In Krisenzeiten wird die praktische Gestaltungsberatung geradezu „auf den Kopf gestellt“. Stand in guten Zeiten die Optimierung der Steuerbelastung auf (mögliche) künftige Gewinne im Vordergrund, geht es aktuell im Zusammenhang mit wirtschaftlich dringend erforderlichen Umstrukturierungen und Sanierungen darum, prohibitive Steuerbelastungen auf reale Verluste zu vermeiden.Woran liegt das? Allgemein gilt: Die in Krisenzeiten problematischen Regelungen wurden in besseren Zeiten eingeführt, in aller Regel nicht mit Blick auf förderungswürdige Sanierungen und ohne Rücksicht auf Querverbindungen zu anderen Normen, sondern aus völlig anderen, sehr unterschiedlichen und meist fiskalisch motivierten Gründen (vermeintliche Sicherung des Steueraufkommens, Beschränkung mutmaßlicher als missbräuchlich gebrandmarkter Steuerspargestaltungen, Herstellung einer vermeintlichen Systemgerechtigkeit usw.). Daraus folgen Verwerfungen bis hin zur Besteuerung von tatsächlich erlittenen Verlusten.
Teilweise ist dies sogar die Folge früherer Rechtsprechungsänderungen, wie z. B. der Entscheidung des Großen Senats des BFH aus dem Jahr 1994 (BFH-Beschluss vom 9. 6. 1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998 S. 307 = DB 1997 S. 1693) zu Forderungsverzichten. Nach der genannten Entscheidung soll der Verzicht auf Gesellschafterdarlehensforderungen zugunsten einer notleidenden Tochtergesellschaft in Höhe des nichtwerthaltigen Teils der Forderung einen steuerpflichtigen. Verzichtsgewinn bei der Tochtergesellschaft zur Folge haben, nicht eine steuerneutrale Einlage. Die BFH-Entscheidung mag im Jahr der Urteilsverkündung aufgrund damaliger Rechtslage noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Nach zwischenzeitlich erfolgten Gesetzesänderungen ist das mehr als zweifelhaft.
Das gilt beispielsweise für § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Nach dieser Vorschrift werden bestimmte Gesellschafterdarlehensforderungen den Beteiligungen gewissermaßen gleichgestellt. Der Verlust des Darlehens ist bei der Muttergesellschaft – wie der Wertverlust bei der Beteiligung – nicht mehr steuerwirksam. Zugleich soll die ins Trudeln geratene Tochtergesellschaft auf den Verzichtsbetrag auch noch Steuern zahlen. Denn ihr wird ein nicht erwirtschafteter Gewinn zugerechnet (der oft nur sehr beschränkt, wenn überhaupt, mit Verlusten verrechenbar ist), obwohl sie nicht mehr in der Lage ist, ihre Schulden zu bedienen. Im Ergebnis werden damit reale Verluste und damit fehlende Leistungsfähigkeit besteuert.
Ernsthafte Bemühungen, solches Konfliktpotential neuer Vorschriften schon bei deren Einführung zu identifizieren, sind nur begrenzt wahrnehmbar. Und auch nach Bekanntwerden solcher „Unwuchten“ findet sich offenbar keiner, der diesem wirtschaftlichen Unsinn ein schnelles Ende bereiten will oder kann. Lüdicke hat jüngst zu Recht die Frage aufgeworfen, ob denn der Erlass einer Verbindlichkeit zugunsten einer sanierungsbedürftigen Tochtergesellschaft besteuerungswürdiger ist als der Erlass zugunsten wirtschaftlich gesunder Unternehmen.
Werden heute sanierungsbedürftige, notleidende Unternehmen an einen sanierungswilligen und noch potenten Käufer verkauft (häufig zu einem symbolischen Preis von nur einem Euro), und zwar Unternehmen, die früher einmal mit viel Eigenkapital, aber eben auch mit Gesellschafterdarlehen finanziert wurden, wird der Käufer darauf bestehen, dass die Gesellschaft zuvor um ihre Schulden „bereinigt“ wird („debt free“). Das ist, insbesondere wenn auch noch die Muttergesellschaft klamm ist, am einfachsten durch den Erlass der Darlehensverbindlichkeit zu bewerkstelligen. Diese naheliegende und wirtschaftliche sinnvolle Variante scheidet aus steuerlichen Gründen jedoch aus, weil sie bei der Schuldnergesellschaft eine Steuerschuld auf den Verzichtsbetrag auslöst und erst diese Steuerschuld die Insolvenz nach sich ziehen kann, die durch den Verkauf der Gesellschaft gerade vermeiden werden soll. Sarkastisch schrieb Seppelt kürzlich: „Unter steuerlichen Gesichtspunkten ist der beste Weg, das Darlehen nicht zu verändern und mit der Gesellschaft untergehen zu lassen“.
Der Käufer ist also oft gezwungen, neben der Beteiligung auch die Forderung gesondert zu erwerben, häufig in einer separaten Gesellschaft und oft ebenfalls für nicht mehr als einen Euro. Zwar bleibt dann die erworbene Gesellschaft mit der Schuld belastet, was ihr nicht gut tut und auch ihr Bilanzbild gewissermaßen dauerhaft „verschandelt“. In einer Käufer-Konzernbilanz „wäscht“ sich das zumindest raus. Jedenfalls in dieser Bilanz wird die Vermögenslage zutreffend dargestellt.
Der Käufer wird sodann versuchen zu gestalten, gewissermaßen angeregt durch steuerlich merkwürdige Regeln. Warum nicht die Forderung in einer (ausländischen) Gesellschaft kaufen, jedenfalls einer Gesellschaft mit günstiger Steuerposition (z. B. Verlustverrechnungspotenzial und / oder in einem günstigen Steuergebiet gelegen)? Erholt sich die Tochtergesellschaft wieder, muss sie Zinsen zahlen, die in Deutschland vorbehaltlich Zinsschranke steuerlich abzugsfähig sind. Die Tilgungszahlungen könnten von der neuen Gläubigergesellschaft u. U. steuergünstig bis steuerfrei vereinnahmt werden.
Das alles sind nicht mehr nur „merkwürdige Unwuchten“ (Möhlenbrock, Die Unternehmensbesteuerung 2010 S. 256, 260). Vielmehr gebietet schon der gesunde Menschenverstand die Einführung wirtschaftlich angemessener Regeln. Es ist zu hoffen, dass die notwendigen Korrekturen spätestens im Rahmen der angekündigten Neuordnung der Verlustverrechnungsbeschränkungen erfolgen.