Die Berücksichtigung „finaler“ Verluste aus EU-Betriebsstätten bei der Gewerbesteuer – ein Paradoxon?

Mit zwei Urteilen vom 9. 6. 2010 hat der BFH zu der Frage einer ausnahmsweisen Berücksichtigung EU-ausländischer Betriebsstättenverluste auf Seiten inländischer Stammhäuser Stellung genommen. Mit Überraschung wurde in der Fachwelt die Entscheidung des BFH aufgenommen, die ggf. erforderliche inländische Berücksichtigung finaler Verluste aus EU-Betriebsstätten gleichfalls auf die Gewerbesteuer zu beziehen (BFH-Urteil vom 9. 6. 2010 – I R 107/09, DB 2010 S. 1733). Nach Auffassung des BFH sollen die gemeinschaftlichen Erfordernisse und deren Anwendungsvorrang zu einem Abzug der finalen Auslandsverluste auch bei der Gewerbesteuer führen. Eine Hinzurechnung nach § 9 Nr. 3 GewStG habe zu unterbleiben, um eine der gewerbesteuerlichen Berücksichtigung von Inlandsverlusten entsprechende Behandlung finaler Betriebsstättenverluste herbeizuführen. Vor dem Hintergrund des – wenn auch oftmals in der steuerwissenschaftlichen Diskussion sehr pauschal bemühten – Inlandsbezugs der Gewerbesteuer vermag dieses Ergebnis zunächst merkwürdig erscheinen.

Unmittelbare Konsequenz einer Suspendierung der abkommensrechtlichen Freistellung in Folge einer gemeinschaftsrechtlich gebotenen Berücksichtigung finaler EU-Betriebsstättenverluste ist die Minderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb als Ausgangsgröße für die Ermittlung des Gewerbeertrags (§ 7 S. 1 GewStG). Unabhängig von der DBA-rechtlichen Freistellung allerdings, sollte in einem weiteren Schritt die gewerbesteuerliche Kürzungsnorm des § 9 Nr. 3 GewStG zu beurteilen sein.

Wird die Ausgangsgröße zur Ermittlung des Gewerbeertrags durch finale ausländische Betriebsstättenverluste gemindert, ist eine Hinzurechnung i.S. des § 9 Nr. 3 GewStG zunächst tatbestandlich geboten. Für ein Unterlassen der Hinzurechnung wäre nur dann Raum, wenn die gewerbesteuerliche Negierung der finalen Betriebsstättenverluste selbst gegen primäres Gemeinschaftsrecht, in concreto gegen die Niederlassungsfreiheit, verstoßen sollte. Diesbezüglich ist in einem ersten Schritt zu konstatieren, dass sich die Hinzurechnung der finalen ausländischen Betriebsstättenverluste gem. § 9 Nr. 3 GewStG als eine neuerliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Insofern ist nämlich die steuerliche Situation eines inländischen Stammhauses mit EU-ausländischer Betriebsstätte weniger günstig als diejenige eines inländischen Stammhauses mit einer im Inland belegenen Betriebsstätte. Während letzteres die Verluste aus einer inländischen Betriebsstätte gewerbesteuerlich berücksichtigen kann, wird für den grenzüberschreitenden Sachverhalt nach vorangegangener Suspendierung der Verlustfreistellung, die inländische Berücksichtigung der (finalen) Verluste für Zwecke der Gewerbesteuer durch die Hinzurechnung nach § 9 Nr. 3 GewStG wiederum versagt. Insoweit beschränkt die Norm des § 9 Nr. 3 GewStG die Niederlassungsfreiheit und bedarf einer Rechtfertigung. Alleine aufgrund des Inlandcharakters der Gewerbesteuer eine Hinzurechnung nach § 9 Nr. 3 GewStG zu bejahen, wäre deshalb verfehlt. M.E. können jedoch im Kontext des § 9 Nr. 3 GewStG – analog zum Fall der abkommensrechtlichen Freistellung – die Rechtfertigungsgründe der Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung und der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse angeführt werden. Diese Bezugnahme wird bestätigt, wenn die Wirkung des § 9 Nr. 3 GewStG bei Nicht-Bestehen eines DBA bzw. bei Bestehen eines ebensolchen mit Vereinbarung der Anrechnungsmethode betrachtet wird. Aus gewerbesteuerlicher Sicht verwirklicht sich nämlich durch die Kürzungsvorschrift eine eigene symmetrische Freistellung ausländischer Betriebsstättenergebnisse. Vor diesem Hintergrund dient § 9 Nr. 3 GewStG, wenn auch unilateral und im Hinblick auf die Umsetzung des Inlandsbezugs der Gewerbesteuer, einer von der Abkommenssituation (Anrechnungsmethode; kein DBA) abweichenden Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse und der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung. Einerseits wird durch die Regelung die Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit einer Verlustberücksichtigung gewahrt, mithin eine Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse vorgenommen. Andererseits führt die ansässigkeitsstaatliche Freistellung von Verlusten im Rahmen der Gewerbesteuer zu einer insoweit ausschließlichen Verlustberücksichtigung im Betriebsstättenstaat, die eine doppelte Verlustnutzung verhindert. Aus der Analogie der Rechtfertigungsgründe im Rahmen des § 9 Nr. 3 GewStG und der abkommensrechtlichen Freistellung hat letztlich ein Gleichauf in der Auslegung der europarechtlichen Erforderlichkeitsgrenze zu folgen. Liegt die Finalität der ausländischen Betriebsstättenverluste mithin in tatsächlichen Gegebenheiten begründet, würde eine gewerbesteuerliche Hinzurechnung dieser Verluste nach § 9 Nr. 3 GewStG – ebenso wie eine Beibehaltung der abkommensrechtlichen Freistellung – über das zur Erreichung der genannten Ziele Erforderliche hinausgehen und hat somit zu unterbleiben. Auf den ersten Blick mag die Rechtsprechung des I. Senats zwar überraschen. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist die gewerbesteuerliche Berücksichtigung finaler EU-Betriebsstättenverluste jedoch konsequent.

Kommentare sind geschlossen.