Am 26. 3. 2010 segnete der Bundesrat mit seiner Zustimmung das „Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“ ab. Obwohl es der Titel des Gesetzes nicht unmittelbar vermuten lässt, enthält es doch bedeutende Änderungen derjenigen Vorschriften des Außensteuergesetzes, die unter dem Schlagwort „Funktionsverlagerungsbesteuerung“ bekannt geworden sind. Unter einer Funktionsverlagerung versteht man die Aufnahme einer oder mehrerer Geschäftstätigkeiten im Ausland unter gleichzeitiger Einstellung derselben Tätigkeiten in Deutschland sowie die Übertragung bzw. Überlassung von Wirtschaftsgütern an das ausländische verbundene Unternehmen. Mit den in § 1 Abs. 3 AStG vorgenommenen Anpassungen will der Gesetzgeber das im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP festgeschriebene Versprechen einlösen, die „negativen Auswirkungen der Neuregelung zur Funktionsverlagerung auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland zu beseitigen“. Fraglich ist, ob dieses Ziel mit den Änderungen bzw. Ergänzungen erreicht werden kann.
Rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2008 wird dem Steuerpflichtigen durch einen neuen zweiten Halbsatz in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG eine weitere Möglichkeit eingeräumt, die mit der Unternehmensteuerreform 2008 „erfundene“ Transferpaketbewertung zu vermeiden. Macht der Steuerpflichtige glaubhaft, „dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und bezeichnet er es genau, sind Einzelverrechnungspreise für die Bestandteile des Transferpakets anzuerkennen.“
Es stellt sich unmittelbar die Frage, ob mit dieser Ergänzung überhaupt ein zwingender Anwendungsbereich für die Gesamtbewertung verbleibt. Denn der erste Halbsatz des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG bestimmt bereits, dass auf eine solche ebenso verzichtet werden kann, wenn eben „keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung“ sind. Hält man sich an den neuen Wortlaut der Vorschrift, so muss ein faktisches Wahlrecht für den Steuerpflichtigen angenommen werden, sollte doch in jedem Fall glaubhaft gemacht werden können, dass ein Unternehmen entweder kein, ein einzelnes oder mehrere (wesentliche) immaterielle Wirtschaftsgüter überträgt. Lediglich unter der abwegigen Annahme, dass unterschiedliche Wesentlichkeitsgrenzen für die alte („keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter“) und die neue („zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut“) Escape-Möglichkeit gelten, könnte die Gesamtbewertung nicht vermieden werden. Ebenfalls könnte der Steuerpflichtige in diese Bewertungsmethode gezwungen werden, falls unter einer „genauen Bezeichnung“ des immateriellen Wirtschaftsguts unerfüllbar hohe Dokumentationsanforderungen zu verstehen wären. Zu beiden Aspekten liegen noch keine Aussagen des Gesetzgebers oder der Finanzverwaltung vor.
Wie aber wirkt die Neuregelung? Handelt es sich bei der zusätzlichen Escape-Klausel lediglich um eine Vereinfachungsregelung zur Vermeidung der u. U. sehr aufwendigen (und mit erheblicher Unsicherheit verbundenen) ertragsorientierten Bewertung? Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren zumindest von Vertretern der Koalitionsfraktionen behauptet. Oder führt sie auch zu niedrigeren Verrechnungspreisen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, wie es mit Blick auf mögliche Steueraufkommensminderungen durch die Opposition angemerkt wurde?
Viel wird davon abhängen, ob sich der Ausdruck „Bestandteile des Transferpakets“ für Zwecke des neuen Escapes operationalisieren lässt.
Gem. § 1 Abs. 3 der Funktionsverlagerungsverordnung soll das Transferpaket aus „einer Funktion und den mit dieser Funktion zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie den [zugehörigen] Wirtschaftsgütern und Vorteilen“ bestehen. Von diesen Bestandteilen lassen sich aber allein die materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter einzeln bewerten. Die Frage, ob der Funktion darüber hinaus ein Geschäfts- oder Firmenwert anhaftet, ob also ein Unternehmensteil, der nicht die bekannten Teilbetriebsvoraussetzungen erfüllt, dennoch Träger eines solchen Goodwill-Elements sein kann, muss nicht beantwortet werden. Denn der Geschäfts- oder Firmenwert ist per Definition eine Residualgröße, die nicht ohne eine Gesamtbewertung ermittelt werden kann. Er ist bei Inanspruchnahme der Einzelbewertungsoption somit nicht zu berücksichtigen, weil sonst kein Vereinfachungseffekt eintreten könnte. In der künftigen Diskussion werden als Folge hiervon die sog. Geschäftswert bildende Faktoren vermutlich stärkere Beachtung erfahren, sofern sie die Kriterien einzeln bewertbarer Wirtschaftsgüter erfüllen.