Nachteilsausgleichsansprüche spielen in der betrieblichen Praxis eine stark untergeordnete Rolle. Ein vor dem Bundesarbeitsgericht anhängiges Verfahren sowie vereinzelte Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte gaben zuletzt jedoch Anlass darüber nachzudenken, ob Nachteilsausgleichsansprüche jedenfalls bei Massenentlassungen zusätzlich zu Sozialplanansprüchen geltend gemacht werden können. Dies hätte dem Nachteilsausgleich möglicherweise noch einmal eine neue Dimension geben können. Zur Erleichterung des Arbeitgeberlagers hat das BAG derartigen Überlegungen jedoch einen Riegel vorgeschoben und entschieden, dass Nachteilsausgleichs- und Sozialplananspruch auch bei Massenentlassungen miteinander verrechnet und somit nicht kumulativ geltend gemacht werden können.
Sachverhalt
Im Zuge einer Betriebsstilllegung wurde dem späteren Kläger sowie allen anderen Mitarbeitern der Beklagten gekündigt. Zuvor hatte die Beklagte den Betriebsrat über die damit verbundene Massenentlassung unterrichtet. Der Ausspruch der Kündigungen erfolgte allerdings noch vor der dem Beginn von Interessenausgleichsverhandlungen vor der Einigungsstelle.
Der Kläger erstritt zunächst gerichtlich die Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Höhe von acht Bruttomonatsgehältern. Zusätzlich begehrte er dann auch die Zahlung einer Abfindung aus dem später abgeschlossenen Sozialplan. Die Beklagte verweigerte eine weitere Zahlung mit dem Argument, dass der Nachteilsausgleich auf die Sozialplanabfindung anzurechnen sei. Der Kläger meinte hingegen, eine Anrechnung sei aufgrund der Vorgaben der EU-Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) ausgeschlossen, und trug das Verfahren bis zum BAG.
Entscheidung
Sowohl das BAG als auch die Vorinstanzen haben die Rechtsauffassung des Klägers abgelehnt und entschieden, dass Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüche miteinander verrechenbar sind und nicht kumulativ geltend gemacht werden können.
Zur Begründung führt das BAG in der bislang vorliegenden Pressemitteilung aus, dass die Ansprüche weitgehend den gleichen Zweck verfolgen. Dies entspricht auch seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung. Danach soll der Anspruch auf Nachteilsausgleich neben der Sanktionswirkung auch zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile dienen und verfolgt jedenfalls insoweit denselben Zweck wie die Sozialplanleistungen.
Neu war allerdings die Frage, ob die bisherige Rechtsprechung gemeinschaftskonform ist oder gegen die Massenentlassungsrichtlinie verstößt. Diese sieht in Art. 2 Abs. 1 vor, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig vor einer Massenentlassung konsultieren muss. Eine Entschädigungspflicht vergleichbar dem § 113 BetrVG sieht die Richtlinie zwar nicht vor. Art. 6 regelt aber, dass wirksame Sanktionen zur Verfügung stehen müssen. Das BAG führt in seiner Pressemitteilung vom 12.02.2019 aus, dass eine Verletzung der Konsultationspflicht nach der Massenentlassungsrichtlinie nicht zwingend eine Sanktionierung in Form einer Entschädigungszahlung erfordere. Die aus der Verletzung der Konsultationspflicht folgende Unwirksamkeit der Kündigung genügt demnach offenbar als wirksames Sanktionsinstrument.
Fazit
Das Schreckgespenst einer Kumulierung von Nachteilsausgleichs- und Sozialplanansprüchen aufgrund der Massenentlassungsrichtlinie ist mit dem Urteil des BAG gebändigt. Arbeitgeber müssen nicht mit einer Verdoppelung der finanziellen Lasten rechnen, wenn sie irrtümlich oder wissentlich gegen die Vorschriften verstoßen. Allerdings besteht weiterhin das Risiko, dass Nachteilsausgleichsansprüche die Sozialplanforderungen deutlich übersteigen können.