Im Gesundheitswesen herrscht ein Fachkräftemangel bei Ärzten und Pflegern. Insbesondere in Flächenländern fehlt es den Krankenhausträgern immer wieder an qualifiziertem Personal, um Leistungsspitzen abzudecken. Der Gesetzgeber hat durch das Krankenhausstrukturgesetz die Anforderungen an die Qualität der Krankenhäuser in den letzten Jahren massiv erhöht und durch die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung mittlerweile in vielen Bereichen zwingende Mindestbesetzungen vorgesehen. Gleichzeitig hat er aber auch erkannt, dass es in Deutschland insgesamt zu wenig Pflegepersonal vorhanden ist und die Krankenhäuser vermehrt unter der Last der höheren Qualitäts- und Personalanforderungen ächzen.
In einem ersten Schritt hat er daher ein Sofortprogramm zur Schaffung von 13.000 Altenpflegstellen initiiert und die Refinanzierung jeder zusätzlichen und aufgestockten Pflegestelle im Krankenhaus durch die Krankenkassen im Pflegepersonalstärkungsgesetz veranlasst. Dies löst aber nicht das Grundproblem, dass es zu wenige Pflegekräfte gibt. Die Schaffung neuer Stellen hilft schließlich nicht, wenn diese nicht besetzt werden können. Auch der Ärztemangel auf dem Land macht den dort ansässigen Krankenhäusern zu schaffen, die Mühe haben das benötigte ärztliche Personal zu rekrutieren. Um Leistungsspitzen aufzufangen oder die gesetzlichen Anforderungen überhaupt zu erfüllen rekrutieren Krankenhäuser entweder Personal aus dem Ausland oder setzten in der Vergangenheit Honorarkräfte ein. Letztere wurden in der Regel nebenberuflich oder für eine Vielzahl von Auftraggebern, meist vermittelt über sogenannte Facharzt- oder Pflegeagenturen, als freie Mitarbeiter im Krankenhaus, beispielsweise als Bereitschaftsärzte für wenige Tage, manchmal aber auch für einen längeren Zeitraum tätig. Für die Honorarkräfte war dies durchaus lukrativ, konnten sie doch erheblich mehr Geld verdienen als ein vergleichbarer angestellter Arzt oder Pfleger. Die Stundensätze lagen zwischen 50,- € und 75,- € für Pflegekräfte und 80,- € – 120,- € für Ärzte. Dies rief wenig überraschend die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auf den Plan, die der Auffassung war, dass sog. Honorarärzte und –pfleger stets in die Organisation des Krankenhauses eingegliedert und weisungsgebunden seien, damit der Sozialversicherungspflicht unterlägen und insbesondere für die Jahre 2013 – 2015 enorme Beitragsrückforderungen inkl. Säumniszuschläge geltend machte. Die damit beschäftigen Sozialgerichte entschieden sodann uneinheitlich, jedoch mit der Tendenz zugunsten einer Sozialversicherungspflicht. Da der Begriff des Honorararztes gesetzlich nicht definiert ist bestand aber eine enorme Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten.
Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts
In 11 Verfahren am 04.06.2019 (Honorarärzte) und 4 weiteren Verfahren (Honorarpfleger) am 07.06.2019 hatte das BSG nunmehr endlich Gelegenheit diese seit langem auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur vielfach diskutierte Frage zu entscheiden. Es stellte fest, dass sowohl Ärzte als auch Pfleger, die als Honorarkräfte in einem Krankenhaus tätig sind, in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen seien, sondern als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht unterliegen (Aktenzeichen B 12 R 11/18 R als Leitfall für Ärzte und B 12 R 6/18 R für Pflegekräfte).
Für Ärzte stellte es fest, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art“ ausgeschlossen sei. Entscheidend sei, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres sei bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. So seien Anästhesisten – wie die Ärztin im Leitfall – bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten müsse. Auch die Tätigkeit als Stationsarzt setze regelmäßig voraus, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Im Leitfall war die Ärztin wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und überwiegend im OP tätig. Hinzu komme, dass Honorarärzte ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit nutzten. Unternehmerische Entscheidungsspielräume seien bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe sei nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend.
Für Pfleger hielt das BSG fest, dass zwar weder der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung noch die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen nach dem SGB XI oder das Heimrecht des jeweiligen Landes eine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von in stationären Einrichtungen tätigen Pflegefachkräften hätten. Regulatorische Vorgaben seien jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Beurteilung der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Sie führten im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung. Unternehmerische Freiheiten seien bei der konkreten Tätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung kaum denkbar. Selbstständigkeit könne nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssten gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichten hierfür nicht.
Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen habe in den keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht könnten nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.
Praxishinweise
Noch liegen die Entscheidungsgründe des BSG nicht vor, der Tenor der Pressemitteilung und der zusammenfassenden Terminsberichte sind aber eindeutig. Das BSG bestätigt die von der DRV in allen Bescheiden zu Honorarkräften im Gesundheitssektor gesetzte Prämisse, wonach im Krankenhaus grundsätzlich kein freiberufliches ärztliches oder pflegerisches Personal denkbar sei. Dies mag man kritisieren, dies kann man mit guten Argumenten auch anders sehen, Krankenhäuser, Ärzte und Pflegekräfte müssen dies aber nunmehr akzeptieren. Tatsächlich hat die Praxis längst umgestellt. Schon nach Bekanntwerden der ersten Zahlungsbescheide haben viele Krankenhäuser von einem Einsatz von Honorarkräften abgesehen und versucht, der Personalnot durch den Einsatz von Zeitarbeitern entgegenzutreten oder insbesondere die Ärzte, anzustellen. Mehr als bislang schon werden sicherlich diejenigen Zeitarbeitsagenturen von den Urteilen des BSG profitieren, die sich auf die Gesundheitsbranche spezialisiert haben. Die Personalanforderungen im Pflegebereich kann man dadurch aber kaum decken. Hier ist die Politik gefragt. Wer sich dazu entscheidet, Honorarärzte, die hauptberuflich als niedergelassene Ärzte selbständig tätig sind, nunmehr anzustellen, sollte in Betracht ziehen, den Honorararztvertrag zivilrechtlich als freien Dienstvertrag auszugestalten, sozialrechtlich aber als abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Denn Arbeitsverhältnis und abhängiges Beschäftigungsverhältnis sind nicht zwangsläufig deckungsgleich und die Arbeitsgerichte beurteilen vergleichbare Fälle diametral zur sozialgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. LAG Düsseldorf vom 06.02.2018 – 3 Sa 632/17; LAG Hessen vom 14.01.2013 – 16 Sa 1213/12; LAG Hamm vom 07.02.2011 – 2 Ta 505/10). Dann bleibt es zwar bei der Sozialversicherungspflicht, Beiträge sind also abzuführen, doch die arbeitsrechtlichen Besonderheiten wie bspw. Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entfallen.