnehmer aber vom Arbeitgeber nicht gegen dessen Willen verlangen, dass dieser eine Direktversicherung kündigt. Die Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung ist in der Regel höher einzuordnen als die sonstigen Interessen des Arbeitnehmers. Die beabsichtigte Zahlung von Schulden reicht nicht aus, um die Kündigung durch den Arbeitgeber zu erzwingen.
Ob es Ausnahmen geben kann, in denen ein Interesse des Arbeitnehmers eine Kündigung erforderlich macht, hat das BAG offen gelassen. Den Entscheidungsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass hierfür zumindest eine akute Notlage gegeben sein müsste. Außer dem Beispiel einer drohenden Zwangsversteigerung nennt das BAG keine weiteren Kriterien. Die Anforderungen dürften aber hoch sein. Eine bloß abstrakte Gefahr reicht nicht aus.
Die Grundsätze zur Kündigung einer Direktversicherung dürften auch dann gelten, wenn der Arbeitnehmer eine Abfindung von Versorgungsanwartschaften aus anderen Durchführungswegen verlangt. Abfindungen sind einvernehmlich im laufenden Arbeitsverhältnis möglich. Doch lassen sich auch hier die vom BAG dargestellten Überlegungen anführen, die gegen eine Kündigung der Direktversicherung sprechen. Im Regelfall wird ein Arbeitnehmer aus denselben Gründen nicht den Abschluss einer Abfindungsvereinbarung gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen können.