Sie sind unübersehbar und gehören fest zum typischen Stadtbild von Großstädten: die farbig uniformierten Fahrer und Fahrerinnen ( sog. „Rider“) der diversen Lieferdienste, die in ihren großen Rücksäcken mittlerweile nicht mehr nur Pizza, Pasta und Sushi ausliefern, sondern auch den spontanen Einkauf der urbanen Stadtbewohner übernehmen. Die jungen Unternehmen mit ihren in der Regel jungen Ridern stellen dabei in letzter Zeit das alte Arbeitsrecht auf die Probe, sei es in Fragen der Mitbestimmung oder wie in einem Fall den das Bundesarbeitsgericht (BAG) zuletzt zu entscheiden hatte, bei der Frage der Ausstattung der Rider mit Arbeitsmitteln. Denn wie so oft in der Start-Up und Gründerszene stellt sich die Frage, ob die innovativen und modernen Arbeitsformen den bestehenden Regeln und Gesetzen entsprechen.
Die Grundidee liest sich dabei auch zunächst charmant. Als Rider braucht man neben starken Waden, Ausdauer, Unerschrockenheit, Wetterfestigkeit, Rucksack und Uniform letztlich nur ein Fahrrad und ein Smartphone. Bis auf die Uniform und Rucksack verfügen die meisten jungen Menschen (vielfach Studierende) in Großstädten über all dies. Die Unternehmen hingegen verfügen über die Plattformen und die Struktur und haben ein Interesse daran, ihren darüberhinausgehenden Betriebsmittel – und Kosteneinsatz so gering wie möglich zu halten. Daher ist es oftmals so, dass sie auf die bei den Arbeitnehmern ohnehin vorhandenen Arbeitsmittel Fahrrad und Smartphone zurückgreifen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass irgendwann die Arbeitsgerichtsbarkeit darüber entscheiden musste, ob und wie diese Praxis zulässig ist. In einem nunmehr vom BAG entschiedenen Fall war es so, dass der Arbeitgeber den bei ihm beschäftigten Ridern für den Einsatz ihrer Fahrräder keine Kompensation, sondern lediglich eine Reparaturgutschrift von 0,25 Euro je gearbeiteter Stunde gewährte, die zudem ausschließlich bei einem von ihm bestimmten Unternehmen eingelöst werden konnte. Für die Nutzung des Mobiltelefons erbrachte er keine gesonderte Zahlung. Es war nun am BAG die Rechtmäßigkeit einer solchen Vereinbarung zu überprüfen.
Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
Mit Urteil vom 10.11.2021 (Aktenzeichen: 5 AZR 334/21) entschied das BAG, wenig überraschend, dass ein als Rider beschäftigten Arbeitnehmer aus § 611a Abs. 1 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf Bereitstellung eines geeigneten Fahrrads und Mobilfunkgeräts als essentielle, geeignete Arbeitsmittel hat.
Den arbeitsvertraglichen Anspruch auf Bereitstellung geeigneter essentieller Arbeitsmittel hätten die Parteien auch nicht wirksam vertraglich abbedungen. Zwar sei vereinbart worden, dass der Rider sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon für die vertraglich vorgesehene Tätigkeit nutze. Diese Abweichung vom gesetzlichen Leitbild, wonach der Arbeitgeber die essentiell erforderlichen Arbeitsmittel bereitzustellen hat und der Arbeitnehmer nur verpflichtet ist, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, halte aber einer arbeitsrechtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB nicht stand. Denn das Interesse des Arbeitgebers, von Anschaffungs- und Betriebskosten für Mobiltelefone und Fahrräder entlastet zu werden, könne eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild nicht rechtfertigen, zumal der gesetzliche Schutzzweck auch nicht auf andere Weise sichergestellt sei. Der beklagte Arbeitgeber trage aufgrund der getroffenen Vereinbarung auch nicht das Risiko für Verschleiß, Wertverfall, Verlust und Beschädigung der vom Arbeitgeber einbrachten Arbeitsmittel. Letztlich entlaste er sich damit auf Kosten des Arbeitnehmer von Risiken, die dieser nunmehr kompensationslos zu tragen habe. Dabei falle auch ins Gewicht, dass die Arbeitsleistung als Fahrradlieferant ganzjährig und wetterunabhängig zu erbringen sei und der Arbeitnehmer daher sein Fahrrad und sein Mobiltelefon auch bei Regen und Nässe einsetzen und damit Witterungsverhältnissen aussetzen müsse, die er ansonsten hätte meiden können. Das BAG stellt zudem klar, dass es diesem Zusammenhang unerheblich sei, dass die typischerweise beteiligten Vertragspartner ohnehin im Besitz eines internetfähigen Mobiltelefons und eines Fahrrads seien. Dies möge zwar zutreffen, ändere aber nichts daran, dass diese privaten Gegenstände der Beschäftigten einerseits einer erhöhten Abnutzung und dem Risiko von Verlust und Beschädigung bei Ausübung der Tätigkeit unterlägen und andererseits der Arbeitgeber hierdurch einen nicht unerheblichen finanziellen Vorteil erlange.
Das BAG stellte allerdings klar, dass die benachteiligende Wirkung der von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichenden und mit diesen nicht zu vereinbarenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durchaus auch durch anderweitige Vorteile kompensiert werden könne. Eine solche Kompensation sei jedenfalls in engen Grenzen zulässig, wenn zwischen der benachteiligenden Klausel und dem zugestandenen Vorteil ein sachlicher Zusammenhang bestehe und der anderweitige Vorteil auch vom Gewicht her geeignet sei, einen angemessenen Ausgleich zu bieten. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall gewesen, die Reparaturgutschrift erfülle diese Voraussetzungen nicht, insbesondere da die Rider über das Geld nicht frei verfügen könnten und auf das Leistungsspektrum, die Angebote und die Preise des vom Arbeitgeber bestimmten Unternehmens festgelegt sei.
Praxishinweise
Die Entscheidung des BAG ist angesichts des vorliegenden Sachverhalt wenig überraschend. Arbeitgeber können nicht ohne Weiteres ihre Betriebsrisiken auf Arbeitnehmer abwälzen, ohne diese dafür angemessen zu kompensieren. Dies gilt insbesondere für die Stellung von Arbeitsmitteln, für die der Arbeitgeber verantwortlich ist und bleibt. Das BAG untersagt aber, und auch das ist richtig, nicht generell, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsmittel auch selbst einbringen können, sondern lässt den Arbeitsvertragsparteien einen gewissen Handlungsspielraum. In diesen Fällen verlangt die Rechtsprechung allerding, dass der Vorteil, den der Arbeitnehmer dafür erhält, dass er sein Privateigentum zur Erbringung seiner Arbeitsleistung zur Verfügung stellt, angemessen ist und in einem sachlichen Zusammenhang zur Arbeitsleistung steht. Dies ist auch aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu begrüßen. Denn es macht ja grundsätzlich Sinn, dass nicht noch zusätzliche Arbeitsmittel, z.B. Fahrräder und Mobilfunkgeräte angeschafft und produziert werden müssen, wenn diese ohnehin vorhanden sind. Dies darf aber nicht einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, die diese Arbeitsmittel ja angeschafft haben und unterhalten. Leider verhält sich das Urteil des BAG nicht dazu, wann eine Kompensation tatsächlich angemessen ist. Daher steht zu erwarten, dass die betroffenen Unternehmen, wenn sie daran festhalten, das die Arbeitnehmer die Arbeitsmittel stellen, nunmehr ihre Verträge anpassen müssen und werden. Ob dann aber der wahrscheinlich vereinbarte Kompensationsbetrag (25,- €; 30,- €; 50,- € ?) angemessen ist, werden die Arbeitsgerichte in naher Zukunft wohl wieder zu entscheiden haben. Interessant ist dies dann aber nicht nur für diesen besonderen Teilbereich des Arbeitslebens. Denn die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine angemessene Kompensation vertraglich vereinbart werden kann, ist für die Vergütungspraxis allgemein von hoher Bedeutung, beispielsweise bei der Ausstattung von Home-Office Arbeitsplätzen. Die Pandemie wird dafür sorgen, dass zukünftig noch mehr Menschen im Home-Office arbeiten werden. Während die IT-Ausstattung meist von den Arbeitgebern getragen wird, sehen nicht alle Home-Office-Regelungen eine Kompensation für laufende Kosten, wie Internet- und Stromkosten oder die Nutzung von privaten Einrichtungsgegenständen vor. Angesichts steigender Verbraucher- und Energiepreise ist es aber nur eine Frage der Zeit, dass die Kostenübernahme zu arbeitsrechtlichen Konflikten führt. Es sollte daher bereits jetzt Aufgabe der (Arbeitsrechts- und Personal-) Praxis sein, Modelle zu entwickeln, mit denen eine Kompensation der von Arbeitnehmern eingebrachten Arbeitsmitteln zukünftig rechtmäßig vereinbart werden kann.