Steuerzinsen und Nettoprinzip

RA StB Dr. Gerhard Lempenau, Partner bei Ebner Stolz Mönning Bachem, Stuttgart

Seit 1990 werden nach § 233a AO Steuerzinsen erhoben. Anlass waren milliardenschwere Steuernachzahlungen aufgrund Betriebsprüfung, oftmals für lange zurückliegende Jahre. Die Strategie mancher Unternehmen, übervorsichtige Ansätze in der Handelsbilanz in die Steuerbilanz zu übernehmen und sich später mit der Betriebsprüfung darüber zu streiten, sollte torpediert werden. Bei der Einkommensteuer waren Nachzahlungszinsen abzugsfähig (§ 10   Abs. 1 Nr. 5 EStG); Erstattungszinsen wurden als Kapitaleinkünfte besteuert. Der Zinssatz von 6% war damals angemessen.

Ab 1999 wurde die Abzugsfähigkeit der Nachzahlungszinsen beseitigt. Auf der Suche nach Steuermehreinnahmen waren findige Juristen auf die Idee gekommen, die Zinsen als Nebenleistung zur Steuer wie die Steuer selbst nicht zum Abzug zuzulassen (§ 12 Nr. 3 EStG). An der Steuerpflicht der Erstattungszinsen wollte der Gesetzgeber festhalten. Dies galt beispielsweise auch dann, wenn der Steuerpflichtige seine Steuerzahlungen mit Kredit finanzierte und später eine Erstattung erhielt, selbst bei Obsiegen in einem Rechtsmittel. Verfassungsrechtlich wurde diese Diskrepanz als unproblematisch abgesegnet; wer dagegen anging wurde mit Michael Kohlhaas in die Ecke gestellt.

Das wohlige Gefühl des Fiskus wird nun durch ein Urteil des BFH vom 15. 6. 2010 (VIII R 33/07, DB 2010 S. 1970) gestört. Nun entschieden findige Steuerjuristen, Erstattungszinsen zur Einkommensteuer seien zwar begrifflich Zinseinnahmen, sie fielen jedoch nicht im Rahmen der Überschusseinkünfte an, da der Gesetzgeber die Einkommensteuer inklusive Nebenleistungen in § 12 Nr. 3 EStG dem steuerlich irrelevanten Bereich zugeordnet habe. Mit anderen Worten, wenn der Gesetzgeber die Nachzahlungszinsen dem steuerlich nicht relevanten Bereich zuordne, so müsse er in Kauf nehmen, dass Erstattungszinsen nicht steuerbar sind. Die Empfänger von Erstattungszinsen können jubeln (soweit ihre Veranlagung noch offen ist), die Zinszahler verharren in ihrem Schmerz.

Ohne viel Phantasie ist vorherzusehen, dass der Gesetzgeber mit einem Federstrich die Steuerpflicht der Erstattungszinsen „klarstellend“ absichern wird, wahrscheinlich rückwirkend mit dem Argument, bisher sei die Steuerpflicht von der Rechtsprechung bestätigt gewesen, zudem sei der BFH einem Zirkelschluss unterlegen, weil doch die Erstattungszinsen unzweifelhaft den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erfüllten.

Ein Blick auf die Körperschaftsteuer zeigt, dass die Argumentation des VIII. Senats jedenfalls in den Fällen nicht zieht, in denen die Erstattungszinsen als Betriebseinnahmen zu qualifizieren sind, insbesondere bei Kapitalgesellschaften. Soll es hier weiter bei der Ungleichbehandlung von Zinsaufwand und Zinsertrag bleiben oder lässt sich aus § 10 Nr. 2 KStG schließen, dass nicht nur Steuererstattungen, sondern auch Erstattungszinsen steuerfrei bleiben (wodurch die nichtabzugsfähige Steuer unter 15% sinken könnte)? Ähnlich stellt sich die Problematik bei der Gewerbesteuer, die seit 2008 inklusive Nebenleistungen nicht abzugsfähig ist (§ 4 Abs. 5b EStG); begrifflich sind Erstattungszinsen Betriebseinnahmen.

Der Gesetzgeber sollte sich seine Reaktion wohl überlegen. M.E. liegt das Grundübel in der mangelnden Bekenntnis des BVerfG zum Nettoprinzip. Dies verleitet den Gesetzgeber dazu, Aufwendungen, die die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen belasten, in Ausübung seines weiten Gestaltungsspielraums vom Abzug auszuschließen. Die Nichtabzugsfähigkeit der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer ist völlig in Ordnung, da der Gesetzgeber im Steuertarif immanent bestimmt, wie hoch die Belastung des Bürgers sein soll.

Das kann aber gerade nicht für die Steuerzinsen gelten. Sie vermindern oder erhöhen automatisch die Leistungsfähigkeit des Bürgers. Daher ist es ein Gebot der Folgerichtigkeit, eine zusätzliche Belastung steuerlich zum Abzug zuzulassen, auch Zinsen aus der Fremdfinanzierung von Steuerzahlungen. Gerade dann und nur dann ist es auch folgerichtig, Zinseinnahmen als Erhöhung der Leistungsfähigkeit zu besteuern. Die aus dem Verfahrensrecht stammende Gleichbehandlung von Steuern und steuerliche Nebenleistungen darf die materiell gebotene Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht präjudizieren. Nachzahlungszinsen dürfen nicht zu einer Erhöhung des Steuertarifs führen. Jeder Bürger wird dies weiter als ungerecht empfinden. Ganz indiskutabel wäre es, böswillige Finanzbeamte durch verzögerte Veranlagung von Steuernachzahlungen mittelbar über den Steuertarif entscheiden und dem Bürger eine erhöhte Steuerlast aufbürden zu lassen.

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