Digitalisierung der Aktie

Die Bundesregierung will ermöglichen, dass Schuldverschreibungen künftig elektronisch begeben und verwahrt werden. Ein begrüßenswertes Vorhaben – jedoch „die Regulierung von elektronischen Aktien soll ggf. zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.“ (Eckpunkte für die regulatorische Behandlung von elektronischen Wertpapieren v. 7.3.2019).

Für Börse und Banken ist die Aktie heute schon ein Digitalisat. Es werden keine Papiere bewegt, sondern Posten auf Konten. Rechtlicher Fixpunkt ist freilich noch die Sammelurkunde, die beim Zentralverwahrer hinterlegt ist. Davon leitet sich eine Verwahrkette ab, die über die Depotbanken (= Intermediäre) zum Aktionär führt. Eine Aktie bekommt der Aktionär allerdings nicht zu Gesicht, sondern nur einen „Nachweis des Anteilsbesitzes“ (§ 123 IV AktG), ausgestellt von seiner Bank bei Inhaberaktien, bei Namensaktien genügt für die Aktionärsstellung gegenüber der Gesellschaft die Eintragung im Aktienregister (§ 67 II AktG). Die Aktie ist in beiden Fällen praktisch ein elektronisch verbuchtes Wertrecht.

Dass noch eine Anbindung an die Sammelurkunde besteht, hat nur mit dem Gutglaubenserwerb zu tun. Er ist theoretisch bei Inhaberaktien möglich, wenn man trotz Einschaltung der Zentralen Gegenpartei (CCP) einen Eigentumsübergang durch Rechtsgeschäft zwischen Veräußerer und Erwerber konstruiert (was äußerst zweifelhaft ist – und in der Praxis keine Rolle spielt). Bei börsengehandelten Namensaktien gibt es keinen Erwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens, da eine wertpapierrechtliche Übertragung nach § 68 I AktG nicht stattfindet. Daher wäre eine Aufgabe des Erfordernisses einer (Sammel-)Urkunde keine Revolution, sondern nur eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse.

Die künftige Digitalisierung der Aktie könnte mit der Zuweisung einer Kennung verbunden werden. Früher waren Stücknummern für die einzelne Aktienurkunde gebräuchlich, was im Zuge des Übergangs zur Sammelurkunde aufgegeben wurde; die urkundliche Einzelnummerierung steht auch den Usancen des Börsenhandels entgegen. Zu erwägen ist unter den neuen Bedingungen der Digitalisierung, die elektronische Aktie mit einem Identitätscode zu versehen. Dann wären die Identifizierung und Information der Aktionäre auf eindeutiger Grundlage möglich, ohne dass es der komplexen Einschaltung einer Kette von Intermediären bedarf. Die vom ARUG II vorgesehene Inpflichtnahme der Depotbanken erwiese sich als Übergangsregime. Ferner entfiele endgültig die überkommene Unterscheidung von Inhaber- und Namensaktien. Und nicht zuletzt gäbe es keine Probleme mit der mehrstufigen Verwahrung, die im worst case zu einer über 100%igen Bestandsbuchung führen kann.

Möglicherweise überholt die technisch-rechtliche Entwicklung den deutschen Gesetzgeber, der  erst „zu einem späteren Zeitpunkt“ (s.o.) aktiv werden will. Im Januar 2019 ist in Estland eine den EU-Vorgaben entsprechende Börse gestartet, die „digitale Aktien“ handelt. Dabei handelt es sich um Token auf reale Aktien, die von einem Partner der Börse als Grundlage gehalten werden.

Man kann sich auch gut vorstellen, dass die Verwahrkette via Intermediäre durch eine Blockchain-basierte Zuweisung überwunden wird, auch dann, wenn ohne Gesetzesänderung weiter eine Sammelurkunde erforderlich ist. Es bräuchte nur diese zentral verwahrte Urkunde statt in Depotbuchungen in Token einer Blockchain abgebildet werden, welche dann die „Einzelaktie“ repräsentieren.

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