Um die Gesellschafterfremdfinanzierungsregelung des „alten“ § 8a KStG ist es seit „Erfindung“ der Zinsschranke recht ruhig geworden. Immerhin beherrschte sie in den Jahren 1994 bis einschließlich 2007 die Finanzierungskonstrukte vor allem international tätiger Unternehmen. Wechselnde „Schutzschilder“ (= safe haven) für bilanzielle Eigenkapital-/Fremdkapitelrelationen und die Rechtsfolgen einer grenzüberschreitenden verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) mit der doppelbesteuerungsdrohenden Umqualifizierungsproblematik im ausländischen Empfängerstaat machten den Umgang mit dem „alten“ § 8a KStG nicht einfach. Die Lankhorst-Hohorst-Entscheidung des EuGH vom 12. 12. 2002, die einen Europarechtsverstoß gegen die Niederlassungsfreiheit konstatierte und das „Inlandsfiasko“ unnützer verdeckter Gewinnausschüttungen bei nahe stehenden Personen und rückgriffsberechtigten Dritten nach sich zog, hat letztlich das „Scheitern“ der thin capitalization rule und den Konzeptwechsel zur Zinsschranke ausgelöst. All dies ist Vergangenheit, beschäftigt aber in Streitfällen nach wie vor alte Betriebsprüfungen und die Finanzgerichte. Zu vermerken ist nun aktuell eine wichtige BFH-Entscheidung vom 8. 9. 2010 (I R 6/09, DB 2010 S. 2703), wonach die Altfassungen des § 8a KStG in den Streitjahren 1999 bis 2001 gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 25 Abs. 3 DBA Schweiz verstoßen.
Dies ist bedeutsam: Denn nach der Lasertec-Entscheidung des EuGH vom 10. 5. 2007 konnte die Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaaten ansässigen Anteilseignern nicht helfen. Damit ist eine weitere „Verteidigungsbastion“ der Finanzverwaltung zur Umqualifizierung grenzüberschreitender Zinsen in eine verdeckte Gewinnausschüttung in Drittstaatenkonstellationen gefallen. Die Sperrwirkung des Diskriminierungsverbots im DBA Schweiz hindert die zinsbezogene Umqualifizierung in eine verdeckte Gewinnausschüttung. Europarechtsverstoß und DBA-Diskriminierungsverstoß in Drittstaatenfällen gehen – bei allen ansonsten bestehenden Detailunterschieden – insoweit „Hand in Hand“. Nicht nur der Kläger im BFH-Rechtsstreit wird sich freuen; etliche andere Unternehmen sollten ihren Fall nun unter Berufung auf das aktuelle BFH-Judikat zu Ende bringen.
Die BFH-Entscheidung vom 8. 9. 2010 ist ein vielschichtiger, lesenswerter „international-steuerlicher Leckerbissen“. Es geht um den steuerlichen Zinsabzug einer verlustführenden Dual Resident-Gesellschaft, konkret einer AG Schweizer Rechts mit deutscher Geschäftsleitung in den Jahren 1999 bis 2001 (unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht). Darlehensgebender alleiniger Aktionär war eine in der Schweiz lebende natürliche Person mit seiner beherrschten Schweiz-Gesellschaft. Die Darlehen waren unbefristet und unbesichert. Mangels verlustbedingtem safe haven-Schutz ging die Finanzverwaltung von vGAs aus. Das FG Köln (Urteil vom 22. 10. 2008 – 13 K 1164/05, EFG 2009 S. 509) und nun auch der I. Senat des BFH haben dem Steuerpflichtigen recht gegeben; eine Umqualifizierung der Zinsen in eine vGA kommt nicht in Betracht. Die Argumentation des BFH ist zweispurig angelegt: Die im Inland geltend gemachten Zinsaufwendungen stellen weder eine allgemeine vGA gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG noch eine spezielle § 8a-vGA dar. Das einschlägige Diskriminierungsverbot des Art. 25 Abs. 3 DBA Schweiz 1971/1992 verbietet eine inländische Umqualifizierung gegenüber den steuerausländischen Darlehensgebern; abkommensrechtliche Sondererlaubnisse zur zinsbezogenen Berichtigung nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes fehlen. Obwohl das Finanzamt – mit Unterstützung des beigetretenen BMF – alle rechtlichen Register zur Durchsetzung ihrer vGA-Position gezogen hat, dringt keines ihrer Argumente beim BFH durch. Manches Interessante wird dabei vom BFH nur angedeutet – etwa ein faktischer Treaty Override des „alten“ § 8a KStG oder die zivilrechtliche Bedeutung der Sitztheorie für Vertragsbeziehungen zwischen einer Dual Resident-Gesellschaft und ihren Gesellschaftern -, bleibt aber letztlich mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt. Für den BFH ist ungeachtet dieser Detailfragen ganz eindeutig: Die Gleichbehandlung von steuerinländischen und steuerausländischen Anteilseignern erfordert die Nichtannahme einer vGA. Aus Beraterbrille ist dem nichts hinzuzufügen.
Zum Schluss
Das BFH-Judikat sollte Pflichtlektüre jedes international tätigen Steuerexperten sein. Auch wenn seine Kernbotschaft im alten Recht liegt, lassen sich aus dem Urteil für aktuelle Zinsabzugs- und DBA-Fragen Erkenntnisse gewinnen. Man sieht: Denkbare Europarechts- und DBA-Verstöße werden beim BFH nicht leicht zu rechtfertigen sein. Der I. Senat nimmt die diversen Diskriminierungsverbote sehr ernst und scheut sich nicht, die europarechtliche Act Claire-Doktrin offensiv anzuwenden. Weiter so – meint der Berater!