Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat erstmals 2003 in der Rechtssache Barbier (Rs. C 364-/01) erbschaftsteuerliche Regelungen am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit gemessen. Durch die aktuelle Vorlage des BFH vom 15.12.2010 (II R 63/09, DB0402760) erhält der EuGH nun abermals Gelegenheit, zu dieser Frage Stellung zu beziehen und zugleich eine dogmatische Grundsatzfrage weiter aufzuarbeiten.
Im vorliegenden Fall geht es primär um die Frage, ob die erbschaftsteuerliche Benachteiligung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften aus Drittstaaten gegenüber EU-Beteiligungen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Nach der (alten) Rechtslage im Streitfall galt für beherrschende Beteiligungen in der EU sowohl ein gegenstandsbezogener Freibetrag als auch ein Bewertungsabschlag von 35%, während Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in Drittstaaten in vollem Umfang in die Bemessungsgrundlage eingingen.
Der deutsche Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung in § 13a ErbStG die Unternehmensnachfolge steuerlich erleichtern und das sogenannte „echte“ Unternehmensvermögen steuerlich entlasten. Die Entlastung setzte voraus, dass begünstigtes Vermögen gegeben war. Hierzu gehörte neben dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen und Betriebsvermögen auch bestimmte Anteile an Kapitalgesellschaften, soweit es sich nicht um Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 ErbStG handelte. Weiter musste das begünstigte Vermögen im Inland, in einem Mitgliedstaat oder in einem EWR-Staat belegen sein. Befindet es sich dagegen in einem Drittstaat, kann keine Begünstigung nach § 13a ErbStG beansprucht werden. An diesem Punkt kamen dem BFH europarechtliche Bedenken auf. So ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bei Erbfällen der sachliche Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit eröffnet. Das gilt auch dann, wenn die Anteile an der ausländischen Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ermöglicht und somit auch die Niederlassungsfreiheit in Blick genommen werden muss. Der BFH vertritt im Vorlagebeschluss den Standpunkt, dass die Niederlassungsfreiheit im streitgegenständlichen Fall allenfalls mittelbar betroffen ist und so die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht ausgeschlossen ist.
Folgt man der Auffassung des zweiten Senates hinsichtlich der Betroffenheit des sachlichen Anwendungsbereichs, wird man eine Beschränkung des Kapitalverkehrs annehmen müssen. So erfährt der Nachlass eine Wertminderung durch eine erhöhte erbschaftssteuerliche Belastung, weil in dem Nachlass ausländisches Vermögen enthalten ist, für welches ungünstigere Regelungen gelten, als für inländisches Vermögen. Für die Frage der Rechtfertigung dürfte entscheidend sein, dass eine Ungleichbehandlung nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn Situationen vorliegen, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind oder wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses eine Rechtfertigung gebieten. Nachdem der EuGH eine objektive Vergleichbarkeit der Situation nicht schon dann annimmt, wenn die Kapitalgesellschaften ihren Sitz an verschiedenen Orten innehaben und fiskalische Interesse der Mitgliedstaaten ebenfalls einen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit nicht rechtfertigen können, sind die Zweifel des vorlegenden Senats an der Europarechtskonformität der deutschen Regelung durchaus begründet.
Man darf also mit Spannung die Entscheidung des EuGH erwarten, birgt sie doch die Möglichkeit in steuerlicher Hinsicht eine erweiterte und somit europarechtskonforme Anwendung der § 13a und § 13b ErbStG im geltenden Recht zu erhalten. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist zudem zu hoffen, dass sich der Nebel um das Verhältnis von Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit weiter lichtet.