Arbeitgeber sind grundsätzlich berechtigt, zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer vor oder während der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen durch Zusage einer sog. Streikbruchprämie von der Teilnahme an Streikmaßnahmen abzuhalten. Das hat das Bundesarbeitsgericht in einer noch nicht veröffentlichten Entscheidung vom 14.08.2018 (1 AZR 287/17, vgl. PM 39/18) bekräftigt.
Der Ausgangsfall
Der Entscheidung lag die Klage eines Verkäufers im Einzelhandel zugrunde. Das beklagte Einzelhandelsunternehmen war in den Jahren 2015 und 2016 durch die Gewerkschaft ver.di an acht Tagen von Streikmaßnahmen überzogen worden. Noch vor Beginn des Streiks hatte die Beklagte durch Aushang allen arbeitswilligen Mitarbeitern, die bei einem Streik ihrer regulären Tätigkeit nachgehen und nicht streiken, zunächst eine Prämie in Höhe von € 200 brutto und später von € 100 brutto je Streiktag in Aussicht gestellt. Der Kläger, der ein Bruttomonatseinkommen von € 1.480 brutto bezog, war dem gewerkschaftlichen Streikaufruf gefolgt und hatte an mehreren Tagen seine Arbeit niedergelegt. Dennoch verlangte er unter Hinweis auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz die Zahlung der Prämien in Höhe von insgesamt € 1.200 brutto – in allen drei Instanzen weitgehend ohne Erfolg. Das LAG Niedersachsen (vom 18.05.2017 – 7 Sa 815/16) war dem Kläger lediglich insoweit gefolgt, als es mit Blick auf das Vergütungsniveau die Zahlung einer Streikbruchprämie in Höhe von € 200 brutto je Streiktag für unverhältnismäßig hielt und daher einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhandlungsparität der Tarifvertragsparteien annahm, was den vom Kläger geltend gemachten Anspruch jedoch auch nicht zu begründen vermochte – keine Gleichheit im Unrecht.
Die Entscheidung
Auch in Erfurt war dem Kläger hinsichtlich seiner Anträge kein Glück beschieden. Im Gegenteil erteilte der Erste Senat sogar den Bedenken des LAG Niedersachsen hinsichtlich der Höhe der Streikbruchprämie eine Absage.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte seine Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1993 (vom 13.07.1993 – 1 AZR 676/92), in der es bereits die grundsätzliche Zulässigkeit von Streikbruchprämien bejaht und deren Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verneint hatte. Zwar erkannte das Bundesarbeitsgericht in der Zusage der Prämienzahlung an alle arbeitswilligen Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber eine Ungleichbehandlung der streikenden und der nicht streikenden Beschäftigten. Diese sei aber aus arbeitskampfrechtlichen Gründen gerechtfertigt: Der Arbeitgeber wolle mit der Prämie drohenden betrieblichen Ablaufstörungen begegnen und damit dem Streikdruck entgegenwirken. Dabei handele es sich um eine grundsätzlich zulässige Maßnahme des Arbeitgebers, für die als solche das Verhältnismäßigkeitsprinzip gelte. Dem genüge die ausgelobte Streikbruchprämie selbst dann, selbst wenn sie den Tagesverdienst der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer um ein Mehrfaches – hier ein Vierfaches – übersteige.
Betonung der Arbeitskampfparität
Die Entscheidung zu der bei Gewerkschaften denkbar unpopulären Streikbruchprämie erging letztlich wenig überraschend. Die Grundsatzentscheidung von 1993 hatte seither die instanzgerichtliche Rechtsprechung geprägt und war auch in der Literatur auf breite – wenn auch nicht einhellige – Zustimmung gestoßen.
Das Bundesarbeitsgericht betont in seiner Pressemitteilung scheinbar Selbstverständliches: Die Kampfmittelfreiheit gilt für beide soziale Gegenspieler. Tatsächlich steht Arbeitgebern nur ein äußerst begrenztes und oftmals nicht sehr hilfreiches Instrumentarium zur Seite, um sich im Arbeitskampf zu behaupten: Neben der Möglichkeit der Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Streikmaßnahmen bleibt dem Arbeitgeber im Wesentlichen das Mittel der Aussperrung, die jedoch oftmals den Schaden des Arbeitgebers noch vertiefen würde, bei der eine komplizierte Aussperrungsarithmetik zu beachten ist und die nicht zuletzt für Unmut bei der arbeitswilligen Belegschaft sorgt. Auch die Möglichkeit, die wirtschaftlichen Folgen des Streiks durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu begrenzen – kein Arbeitskampfmittel im engeren Sinne – wurde dem Arbeitgeber durch den Gesetzgeber mit Schaffung des § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG genommen. Hingegen steht Gewerkschaften spätestens seit der sog. Flashmob-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (vom 22.09.2009 – 1 AZR 972/08) ein bunter Strauß an Arbeitskampfmitteln zur Verfügung, von denen diese nur zu gern Gebrauch machen.
Verdienst der Entscheidung ist somit die Betonung und Stärkung der Arbeitskampfparität, indem Arbeitgebern, die einem Streikaufruf mit Streikbruchprämien begegnen wollen, ein Mehr an Rechtssicherheit zuteil wird: Grenzen hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung der Streikbruchprämie bislang vor allem insoweit gesetzt, als sie vor oder während Arbeitskampfmaßnahmen ausgelobt werden muss. Anderenfalls wäre sie nicht mehr geeignet, das Arbeitskampfgeschehen zu beeinflussen und verstieße daher regelmäßig gegen das Maßregelungsverbot gem. § 612a BGB, wenn sie nicht im Einzelfall durch einen sachlichen Grund, etwa überobligatorische Arbeitsleistung während des Ausstands, gerechtfertigt sei. Schon in seiner Entscheidung aus 1993 hatte das Bundesarbeitsgericht sich zu der Frage nach der noch zulässigen Höhe der Streikbruchprämie nicht verhalten, sondern lediglich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwiesen, der in dem damaligen Fall eindeutig gewahrt war.
Wann eine Streikbruchprämie gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt, etwa weil durch ihre Höhe zu großer Druck auf die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer ausgeübt wird, lässt sich auch der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts nicht entnehmen. Zumindest haben die Erfurter Richter jedoch Klarheit dahingehend geschaffen, dass Streikbruchprämien durchaus großzügig bemessen sein und einen erheblichen Anreiz dafür schaffen dürfen, dem gewerkschaftlichen Streikaufruf nicht zu folgen. Das ist nur folgerichtig. Die Beeinträchtigung der gewerkschaftlichen Kampfführung allein stellt noch keine unzulässige Störung der koalitionsmäßigen Betätigung dar. Sie ist Wesensmerkmal eines durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Arbeitskampfs.
Folgen für den Arbeitskampf
Die höchstrichterliche Bestätigung der Zulässigkeit von Streikbruchprämien, die Betonung des großzügigen Ermessenspielraums des Arbeitgebers bei deren Bemessung und damit verbunden die Schaffung eines höheren Maßes an Rechtssicherheit dürfte die praktische Bedeutung von Streikbruchprämien deutlich befördern. Die Stärkung der Arbeitskampfparität durch den Ersten Senat war dringend notwendig, gerade in Anbetracht zahlreicher Streiks durch Spartengewerkschaften, die trotz Schaffung des Tarifeinheitsgesetzes nicht eingedämmt werden konnten. Dies gilt umso mehr, als dem Arbeitgeber nicht gleichermaßen vielgestaltige und effektive Arbeitskampfmittel zur Verfügung stehen wie der Gewerkschaft.
Wermutstropfen ist, dass eine grundsätzliche Rechtsunsicherheit verbleibt. Dem Arbeitgeber, der die Auslobung einer Streikbruchprämie in Erwägung zieht, sei daher ans Herz gelegt, eine sog. Anwesenheitsprämie in seine Überlegungen einzubeziehen. Durch Anwesenheitsprämien honoriert der Arbeitsgeber generell die Anwesenheit über einen bestimmten Zeitraum hinweg. Er kann sich die Kürzung oder den Entfall für Zeiten ohne Arbeitsleistung aufgrund Krankheit, unbezahltem Urlaub, Eltern- und Pflegezeit und eben Streikteilnahme vorbehalten. Vorzug der Anwesenheitsprämie ist, dass sie kein Mittel des Arbeitskampfes und daher nicht an Art. 9 Abs. 3 GG zu messen ist. Sie wird daher von der Rechtsprechung großzügiger beurteilt – und dürfte auch von tariflichen Maßregelungsverboten nicht erfasst sein. Als Element der betrieblichen Lohngestaltung unterliegt sie allerdings regelmäßig der betrieblichen Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.