Keine Abgrenzung mehr möglich – Die No-Gos beim Einsatz von (Schein-)Selbstständigen

RA/FAArbR Dr. Jannis Kamann, Salary Partner bei michels.pmks Rechtsanwälte in Köln

(Schein-)Selbstständige stehen in Deutschland in schöner Regelmäßigkeit im Fokus vieler politischer Debatten. Immer wieder werden, je nach politischer Couleur, unterschiedliche Lösungen und Reformvorhaben gefordert, umgesetzt oder aber wieder verworfen. Auf der einen Seite soll der schlecht verdienende und nur scheinbar Selbstständige geschützt werden, prekäre Arbeit unter dem Deckmantel des Unternehmertums erbringen zu müssen, ohne dass ihm die Vorteile des Kündigungsschutzes, der Entgeltfortzahlung oder der Sozialversicherung zu Gute kommen. Andererseits soll der gut verdienende Selbstständige, der bewusst und aus freien Stücken die Selbstständigkeit wählt, sich – unabhängig von der rechtlichen Beurteilung des Dienstverhältnisses – den Avancen der Sozialversicherungsträger entziehen können, da er sich selbst versorgen kann und nicht auf die Solidargemeinschaft angewiesen ist.

In diesem Spannungsfeld ergehen dann Urteile der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, deren Rechtsauffassung zu vergleichbaren Sachverhalten oftmals unterschiedlicher nicht sein könnten. Während beispielsweise das LAG Düsseldorf mit Urteil vom 06.02.2018 (3 Sa 632/17) entschieden hat, dass die Tätigkeit eines so genannten Honorarvertretungsarztes als freies Dienstverhältnis anzusehen sei, hat das BSG in seinen vielbeachteten Entscheidungen vom 04.06.2019 (B 12 R 11/18 R als Leitfall) die grundsätzliche Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten bestätigt. So unterschiedlich die Entscheidungen der beiden Gerichtszweige aber auch ist, aus den zahlreichen in der Vergangenheit entschiedenen und veröffentlichten Verfahren lassen sich eine Vielzahl an Kriterien entnehmen, an denen sich die Praxis orientieren kann. So gibt es unstreitig eine Vielzahl von „No-Gos“ auf die Unternehmen bei der Beschäftigung von vermeintlich externen Dienstleistern achten müssen, um entweder eine Eingliederung in den Betrieb oder aber die daraus abzuleitende Weisungsbefugnis vermeiden zu können. Obwohl die negativen Kriterien weitgehend bekannt sein dürften, ist es immer wieder erstaunlich, wie unbedarft einige Unternehmen hier agieren.

Die Entscheidungen des LAG Köln

So war es auch im Fall, der dem Urteil des LAG Köln vom 08.05.2019 – 9 Ta 31/19 zugrunde lag. Der Kläger war als Projektdienstleister für die Beklagte tätig. Zunächst gingen auch beide Parteien davon aus, dass diese Tätigkeit selbstständig erbracht wurde. Der Kläger wurde allerdings in den Büroräumen der Beklagten mit den von ihr zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln (PC, Telefon, E-Mail-Adresse, Visitenkarte) tätig und arbeitete nur selten aus seinem ebenfalls bestehenden Home-Office heraus. Der Umfang der Tätigkeit entsprach der einer 40-Stunden Woche. Die in Rechnung gestellten Tätigkeiten wurden nicht nach Stunden und Projekten aufgeschlüsselt, sondern überwiegend wurde derselbe Pauschalbetrag berechnet. Die auf den Namen des Klägers lautende Firmen-E-Mail Adresse erhielt dieser nachweislich deswegen, damit nach außen hin nicht erkennbar werde, dass er freier Dienstleister sei. Die Überlassung einer Visitenkarte mit dem Logo der Bekl. diente zudem einem einheitlichen Marktauftritt. Zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kam es, nachdem der Dienstleistungsvertrag nach Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer durch die Beklagte gekündigt wurde. Daraufhin berief sich der Kläger vor dem ArbG Köln darauf, als Arbeitnehmer tätig gewesen zu sein. Auf die Rechtswegrüge der Beklagten erklärte das ArbG Köln den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten mit Beschluss vom 21.02.2018 für zulässig. Die hiergegen erhobene Beschwerde beim LAG Köln hatte keinen Erfolg.

Das LAG war der Auffassung, der Kläger sei für die Beklagte als Arbeitnehmer und nicht als selbstständiger Dienstleister tätig gewesen. Er sei in einer für ein Arbeitsverhältnis typischen Weise in das Unternehmen eingebunden gewesen. Durch die Nutzung der Arbeitsmittel und Büroräume sei der „Außenauftritt“ des Klägers gerade nicht auf eine selbstständige Tätigkeit ausgerichtet. Die Tätigkeit im Home-Office sei zu vernachlässigen, da sie im heutigen Arbeitsleben ohnehin nicht mehr als Indiz für oder gegen die Arbeitnehmereigenschaft dienen könne. Auch der zeitliche Umfang spreche für die Arbeitnehmereigenschaft. Zudem habe der Kläger seine Arbeit auch stets persönlich erbracht und keine eigenen Mitarbeiter eingesetzt. Investitionen, die sich hätten amortisieren müssen, habe er auch nicht getätigt. Dass die subjektiven Vorstellungen der Parteien auf eine selbstständige Tätigkeit des Klägers gerichtet gewesen sein sollen, spiele, selbst wenn dies zutreffen sollte, keine maßgebliche Rolle. Die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags als freie Tätigkeit oder die von ihnen gewählte Bezeichnung sei unerheblich, solange sich die praktische Durchführung anders darstelle. Ohnehin lasse sich die inhaltliche Nähe der vereinbarten Tätigkeit zu einem Arbeitsverhältnis aus dem letzten Satz einer E-Mail des Klägers entnehmen, in der dieser  schreibt: „Ist die Zusammenarbeit erfolgreich wird sie eventuell in eine Festanstellung umgewandelt. So sinkt das Risiko, sich für den falschen Mitarbeiter entschieden zu haben, auf ein Minimum.“

Praxishinweise

Die Entscheidung des LAG sollte als warnendes Praxisbeispiel in Personalabteilungen ausgehängt werden, wie die Beschäftigung von vermeintlich freien Dienstleistern gerade nicht auszugestalten ist. Geradezu lehrbuchhaft hat die Beklagte ein Arbeitsverhältnis gelebt, unabhängig davon, ob sie es wollte oder nicht. Schon die Aussage des Geschäftsführers im parallel anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren spricht Bände. Dieser ließ verlauten, er habe den Kläger „an der langen Leine“ gelassen und dieser habe „sich von Beginn an gut eingebracht“. Dies lässt vermuten, dass man schon von Beginn an kein gesteigertes Interesse daran hatte, tatsächlich einen freien Dienstleister zu beauftragen. Für die Praxis lässt sich aus der Entscheidung ableiten, welche Kriterien für die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung von Dienstverträgen entscheidend sind. Klar ist: wichtig für die Abwägung der Frage, ob ein freies Mitarbeitsverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis vorliegt, ist letztlich das gelebte Beschäftigungsverhältnis. Es kommt auf den objektiven Geschäftsinhalt an, der aufgrund der ausdrücklich getroffenen Absprachen und in der praktischen Durchführung des Vertrages zu ermitteln ist. Weichen tatsächliche Durchführungen und vertragliche Absprachen voneinander ab, ist auf das gelebte Beschäftigungsverhältnis abzustellen. Die Abgrenzungskriterien, anhand derer der Grad der persönlichen Abhängigkeit zu messen ist, sind vielfältig. Exemplarisch sind Zeitsouveränität, Nutzung von eigenen Betriebsmitteln bzw. Betriebsräumlichkeiten und die unternehmenstypische Freigestaltung der Arbeitsleistung zu nennen. Will man Risiken vermeiden, sollte auf einen gemeinsamen Außenauftritt (gemeinsame E-Mail-Adresse, Visitenkarten) verzichtet werden. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass eine Zusammenarbeit von externen Dienstleistern und internen Arbeitnehmern auf ein Mindestmaß reduziert wird. Hierbei hilft es, den Vertragsgegenstand so genau wie möglich zu umschreiben, sodass allenfalls nur ein ganz rudimentäres (fachliches) Weisungsrecht verbleibt. Wöchentliche Reports oder ähnliche Berichtspflichten sollten vermieden werden. Ideal ist die Ernennung eines Mitarbeiters auf Unternehmensseite zur Entgegennahme von Erklärungen bestimmt werden. Wer all dies nicht sicherstellen kann, der muss entweder von Beginn an ein Arbeitsverhältnis begründen oder damit rechnen, dass – wie im Fall des LAG Köln – der freie Mitarbeiter sich auf die Arbeitnehmereigenschaft beruft. Sozialversicherungsrechtlich ist ohnehin davon auszugehen, dass die DRV und die Sozialgerichte im Zweifel ein Beschäftigungsverhältnis annehmen. Da es neuerdings aber immer wieder auch Fälle gibt, in denen der Dienstleister selbst nicht angestellt sein will, könnte ein möglicher Kompromiss sein, um jedenfalls die sozial- und strafrechtlichen Risiken zu minimieren,  den Vertrag zivilrechtlich als freien Dienstvertrag auszugestalten, sozialrechtlich aber als abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Die Vergütung wäre dann beitragspflichtig, jedoch entfallen Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und die rechtlichen Beschränkungen des Befristungsrechts. Doch auch dann müssen die oben aufgezeigten zivilrechtlichen Anforderungen an ein freies Dienstverhältnis erfüllt werden.

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