Totgesagte leben manchmal doch länger. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer (Urteil vom 13. 12. 2005 – Rs. C-446/03, DB 2005 S. 27) hat 2005 die Europarechtler überrascht und die Finanzminister erfreut. Hatten doch die meisten Beobachter des Luxemburger Gerichtshofs erwartet, dass dieser eine phasengleiche Verlustverrechnung verlangen würde. Nur dann wären nämlich Verluste EU-ausländischer Tochtergesellschaften exakt gleich behandelt worden wie Verluste nationaler britischer Tochtergesellschaften. Das hätte voraussichtlich hohe Steuerausfälle für alle EU-Staaten bedeutet, deren Steuerrecht eine nationale Gruppenbesteuerung kennt, da diese damit automatisch europäisiert worden wäre. Die Sorge der Fisci um ihr nationales Steueraufkommen war daher groß und hat offenbar auch den EuGH dazu veranlasst, in seinem Urteil eine salomonische Lösung zu formulieren.
Verluste müssen berücksichtigt werden
Mit Blick auf eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und um das Tor für Steuergestaltungen nicht zu weit zu öffnen, hält der EuGH eine Ungleichbehandlung nationaler und grenzüberschreitender Verluste solange für gerechtfertigt, wie diese im Staat der Tochtergesellschaft nicht unterzugehen drohen. Solange also noch Hoffnung besteht, die Verluste der ausländischen Tochter mit zukünftigen Gewinnen dieser Tochtergesellschaft auszugleichen, besteht kein Anlass die Verluste der Tochter im Sitzstaat der Obergesellschaft zum Abzug zuzulassen. Sobald aber die Verluste bei der ausländischen Tochter definitiv sind, vor allem also bei einer Liquidation der Tochtergesellschaft, sind die finalen Verluste der Tochter grenzüberschreitend auf Ebene der Muttergesellschaft zu verrechnen.
Das Argument des Gleichklangs der Besteuerung von Gewinnen und Verlusten behält solange Gültigkeit, bis feststeht, dass definitiv ein Verlust verbleibt. Der EuGH hat damit den Grundsatz aufgestellt, dass Verluste der Tochtergesellschaft zumindest ein Mal berücksichtigt werden müssen, was mangels anderer Alternative nur auf Ebene der Muttergesellschaft zu Lasten des Steueraufkommens in deren Ansässigkeitsstaat möglich ist. Andererseits stellt der EuGH klar, dass der Staat der Obergesellschaft die Verluste der ausländischen Tochter nicht periodengleich zum Abzug zulassen muss, da die Verrechnung dieser Verluste primär dem Sitzstaat der Tochter obliegt und andernfalls auch die Gefahr einer doppelten Verlustverrechnung droht.
Behandlung finaler Verluste
Die deutsche Finanzverwaltung war über dieses Urteil so erleichtert, dass sie möglicherweise nur den für sie günstigen Teil der Botschaft gehört hat. Bislang ist jedenfalls nichts geschehen, um die vom EuGH aufgestellten Grundsätze zur Berücksichtigung finaler Verluste in nationales Recht umzusetzen. Begründet wurde dies mit dem Argument, schon allein rechtlich wäre die Situation in Deutschland eine ganz andere, weil die Organschaft ja einen Ergebnisabführungsvertrag und damit auch zugleich eine Verpflichtung zur Verlustübernahme voraussetze. In der gerade aufkommenden Diskussion über die Fortentwicklung der Organschaft hin zu einer modernen Gruppenbesteuerung wird daher teilweise die Sorge geäußert, dass Deutschland sich bei einem Verzicht auf den Ergebnisabführungsvertrag den vom EuGH im Urteil Marks & Spencer aufgestellten Grundsätzen aussetze. Dabei wird allerdings übersehen, dass diese Grundsätze längst geltendes Recht sind und andere gesellschaftsrechtliche Ausgangssituation daran nichts ändert, weil die Tatsache, dass ein Ergebnisabführungsvertrag nur mit ganz wenigen ausländischen EU-Staaten abgeschlossen werden kann, eine unzulässige versteckte Diskriminierung ist.
Das Niedersächsische FG hat dies nun im Grundsatz bestätigt (Urteil vom 12. 2. 2010) und dem BFH den Ball zugespielt, der nunmehr darüber zu befinden hat, auf welche Weise die Grundsätze der Organschaft geltungserhaltend zu reduzieren sind. Zur Diskussion stehen einerseits ein vollständiger Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal „Ergebnisabführungsvertrag“ und andererseits eine noch näher zu definierende Ersatzlösung. Das Niedersächsische FG fordert eine rechtliche Verpflichtung der Muttergesellschaft, die vor Beginn der „grenzüberschreitenden Organschaft“ für mindestens fünf Jahre geschlossen wurde. Demgegenüber soll die tatsächliche Verlusttragung durch die Obergesellschaft in Form von Zuschüssen und Darlehensverzicht nicht ausreichen, was zumindest ökonomisch ein wenig überrascht. Wir warten daher gespannt, wie der BFH dies beurteilt.