Flexibles Arbeiten ist für viele Arbeitnehmer heute mehr denn je von enormer Wichtigkeit, um die „Work-Life-Balance“ ausgewogen zu halten. Neben den „typischen“ Flexibilisierungsinstrumenten hinsichtlich variabler Arbeitszeiten oder der flexiblen, ortsungebundenen Arbeit z.B. im Homeoffice, bieten die Arbeitgeber zunehmend auch Optionen für eine vorübergehende „Auszeit“ vom Beruf. Unter dem Stichwort Sabbatical vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien einen unbezahlten Sonderurlaub. Während dieses Urlaubs muss der Arbeitnehmer nicht arbeiten und er Arbeitgeber muss keinen Lohn bezahlen – das Arbeitsverhältnis „ruht“.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich nun mit einem weniger bekannten Aspekt des Sabatticals befasst, namentlich mit der Frage, ob Arbeitnehmer während des Sonderurlaubs einen Anspruch auf Erholungsurlaub generieren können. Diese auf den ersten Blick absurde Fragestellung hat das BAG – in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung(!) – nunmehr überzeugend verneint (BAG, Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 315/17). Ein Sabbatical führt also nicht (mehr) zu Ansprüchen auf Erholungsurlaub.
Urlaub ohne Arbeit?
Im dem zugrunde liegenden Fall gewährte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin in der Zeit von September 2013 bis zum August 2014 einen einjährigen unbezahlten Sonderurlaub, der auf Wunsch der Arbeitnehmerin nochmals um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Nach Beendigung des Sonderurlaubs verlangte die Arbeitnehmerin, ihr für das Kalenderjahr 2014 Urlaub im Umfang von 20 Tagen zu gewähren. Während das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, gab das Landesarbeitsgericht der Klage statt und verurteilte die Arbeitgeberin zur Gewährung des eingeforderten Urlaubs. Das BAG änderte das Urteil indes ab und wies die Klage insgesamt ab.
Kein Anspruch auf „Erholung“ ohne Arbeitspflicht
Nach Ansicht des BAG ist bei der Berechnung des gesetzlichen Mindesturlaubs während eines Sabbaticals zu berücksichtigen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Hauptleistungspflichten für die Dauer des Sonderurlaubs ausgesetzt haben. Ohne eine Pflicht zur Arbeit kann nach Ansicht des BAG aber auch kein (gesetzlicher) Anspruch auf Erholung von einer an sich bestehenden Arbeitspflicht zustehen.
In Anknüpfung an seine bisherige Rechtsprechung hält das BAG zwar daran fest, dass das Entstehen eines Urlaubsanspruchs dem Grunde nach allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraussetze. Ein Anspruch auf Erholungsurlaub stehe insbesondere nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich gearbeitet habe.
Vielmehr stelle das Gesetz klar, dass alleinige Voraussetzung des Urlaubsanspruchs die Vollendung des sechsmonatigen Wartezeitraums gem. § 4 BUrlG sei. Soweit diese Anforderung erfüllt sei, stehe dem Arbeitnehmer gem. § 3 Abs. 1 BUrlG nach der gesetzlichen Grundregel ein Erholungsurlaub von mindestens 24 Werktagen zu.
Wie das BAG allerdings überzeugend hervorhebt, unterstellt die Vorschrift des § 3 Abs. 1 BUrlG eine an sechs Tagen der Kalenderwoche bestehende Arbeitspflicht. Jedem Arbeitnehmer soll demnach umgerechnet mindestens vier Wochen Erholungsurlaub zukommen. Wird die Arbeitszeit auf weniger oder mehr als sechs Tage in der Kalenderwoche verteilt, vermindert oder erhöht sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Das Gesetz, so schlussfolgert das BAG, gehe also davon aus, dass Arbeitspflicht und Urlaubstage miteinander verknüpft sind.
Zur Begründung verweist das BAG auf die gesetzgeberische Wertung, wonach der Mindesturlaub „der Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft“ diene. Sinn und Zweck eines Erholungsurlaubs ist es demnach, wie es der Begriff schon verrät, sich von einer Arbeitsbelastung zu erholen. Aus denselben Gründen ist der Arbeitnehmer gesetzlich auch verpflichtet, während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit zu leisten (§ 8 BUrlG).
Um dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich durch Urlaubsgewährung zu erholen, setzt insoweit denknotwendig voraus, dass der Arbeitnehmer an sich überhaupt verpflichtet war, eine Tätigkeit auszuüben. Ist der Arbeitnehmer während eines Sonderurlaubs hingegen von seiner Arbeitspflicht befreit, kommt eine Erholung gar nicht in Betracht. Der Zeitraum des Sonderurlaubs ist nach Ansicht des BAG bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 BUrlG daher mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen – diese Handhabung hat das BAG auch jüngst mit Urteil vom 21.05.2019 (9 AZR 259/18) noch einmal explizit bestätigt.
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht ausreichend
Mit den Entscheidungen aus März und Mai 2019 rückt das BAG von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Zuvor hatte das BAG das Entstehen eines Urlaubsanspruchs noch allein von dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht (vgl. nur BAG, Urteil vom 06.05.2014 – 9 AZR 678/12). War der Arbeitnehmer vorübergehend von der Arbeitsleistung unbezahlt freigestellt, kam eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs bis dato nicht in Betracht.
Diese Rechtsprechungslinie stand ganz im Zeichen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Schultz-Hoff (EuGH, Urteil vom 20.01.2009 – Rs. C-350/06, C-520/06). Der EuGH hatte seinerzeit bekräftigt, dass der Anspruch auf den unionsrechtlich vorgegebenen Mindesturlaub im Falle ordnungsgemäß krankgeschriebener Arbeitnehmer nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass sie während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Ein Verlust des garantierten Erholungsurlaubs setze zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaubsanspruch auch auszuüben.
Wie der EuGH jüngst jedoch präzisierte, beruht der Anspruch auf Erholungsurlaub auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat (EuGH, Urteil vom 04.10.2018 – Rs. C-12/17). Von diesem Grundsatz sei nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Arbeitnehmer wie etwa im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit keine Möglichkeit hatte, von seinem Urlaubsanspruch Gebrauch zu machen. Im Unterschied zur wunschgemäßen Freistellung von der Arbeitspflicht ist die Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitnehmer schließlich grundsätzlich nicht vorhersehbar und von dessen Willen unabhängig.
Folgen für die Praxis
Die bisherige Linie des BAG sah sich erheblicher Kritik ausgesetzt: zwar mochte sie unter formalen Gesichtspunkten zu überzeugen, doch gelang es ihr nicht, die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausreichend zu würdigen. Den Arbeitsvertragsparteien ist im Falle des Sonderurlaubs daran gelegen, sich gegenseitig von ihren Pflichten vollständig zu befreien. Besteht die Arbeitspflicht für den Arbeitnehmer vorübergehend jedoch nicht, muss dies zwingend auch für den Urlaubsanspruch gelten. Die Kontrollfrage ist berechtigt: wovon soll sich der Arbeitnehmer im Fall einer erheblichen „Auszeit“ erholen? Eine Erholung von der Arbeitspflicht kommt nicht in Betracht – genau das ist aber Sinn und Zweck des auch europarechtlich verankerten Erholungsurlaubs. Arbeitspflicht und Urlaub sind – bis auf wenige Ausnahmen – streng miteinander verknüpft.
Die Kehrtwende des BAG ist jedoch nicht nur dogmatisch zu begrüßen. Auch in der Praxis dürfte sie die Akzeptanz insbesondere der Arbeitgeberseite für Auszeiten und Sabbaticals erhöhen. Jedenfalls ist nun eindeutig und klar, dass die Arbeitgeber mit Blick auf die Gewährung eines Sonderurlaubs nicht alsbald den „Fluch der guten Tat“ zu spüren bekommen und am Ende den Arbeitnehmern auch noch einen Erholungsurlaub für den Zeitraum eines Sabbaticals zugestehen müssen.