Arbeitgeber und Betriebsrat können bei einer Betriebsänderung im Interesse des Arbeitgebers zusätzlich zu einem Sozialplan in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung Leistungen für den Fall vorsehen, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht oder nach Abschluss der Betriebsvereinbarung einen Aufhebungsvertrag schließt. Sie dürfen Arbeitnehmer hiervon ausnehmen, die vor einem Stichtag, der vor dem Abschluss der Betriebsvereinbarung liegt, bereits einen Aufhebungsvertrag geschlossen hatten. Das hat das LAG Nürnberg in einem Urteil vom 16.01.2018 entschieden.
Der Fall
Der 1953 geborene Kläger hatte am 25.09.2015 einen Aufhebungsvertrag zum 30. April 2016 geschlossen. Danach stand ihm eine Abfindung in Höhe von 80.000 € zu. Am 14.10.2015 schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat einen freiwilligen Interessenausgleich und Sozialplan. Der Sozialplan enthielt einen Stichtag 01.10.2015. Außerdem schlossen die Parteien eine weitere Betriebsvereinbarung, welche eine zusätzliche Abfindung bei Klageverzicht im Zusammenhang mit den Maßnahmen aus dem Interessenausgleich enthält. Nach dem Sozialplan hätte dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 75.000 € und nach der freiwilligen Betriebsvereinbarung bei Klageverzicht nach Kündigung ein Anspruch auf weitere 75.000 € zugestanden. Der Kläger verlangte die Differenz zwischen der erhaltenen Abfindung und dem Betrag von 150.000 €. Mit seiner Klage war er in beiden Instanzen nicht erfolgreich.
Sozialplanabfindung für alle?!
Die Entscheidung betrifft eine ganze Reihe wichtiger Aspekte im Zusammenhang mit Sozialplanverhandlungen. Aus dem Zweck des Sozialplans, die wirtschaftlichen Folgen einer Betriebsänderung auszugleichen oder zu mildern, folgt die Verpflichtung der Betriebspartner, betriebsbedingte Kündigungen und arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsverträge gleich zu behandeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben sogar Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung Anspruch auf die Sozialplanabfindung, wenn ihre Kündigung durch den Arbeitgeber veranlasst ist.
Im Rahmen ihres weiten Regelungsermessens sind die Betriebspartner aber frei in der Entscheidung, welche wirtschaftlichen Nachteile durch welche Leistungen ausgeglichen oder gemildert werden sollen. In diesem Zusammenhang sind auch Regelungen zulässig, wonach Sachverhalte vor einem bestimmten Stichtag keinen Sozialplananspruch auslösen. Voraussetzung ist aber, dass der Stichtag am gegebenen Sachverhalt orientiert ist. Der im vorliegenden Fall gewählte Stichtag lag etwa 14 Tag vor Abschluss des Sozialplans und war damit nicht zu beanstanden.
Im entschiedenen Fall hatten die Parteien in dem Aufhebungsvertrag eine Anrechnungs- und Abgeltungsklausel vereinbart. Die Abgeltungsklausel hätte den Sozialplananspruch, wenn er denn bestanden hätte, nicht beseitigen können. Über den Anspruch aus dem Sozialplan hätten die Arbeitsvertragsparteien nämlich nach § 77 Abs. 4 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats disponieren können. Die Anrechnungsklausel hingegen war wirksam. Sie sah die Anrechnung der Sozialplanabfindung auf die individualrechtlich vereinbarte Abfindung vor. Das stellt eine Disposition über die individualrechtlich vereinbarte Abfindung dar, die im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässig ist. Eine umgekehrte Anrechnung wäre nicht zulässig gewesen. Über das Schicksal der Sozialplanabfindung können die Parteien ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht wirksam verfügen.
Turboprämien in freiwilligen Betriebsvereinbarungen
Das LAG Nürnberg bestätigt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Betriebsparteien neben dem Sozialplan in einer zusätzlichen freiwilligen Betriebsvereinbarung Zahlungsansprüche für den Fall der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage regeln können, wenn dadurch der Zweck des Sozialplans nicht unterlaufen wird. Die Arbeitsgerichte erkennen das Interesse des Arbeitgebers an, möglichst schnell Planungssicherheit im Hinblick auf die beendigten Arbeitsverhältnisse zu erlangen. Daher ist es zulässig, Arbeitnehmer finanziell zu belohnen, die die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses akzeptieren. Solche Zahlungen sind als Turboprämien bekannt geworden und heute weit verbreitet.
Allerdings zeigt die Entscheidung zwei neue Aspekte auf. Zum einen lässt sie in der freiwilligen Betriebsvereinbarung anders als im Sozialplan eine Differenzierung zwischen betriebsbedingten Kündigungen und arbeitgeberseitig veranlassten Aufhebungsverträgen zu. Das dürfte aus rechtlicher Sicht in Ordnung sein. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer früheren Entscheidung zum Ausdruck gebracht, dass für die Anspruchsvoraussetzungen bei Turboprämien nicht die gleichen Voraussetzungen gelten müssen wie beim Sozialplananspruch. Ob es personalpolitisch klug ist, die Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage finanziell zu belohnen, nicht aber den Abschluss eines Aufhebungsvertrages, ist eine andere Frage.
Zum anderen billigt das Gericht eine Turboprämie, die in der Höhe dem Sozialplananspruch entspricht. Die vom BAG bisher entschiedenen Fälle betrafen jeweils Turboprämien, die deutlich niedriger lagen. Ob durch eine Turboprämie, die dem Sozialplananspruch entspricht, der Zweck des Sozialplans unterlaufen wird, ist eine Einzelfallentscheidung. Der Zweck des Sozialplans wäre sicherlich dann unterlaufen, wenn wegen der Turboprämie das Sozialplanvolumen nicht ausreichend wäre. Im vorliegenden Fall wird zwar die Betriebszugehörigkeit des Klägers mit mehr als 27 Jahren, nicht jedoch sein Monatsgehalt mitgeteilt. Daher lässt sich eine Abfindungsformel nicht errechnen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass das LAG diesen Gesichtspunkt nicht thematisiert hat.
Ob überhaupt die Überlegungen des BAG zur Ausgleichsfunktion der Sozialplanabfindung und der daraus folgenden Beschränkung für die Ausgestaltung von Turboprämien im Falle eines freiwilligen Sozialplans Anwendung finden, wäre eine eigene Betrachtung wert. Am Ergebnis des vorliegenden Falles hätte sich daran nichts geändert.
Erfreulicherweise ist es auch in Zukunft möglich, durch die Vereinbarung von Turboprämien arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Diese Turboprämien können auch an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden, wenn die darin liegende Gruppenbildung sachlich gerechtfertigt ist. Voraussetzung ist aber, dass der Sozialplan selbst angemessen dotiert ist. Es bleibt abzuwarten, ob auch das Bundesarbeitsgericht eine Turboprämie in Höhe des Sozialplananspruchs akzeptieren wird.