Vielsagend hat die ehemalige Bundesministerin der Justiz und des Verbraucherschutzes Katarina Barley vor dem Hintergrund des Dieselskandals angekündigt, „Unternehmen an die Leine“ zu nehmen. Gemeint war, neben der seit einem Jahr bestehenden Möglichkeit von Musterfeststellungsklagen, ein Unternehmenssanktionsrecht einzuführen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat nun in der vergangenen Woche den lange erwarteten Gesetzesentwurf zur „Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ – genannt Verbandssanktionengesetz – in die Ressortabstimmung eingebracht.
Sollte dieser Entwurf Gesetz werden, hätte dies weitreichende Folgen für Unternehmen, deren Verantwortliche, die Anwaltschaft und die Justiz. Diskussionsbedarf besteht nicht nur hinsichtlich des Titels „Verbandssanktionengesetz“, handelt es sich doch faktisch um ein „Strafgesetzbuch“. Besonders kritisch hinterfragt werden müssen der weite Anwendungsbereich, die massiven Sanktionen, die Regelungen zur Durchführung von internen Untersuchungen und die prozessuale Ausgestaltung des Verfahrens mit einer Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, jede Verbandsstraftat zu verfolgen.
Voraussetzung für die Verhängung einer Sanktion gegen das Unternehmen soll eine sogenannte Verbandsstraftat sein. Das sind nach dem Gesetzesentwurf Straftaten eines Unternehmensmitarbeiters, durch die eine Pflicht verletzt worden ist, die das Unternehmen trifft. Hierunter können etwa Umweltstraftaten in Folge der Verletzung von Sicherheitsvorgaben fallen. Alternativ dazu sind Straftaten von Unternehmensmitarbeitern erfasst, durch die das Unternehmen bereichert wurde oder werden sollte. Das können etwa Bestechungstaten sein, mit denen Aufträge für das Unternehmen gewonnen werden sollten. Eine Exkulpationsmöglichkeit – etwa durch den Nachweis eines Compliance-Systems – besteht für das Unternehmen nicht.
Im Vergleich zu der bisherigen Sanktionsmöglichkeit nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht (Geldbuße bis zu zehn Mio. Euro) sieht der Entwurf ein breites Spektrum an Sanktionen vor: Für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. Euro kann eine Verbandsgeldsanktion bis zu 10% des durchschnittlichen Jahresumsatzes des Gesamtkonzerns festgesetzt werden. Daneben soll das Gericht das Unternehmen zur Schadenswiedergutmachung verpflichten können. Neben diesen monetären Folgen kommen anderweitige tiefgreifende Sanktionen in Betracht: Neu ist insbesondere die Weisung, Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten zu treffen und dies durch eine sachkundige Stelle nachzuweisen. Diese Regelung ähnelt stark dem sogenannten Monitorship aus dem US-amerikanischen Recht. Das Unternehmen unterliegt damit für einen bestimmten Zeitraum der Überwachung eines unabhängigen Dritten, der das Compliance System und insoweit das Handeln des Unternehmens unabhängig überprüfen und bewerten soll. Der Entwurf sieht ferner ein „naming and shaming“ vor: Sind eine Vielzahl von Personen durch die Verbandsstraftat geschädigt, soll die Verurteilung öffentlich bekannt gemacht werden. Das schärfste Schwert der Verbandssanktion stellt letztendlich die Verbandsauflösung dar, die als „gesellschaftsrechtliche Todesstrafe“ bezeichnet wird.
Einerseits erhält das Unternehmen mit der Stellung als „Beschuldigter“ weitreichende Verfahrensrechte, indem die Strafprozessordnung einschließlich der Beschuldigtenrechte für den Verband ausdrücklich anwendbar sein soll. Andererseits sieht der Entwurf weitgehende Beschlagnahmerechte der Staatsanwaltschaft auch beim anwaltlichen Unternehmensvertreter vor. Das Anwaltsgeheimnis wird dadurch in nicht hinnehmbarer Weise aufgeweicht.
Nach dem Entwurf können die Strafverfolgungsbehörden die Unternehmenssanktion mildern oder von ihr absehen, wenn das Unternehmen eine unabhängige interne Untersuchung der zugrundeliegenden Sachverhalte durchführt. Hierfür muss sich das Unternehmen an bestimmte, für die interne Untersuchung vorgesehene Regelungen halten und uneingeschränkt und ununterbrochen mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Der für die interne Untersuchung beauftragte Rechtsanwalt darf nicht zugleich die Verteidigung des Unternehmens übernehmen.
Es gibt viel zu diskutieren, wenn sich die von dem Entwurf Betroffenen nicht einer neuen Rechtsordnung unterwerfen wollen; einer Rechtsordnung, die eine automatische Zurechnung rechtswidrigen Verhaltens von Leitungsorganen auf seinen Rechtsträger vorsieht, der per se kein eigenes Unrecht begangen hat. Diese nicht zu rechtfertigende automatische Zurechnung führt zu weitreichenden Sanktionen, die in einem Verfahren festgesetzt werden sollen, in dem wesentliche Schutzmechanismen fehlen – insbesondere ein notwendiger Beschlagnahmeschutz. Das Unternehmen hat danach nur die Wahl zwischen der Durchführung einer internen Untersuchung mit einer uneingeschränkten Kooperationspflicht oder der Verteidigung gegen die Vorwürfe. Im letzteren Fall droht jedoch das Risiko, mangels Kooperation die volle Schärfe der Sanktionen zu spüren zu bekommen.