Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass die im Rahmen des Verlustabzugs bei Körperschaften geregelte Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) eine unzulässige staatliche Beihilfe darstellen könnte. Ende Februar 2010 (veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union am 8. 4. 2010) hat die EU-Kommission deshalb ein beihilferechtliches Prüfverfahren eröffnet. Die Sanierungsklausel ist somit bis auf Weiteres nicht mehr anzuwenden. Dies gilt selbst dann, wenn bereits eine verbindliche Auskunft erteilt worden ist. Betroffene Bescheide sind unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen. Bereits unter Anwendung der Sanierungsklausel durchgeführte Veranlagungen bleiben zwar bis auf Weiteres bestehen. Im Fall einer Negativentscheidung durch die Kommission werden alle rechtswidrigen Beihilfen von den Empfängern zurückgefordert. Bei einer nachträglichen Änderung bestandskräftiger Bescheide sind allerdings die verfahrensrechtlichen Vorschriften (§§ 164, 165, 172 ff. AO) zu beachten.
Man könnte sagen, diese Grube hat sich der deutsche Gesetzgeber dank seiner „sporadischen“ Steuergesetzgebung selbst gegraben. Der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/4841) ist zwar zu entnehmen, dass die Streichung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. deshalb erfolgte, weil die bisherige Regelung kompliziert und gestaltungsanfällig war bzw. § 8c KStG deshalb eingeführt wird, weil die bisherige Regelung in der Praxis schwierig zu handhaben war. Dies kann man so verstehen, dass kein grds. Richtungswechsel, sondern lediglich eine konsequentere Umsetzung der Missbrauchsvorschrift beabsichtigt gewesen ist. Der Wortlaut der Vorschrift schießt jedoch über dieses Ziel hinaus. Das alleinige Abstellen auf den (Umfang eines) Anteilseignerwechsels lässt kaum mehr Raum für den ursprünglichen Ausgangspunkt der Regelung (§ 8 Abs. 4 KStG a. F.), der Vermeidung des missbräuchlichen Handels mit Verlustmänteln. So verwunderte es nicht, dass die Vorschrift in der Literatur harsch kritisiert wurde.
Die Art und Weise, wie der deutsche Steuergesetzgeber nun hierfür abgestraft wird, ist aber dann doch makaber: Nicht die Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips, sondern die selektive Begünstigung einzelner Unternehmen wird ihm vorgehalten.
Die Kommission erhebt, gestützt auf den Wortlaut, die Vorschrift des § 8c KStG zum „Referenzsystem“, d. h. geht von der Absicht des deutschen Gesetzgebers aus, dass bei jeder Übertragung von mindestens 25% der Anteile einer Kapitalgesellschaft Verlustvorträge verloren gehen sollen. Da aber nur ein Teil der übertragenen Unternehmen Sanierungsfälle sind, ist auch schnell die Begünstigung „bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ identifiziert. Die EU-Kommission macht es sich damit aber zu einfach. Das deutsche Ertragsteuerrecht enthielt stets einen zeitlich unbegrenzten Verlustvortrag. Dies ist ein wesentlicher Pfeiler des steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzips. Die Regelungen des § 8 Abs. 4 KStG a. F. sowie (zumindest nach der Gesetzesbegründung) des § 8c KStG haben ihren Ursprung in der Missbrauchsvermeidung.
Aufgrund dieser „Natur bzw. dem inneren Aufbau des Steuersystems“ mögen also bereits Bedenken hinsichtlich des Referenzsystems bestehen. Fraglich ist aber auch, ob eine „Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ vorliegt. Die Inanspruchnahme der Sanierungsklausel steht jeder Kapitalgesellschaft offen. Schließlich darf man bezweifeln, dass sich durch diese Regelung Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel ergeben, die den Wettbewerb verfälschen. Wer unter den Bedingungen der Sanierungsklausel ein Unternehmen erwirbt und am Leben erhält, genießt keine wettbewerbsverzerrende Beihilfe.
Unbefriedigend an der Sichtweise der Europäischen Kommission ist schließlich aber auch, dass es offensichtlich nur auf die Formulierung von Regel und Ausnahme ankommt. Einem restriktiven Steuergesetzgeber werden (notwendige) Ausnahmen schnell als wettbewerbsverzerrende Beihilfe ausgelegt. Ein dagegen großzügiger Steuergesetzgeber mit wenigen Ausnahmen setzt sich diesem Vorwurf nicht aus, dessen (begünstigende) Regelungen mögen den Wettbewerb aber ungleich mehr beeinflussen.
Bleibt es jedoch bei der Auffassung der Europäischen Kommission, ist der Gesetzgeber aufgerufen, § 8c KStG so zu regeln, dass die Sanierungsklausel Bestand hat, d. h. die Vorschrift wieder als reine Missbrauchsvorschrift gestaltet wird. Andernfalls, d. h. bei bloßer Streichung der Sanierungsklausel, droht volkwirtschaftlicher und finanzpolitischer Schaden.
Schon heute, nach Einleitung des Beihilfeverfahrens durch die EU-Kommission, muss davon ausgegangen werden, dass es zu einem Rückgang von Unternehmenserwerben mit dem Ziel einer Unternehmenssanierung kommt. Der sogenannte Sanierungserlass (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 27. 3. 2003, BStBl. I S. 240 = DB 2003 S. 796) kann die Vorschrift des § 8c Abs. 1a KStG nicht ersetzen, da dieser im Wesentlichen die Minderung der steuerlichen Folgen eines Schuldenerlasses zum Gegenstand hat. Darüber hinaus ist die Rechtsgrundlage des Sanierungserlasses umstritten (siehe Urteil des FG München vom 12.12.2007 – 1 K 4487/06, DB 2008 S. 1291 bzw. die hierzu anhängige Revision beim BFH, Az. VIII R 2/08). Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass die EU-Kommission das Verfahren zügig weiterführt und/oder der deutsche Gesetzgeber schnell handelt, um Verunsicherung und Schaden zu begrenzen.