Es klingt zunächst abwegig, ist aber in den Amtsstuben der Finanzämter gängige Praxis: Finanzbeamte versteuern versprochene Scheinerträge aus betrügerischen Schneeballsystemen, auch wenn die Renditen nur auf dem Papier bestehen und der Anleger die fiktiven Gewinne beim Anbieter stehen lässt. Das ist vergleichbar mit einer Wiederanlage ausgeschütteter Zinseinnahmen, was unmittelbar bei Reinvestition der Einkommensteuer unterliegt, so der BFH in einem am 16. 3. 2010 veröffentlichten Urteil (Az.: VIII R 4/07, DB 2010 S. 1737). Hiernach lebt die Steuerpflicht auf, sobald Einnahmen aus einem Betrugsmodell lediglich auf dem Konto der Betrugsfirma gutgeschrieben werden. Auf den Abruf der Gelder kommt es nicht an.
Auch wenn der Anbieter eines Schneeballsystems nur einen kleinen Teil der Anleger bei tatsächlichem Abruf der Gelder ausbezahlen könnte, spricht das nicht gegen die Steuerpflicht. Selbst wenn die buchmäßigen Gewinne auf ein Konto einer Briefkastengesellschaft im Ausland verbracht werden, müssen diese vom Anleger als Kapitaleinnahmen deklariert werden, bis 2008 mit dem individuellen Steuersatz und ab 2009 mit dem Abgeltungsteuertarif. Kapitaleinkünfte liegen nämlich nicht nur bei Zinsgutschriften von Banken nach dem Kreditwesengesetz vor, sondern generell bei Auskehrungen aller Arten von Anlagesystemen.
Der BFH hatte bereits Ende 2008 ein vergleichbares Urteil gefällt. Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte das BVerfG jüngst nicht zur Entscheidung angenommen und damit wahrscheinlich stillschweigend die strikte Auffassung gebilligt. Sofern der Anleger den Betrug nicht erkennt oder zumindest nicht vermutet, muss er die versprochenen Scheinrenditen so lange versteuern, bis der Betreiber Antrag auf Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens gestellt hat.
Der BFH lockert allerdings mit dem aktuellen Urteil seine bisher strenge Linie etwas. Sprechen konkrete Indizien dafür, dass der Betreiber des Schneeballsystems die Scheingewinne nicht ausbezahlt hätte, wenn der beteiligte Anleger dies verlangt hätte, erfolgt das stehenlassen der Erträge auf Wunsch des Schuldners und kann die sofortige Versteuerung ausschließen. Das ist dann mit einer Stundung durch den Gläubiger wegen einer angespannten Finanzlage zu vergleichen, die auch erst bei der späteren Auszahlung zur Steuerpflicht führt.
Ein Trost bleibt: Sollte es beim Anleger zu Nachweisschwierigkeiten kommen, muss das Finanzamt den Zahlungswillen des Betrügers nachweisen. Denn für steuererhöhende Tatsachen obliegt der Behörde die Beweislast.