Rückwirkende Verschärfung der Stille Reserven-Klausel des § 8c KStG durch das Jahressteuergesetz 2010?

RA/FAStR/StB Arne von Freeden, LL.M. (NYU), Partner bei Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Ein unmittelbarer oder mittelbarer Erwerb von mehr als 25% bzw. mehr als 50% der Anteile oder Stimmrechte an einer Kapitalgesellschaft durch einen Erwerber führt im Grundsatz zu einem (steuerlichen) Untergang nicht genutzter Verluste oder eines Zinsvortrags der Gesellschaft (§ 8c Abs. 1 Satz 1 oder 2, § 8a Abs. 1 Satz 3 KStG). Der Kauf einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft oder die Anteilsübertragung im Rahmen einer Umstrukturierung kann somit zu einem erheblichen Steuerschaden der Gesellschaft führen (schädlicher Beteiligungserwerb). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei zahlreichen Unternehmen in Folge der zurückliegenden Wirtschaftskrise Verlustvorträge bestehen, kommt der Vorschrift bei der steuerlichen Strukturierung einer Unternehmensakquisition oder -umstrukturierung erfahrungsgemäß zentrale Bedeutung zu. Dabei kann Ansatz für eine „richtige“ Strukturierung die Nutzung der Stille Reserven-Klausel des § 8c KStG sein (§ 8c Abs. 1 Satz 6 – 8 KStG).

Die Stille Reserven-Klausel

Der Gesetzgeber hat die Stille Reserven-Klausel durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz (Gesetz vom 22. 12. 2009, BGBl. I 2009 S. 3950) in § 8c KStG eingefügt, um bestimmte Transaktionen aus dem weiten Anwendungsbereich der Vorschrift herauszunehmen. Nach der Klausel kann ein bei der Gesellschaft bestehender nicht genutzter Verlust und/oder Zinsvortrag in Höhe der zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs vorhandenen stillen Reserven des inländischen Betriebsvermögens abgezogen werden (§ 8c Abs. 1 Satz 6, § 8a Abs. 1 Satz 3 KStG). Zur Anwendung der Klausel hat sich die Finanzverwaltung noch nicht geäußert, so dass Zweifelsfragen „offen“ sind (z. B. Anwendung der Stille Reserven-Klausel im Fall einer Beteiligungskaskade, Zusammenspiel zwischen Stille Reserven-Klausel und Organschaft). Stille Reserven im Sinne der Klausel sind der Unterschiedsbetrag zwischen dem (ggf. anteiligen) steuerlichen Eigenkapital und dem auf dieses Eigenkapital jeweils entfallenden gemeinen Wert der Anteile an der Kapitalgesellschaft, wobei nur der Betrag des Unterschiedsbetrags zu berücksichtigen ist, der auf steuerpflichtige stille Reserven des inländischen Betriebsvermögens entfällt (§ 8c Abs. 1 Satz 7 KStG). Da es sich bei § 8c KStG um eine Stichtagsregelung handelt, ist eine Transaktion – und eine Anwendung der Stille Reserven-Klausel – mit Durchführung des tatbestandsmäßigen Beteiligungserwerbs abgeschlossen.

Für die Beantwortung der Frage, ob eine Kapitalgesellschaft über ausreichend stille Reserven zum „Schutz“ ihrer Verluste und/oder ihres Zinsvortrags verfügt, ist in einem ersten Schritt die Differenz zwischen steuerlichem Eigenkapital und dem gemeinen Wert des Anteils zu ermitteln (Unterschiedsbetrag). Im zweiten Schritt ist der Unterschiedsbetrag um die „steuerfreien“ stillen Reserven der Gesellschaft zu kürzen (z. B. stille Reserven in Wirtschaftsgütern einer ausländischen Betriebsstätte mit DBA-Freistellung). Bei der Bestimmung der Höhe des Unterschiedsbetrags ist auch negatives steuerliches Eigenkapital zu berücksichtigen, in diesem Fall erhöhen sich die stillen Reserven entsprechend. Der Gesetzeswortlaut sieht eine Einschränkung auf positives Eigenkapital eindeutig nicht vor.

Der Gesetzgeber sollte keine rückwirkende Einschränkung auf „positives“ steuerliches Eigenkapital vornehmen

In seiner Stellungnahme zum Entwurf des Jahresteuergesetzes 2010 (JStG 2010) bittet der Bundesrat im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob bei der Bestimmung des Unterschiedsbetrags eine gesetzliche Begrenzung auf das positive steuerliche Eigenkapital erfolgen sollte (BR-Drucks. 318/10 (Beschluss), Ziffer 33; eine weitere Prüfbitte zielt darauf ab, bei der Bestimmung der stillen Reserven auch ausländisches Betriebsvermögen zu berücksichtigen, für das Deutschland das Besteuerungsrecht zusteht). Die Prüfbitte des Bundesrates geht auf eine Empfehlung des Finanzausschusses zurück (BR-Drucks. 318/1/10, Ziffer 37). Die gesetzliche Einschränkung auf das positive steuerliche Eigenkapital soll ausweislich der Begründung des Bundesrates zur Verhinderung von unerwünschten Verlustnutzungsfällen dienen. Verlust tragende Gesellschaften mit einem negativen steuerlichen Eigenkapital enthielten keine betriebswirtschaftlich fundierten stillen Reserven. Stille Reserven im Sinne der Stille Reserven-Klausel sollten dementsprechend auch rechnerisch nicht entstehen können. Dem Vernehmen nach kommt die Bundesregierung der Bitte um Prüfung nach, der Ausgang ist „offen“. Bei gesetzlicher Umsetzung des Vorschlags des Bundesrates ist der Betrag der „schützenden“ stillen Reserven einer Kapitalgesellschaft niedriger als der Betrag, der sich nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung ergibt.

Ob die Überlegungen des Bundesrates zutreffend – und zur Zielerreichung geeignet – sind, ist zweifelhaft. Die vorgeschlagene Neuregelung erfasst insbesondere nicht nur „unerwünschte Verlustnutzungsfälle“  (Missbrauchsfälle?), sondern sämtliche Transaktionen, die in den Anwendungsbereich der Stille Reserven-Klausel fallen. Nicht nachvollziehbar wäre es jedenfalls, wenn eine entsprechende (verschärfende) Gesetzesänderung auch für bereits abgeschlossene Transaktionen Anwendung finden würde. Der Vorschlag des Bundesrats scheint dies aber vorzusehen, die Neuregelung soll danach erstmals für den Veranlagungszeitraum 2010 anwendbar sein (BT-Drucks. 318/10 (Beschluss), Ziffer 33 Buchst. b). Bei einer entsprechenden Umsetzung des Vorschlags könnte die Gesetzesänderung zu einem rückwirkenden Eingriff in eine bereits abgeschlossene Transaktion führen (z. B. Anteilserwerb im April 2010 unter Nutzung der Stille Reserven-Klausel). Dies ist „unfair“ und verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Der Gesetzgeber muss deshalb – bei gesetzlicher Umsetzung des Vorschlags des Bundesrates und abweichend von einer möglichen weiteren Änderung des § 8c KStG – vorsehen, dass die Neuregelung erst auf Transaktionen anzuwenden ist, die nach Inkrafttreten des JStG 2010 durchgeführt werden.

Alle Kommentare [1]

  1. Einer rückwirkenden Verschärfung der Stille-Reserven-Klausel steht m. E. der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2010, 2 BvL 1/03 u. a.

    http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20100707_2bvl000103.html

    entgegen. Nach dieser Entscheidung darf der Steuerpflichtige bis zur Einbringung des Gesetzentwurfs in das Gesetzgebungsverfahren auf den Fortbestand der alten Rechtslage vertrauen.