Die 1. Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Vorlage des Finanzgerichts Niedersachsen, die zur Verfassungswidrigkeitserklärung des Solidaritätszuschlags führen sollte, als unzulässig zurückgewiesen. Hoffnungen auf ein absehbares Ende des Solidaritätszuschlags, die die Vorlage auslöste, haben sich damit nicht erfüllt. Zwar war in Fachkreisen nicht damit gerechnet worden, dass das Bundesverfassungsgericht dem Normenkontrollantrag stattgeben wird. Dass es aber auf der anderen Seite dem Gesetzgeber gar keine Auflagen mitgeben würde, überrascht dann doch. Die Entscheidung, die sich wegen der Verwerfung als „unzulässig“ mit den inhaltlichen Argumenten des Finanzgerichts nicht ernsthaft auseinandersetzt, könnte vom Gesetzgeber als Einladung verstanden werden, den „Soli“ dauerhaft neben der Einkommensteuer zu erheben. Das ist zu bedauern.
Das Bundesverfassungsgericht begründet die Verwerfung der Normenkontrolle vor allem damit, dass es sich im Jahre 1972 bereits ausgiebig mit Ergänzungsabgaben – der Solidaritätszuschlage ist finanzverfassungsrechtlich eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 EStG) – befasst habe und dass sich das vorlegende Finanzgericht nicht ausreichend mit den Erwägungen in dieser Entscheidung auseinandergesetzt habe. Anstatt die damalige Entscheidung zum „Ausgangspunkt seiner verfassungsrechtlichen Prüfung“ zu nehmen, habe das Finanzgericht die Verfassungswidrigkeit allein auf die Dauer der Erhebung des Solidaritätszuschlags gestützt und sich darauf beschränkt, „seine eigene Auslegung der Verfassungsnorm jener des Bundesverfassungsgerichts entgegenzusetzen.“
Man kann es förmlich spüren, wenn man die Entscheidung liest: Das BVerfG empfand die Richtervorlage als Kampfansage. Es gehört sich nicht für ein Fachgericht, mit dem BVerfG in einen argumentativen Streit zu treten. Auf ein solches Kräftemessen lässt sich das BVerfG nicht ein und verweist mit kühler Schulter auf die Bindungswirkungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (§ 31 BVerfGG).
Dennoch hätte man sich – bei allem Verständnis für die Position des höchsten Gerichts – im Interesse des Steuerbürgers ein paar inhaltliche Aussagen gewünscht. Historisch betrachtet knüpft die Ergänzungsabgabe an die Zuschläge zur Einkommen- und Körperschaftsteuer an, die das Deutsche Reich zur Sanierung des Reichshaushalts erhoben hatte. Die Zuschläge waren damals befristet auf ein Jahr, so dass sie nach Ablauf eines Jahres erneut festgesetzt werden mussten. Bei der Einführung der Ergänzungsabgabe in das Grundgesetz 1954/55 wurde eine ausdrückliche Befristung der Ergänzungsabgabe nicht vorgesehen. In der Begründung wird nur angeführt, dass sie dazu bestimmt sei, anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken (BT-Drucks. 2/480 S. 72 Nr. 105). Aus dem eindeutig nachweisbaren Ausnahmecharakter ergibt sich aber, dass sie nach dem Willen des Verfassungsgebers jedenfalls nicht unbegrenzt erhoben werden sollte. Der Verzicht auf die Notwendigkeit einer Befristung sollte also den Ausnahmecharakter nicht aufheben. Denn eine dauerhaft etablierte Ergänzungsabgabe, die zusätzlich zur Einkommensteuer erhoben wird, ist nicht nur ein Störfaktor im System des Finanzausgleichs, sondern verschleiert auch die effektive Tarifbelastung, die die Einkommensteuer auslöst. Man kann dies heute deutlich beobachten, wenn Politiker einer Anhebung der Einkommensteuer auf 49% das Wort reden und dabei verschweigen, dass diese Anhebung zu einer „echten“ Einkommensteuerbelastung (Einkommensteuer + Solidaritätszuschlag) von deutlich über 50% führt. Wenn der Solidaritätszuschlag zu einer zweiten Einkommensteuer mutiert, dann wird die Vorstellung des Verfassungsgebers von dieser Zusatzabgabe klar ignoriert. Das hat das Bundesverfassungsgericht übrigens in der Entscheidung aus dem Jahre 1972 auch so gesehen, in der ausgeführt wird, dass der Bund keine Ergänzungsabgabe einführen dürfe, die wegen ihrer Ausgestaltung, insbesondere wegen ihrer Höhe die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer oder die den Ländern zustehende Vermögensteuer aushöhlen könnte.
Das spricht dafür, dass die Zeit für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe, und damit auch des Solidaritätszuschlags, irgendwann mal auslaufen muss. Aber wann das der Fall ist, wissen wir nicht. Nach der jüngsten Entscheidung des BVerfG leider noch weniger als vorher.