Was haben Allianz, BASF und die Porsche Automobil Holding gemeinsam? Alle Drei tragen das Rechtskleid der Societas Europaea (SE) und sind damit im besten Sinne en vogue. Nachweislich einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie über die Umsetzung und Auswirkungen des Statuts der Europäischen Gesellschaft (SE) waren im Frühjahr 2009 369 SEs innerhalb der EU/des EWR registriert, darunter 91 in Deutschland.
Wie der Name erahnen lässt, ist die SE eine Gesellschaftsform (Aktiengesellschaft) europäischen Rechts. Sie wurde durch die Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) vom 8. 10. 2001, die am 8. 10. 2004 in Kraft trat, eingeführt. Die SE-VO stellt dabei unmittelbar anwendbares Recht dar, d. h. sie musste von den EU-Mitgliedstaaten nicht gesondert in nationales Recht umgesetzt werden. Mit dem Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) wurden in Deutschland zwar ergänzende Ausführungsbestimmungen zur SE-VO erlassen, wesentliche Rechtsgrundlage der SE bleibt indes die SE-VO selbst. In Folge der bewussten Lückenhaftigkeit der Verordnung kann es subsidiär jedoch zu einem Rückgriff auf konkrete, durch die Verordnung zugelassene Satzungsbestimmungen der jeweiligen SE sowie auf nationales Recht (in Deutschland insbesondere auf das SEEG und das AktG) kommen.
Kernstück der SE-VO bilden die Vorschriften zur Gründung eine SE. So enthält die Verordnung einen numerus clausus an Gründungsformen, der u. a. vier Möglichkeiten zur Primärgründung vorsieht. So können Aktiengesellschaften, die nach dem Recht eines EU-Staates gegründet worden sind und ihren Sitz sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben, eine SE durch Verschmelzung gründen, sofern mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Unter denselben Voraussetzungen können Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung eine Holding-SE errichten. Unterliegen die Gründungsgesellschaften jedoch der Rechtsordnung desselben Mitgliedsstaats kommt die Bildung einer Holding-SE auch dann in Betracht, sofern zumindest zwei von ihnen seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben.
Besagte Voraussetzungen zur Gründung der Holding-SE gelten auch für die Errichtung einer Tochter-SE. Allerdings kommen hier auch Gesellschaften bürgerlichen Rechts sowie Handelsgesellschaften – aus deutscher Sicht insb. also die GbR, OHG und KG – als Gründer in Betracht. Die letzte und vierte Form der Primärgründung stellt die formwechselnde Umwandlung einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten sowie Sitz und Hauptverwaltung in der Gemeinschaft aufweisenden AG in eine SE dar. Dabei muss die entsprechende AG seit mindestens zwei Jahren über eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft verfügen.
Gemeinsam ist damit allen Gründungsformen ein sich auf das Gemeinschaftsgebiet erstreckender Mehrstaatenbezug. Zudem ist die Gründerfähigkeit jeweils auf bestimmte Rechtsformen beschränkt. Die bereits angeführte SE-Studie zeigt unter den Gründungsvorgängen in Deutschland eine Dominanz der Primärgründung einer gemeinsamen Tochter-SE (49%) und der formwechselnden Umwandlung (28%). Eine Verschmelzungsgründung erfolgt in 13% der Fälle, gefolgt von der Gründung einer Tochter-SE durch eine Mutter-SE (Sekundärgründung, 8%) und der Errichtung einer Holding-SE (2%).
Aus steuerlicher Sicht gilt es im Rahmen der SE-Gründung eine Aufdeckung stiller Reserven soweit wie möglich zu vermeiden. In Folge der Europäisierung des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) durch das SEStEG ist dies in Deutschland regelmäßig auch bei grenzüberschreitenden Übertragungsakten möglich, sofern hierbei deutsche Besteuerungsrechte nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden. Im Einzelnen sind bei einer Verschmelzungsgründung insb. die Vorschriften der §§ 11-13 UmwStG, bei der Gründung einer Holding-SE die §§ 21 ff. UmwStG sowie im Fall einer Sachgründung einer Tochter-SE die §§ 20, 21 ff. UmwStG zu beachten. Mangels eines steuerrelevanten Übertragungsaktes ist die formwechselnde Umwandlung einer AG in eine SE vor dem Hintergrund der Steuerneutralität regelmäßig unproblematisch.
Schließlich gilt es zu fragen: Was bewegt Unternehmen das Kleid der SE zu tragen, wo doch Kosten und Komplexität der Gründung sowie die Unsicherheit bezüglich des Wechselspiels zwischen unmittelbar geltendem Europarecht und national anwendbarem Recht nicht unbeachtlich sein können?
Zum einen wird durch die SE-VO eine Wahlmöglichkeit zwischen dualistischem (Vorstand und Aufsichtsrat) und monistischem (Verwaltungsrat) Leitungssystem eröffnet. Gleichfalls können mitbestimmungsrechtliche Gestaltungsspielräume den Ausschlag zugunsten einer Strukturierung des unternehmerischen Engagements mittels einer SE geben. Überdies ist der SE – wiederum ein weiterer Pluspunkt – die identitätswahrende Verlegung des Satzungssitzes innerhalb der EU/des EWR möglich. Nicht zuletzt ist es vielfach ebenso der Wunsch nach einem europäischen, internationalen Image, der die SE als Gesellschaftsform attraktiv werden lässt. Kleider machen eben auch Gesellschaften!