Mit dem BilMoG ist die formelle Maßgeblichkeit abgeschafft und die materielle Maßgeblichkeit in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG um einen steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt ergänzt worden. Diese Neujustierung der Maßgeblichkeit hat eine intensive Diskussion ausgelöst und eine Fülle von Fragen aufgeworfen. Daher wurde das am 12. 3. 2010 veröffentlichte BMF-Schreiben mit Spannung erwartet.
Einen Schwerpunkt des Schreibens bildet die Bestimmung der Reichweite des neuen steuerlichen Wahlrechtsvorbehalts. Das BMF hält an der bereits in der Entwurfsfassung vertretenden Auffassung fest, dass der steuerliche Wahlrechtsvorbehalt in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG weit auszulegen ist, konkret die autonome Ausübung sämtlicher steuerlicher Wahlrechte umfasst und keinesfalls auf subventionelle Steuervergünstigungen begrenzt ist. Diese Auffassung entspricht der herrschenden Meinung und verdient Zustimmung, da sie nicht nur dem Gesetzeswortlaut entspricht, sondern auch der Zielsetzung des BilMoG Rechnung trägt, die Informationsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses durch Vermeidung steuerlicher Rückwirkungen zu stärken. Ausdrücklich bestätigt wird das steuerliche Wahlrecht zur Vornahme einer Teilwertabschreibung bei voraussichtlich dauernder Wertminderung. Ebenfalls steuerlich eigenständig ausgeübt werden können etwa auch Methodenwahlrechte im Rahmen der planmäßigen Abschreibung sowie das steuerliche Wahlrecht in § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG, das die Nutzung des Lifo-Verfahrens ermöglicht.
Diskussionsbedürftig sind die Aussagen im BMF-Schreiben zu den nur handelsrechtlich kodifizierten Wahlrechten, die keine ausdrückliche steuergesetzliche Regelung gefunden haben. So wird im Erlass die Auffassung vertreten (Tz. 8), das handelsrechtliche Einbeziehungswahlrecht für Kosten der allgemeinen Verwaltung und betriebliche Sozial- und Altersvorsorgeaufwendungen nach § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB müsse steuerlich als Einbeziehungspflicht verstanden werden. Die damit verbundene Anhebung der Untergrenze steuerlicher Herstellungskosten hätte zur Folge, dass unabhängig vom Vorgehen in der Handelsbilanz für Besteuerungszwecke die Kosten der allgemeinen Verwaltung und betriebliche Sozial- und Altersvorsorgeaufwendungen stets den hergestellten Produkten zugeordnet werden müssten. Eine Rechtfertigung für diese Abweichung vom bisherigen Einbeziehungswahlrecht, das in den ESt-Richtlinien (R 6.3 Abs. 4) niedergelegt ist, ist nicht zu erkennen und dürfte die Praxis vor erhebliche Probleme stellen. Die im BMF-Schreiben angeführte BFH-Entscheidung vom 21. 10. 1993 – IV R 87/92 (BStBl. II 1994 S. 176 = DB 1994 S. 121) zieht diesen Schluss gerade nicht, sondern lässt die Beurteilung insoweit ausdrücklich offen. Das Einbeziehungswahlrecht für die Kosten der allgemeinen Verwaltung muss vielmehr als Vereinfachungswahlrecht qualifiziert werden, das als Ausdruck der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu verstehen ist. Dies hätte zur Folge, dass das Wahlrecht über die materielle Maßgeblichkeit auch in die steuerliche Gewinnermittlung transportiert wird und hier wegen des steuerlichen Wahlrechtsvorbehalts eigenständig ausgeübt werden kann.
Anlass zur Diskussion geben auch die Relikte einer formellen Maßgeblichkeit des konkreten Handelsbilanzansatzes in den Tz. 6 (Fremdkapitalzinsen) und Tz. 7 (Bewertungsvereinfachungsverfahren). Da in diesen Fällen ausdrückliche steuergesetzliche Regelungen fehlen, soll der konkrete handelsbilanzielle Wertansatz auf die Steuerbilanz durchschlagen. Eine Grundlage für diese Schlussfolgerung ist nach Abschaffung der formellen Maßgeblichkeit nicht zu erkennen.
Im Ergebnis kann festgehalten werden: das BMF-Schreiben bestätigt die zunehmende Ablösung der Steuerbilanz von der Handelsbilanz durch das BilMoG. Es werden wichtige Fragen geklärt, wie z. B. das eigenständige steuerliche Wahlrecht einer Teilwertabschreibung. Es werden aber auch neue Fragen aufgeworfen, wie die abzulehnende verpflichtende Einbeziehung der allgemeinen Verwaltungskosten in die steuerlichen Herstellungskosten.