Eltern übergeben Vermögenswerte in Form von Immobilien oftmals bereits zur Lebenszeit an die Kinder, behalten sich dann jedoch das Recht zur Nutzung der übergebenen Immobilie (sowohl zur Selbstnutzung als auch Vermietung) vor (Vorbehaltsnießbrauch). In späteren Jahren ist der Vorbehaltsnießbrauch oftmals überholt und/oder hindert die Kinder an einer Veräußerung der Immobilie, z. B. um den Erlös in eine eigene Immobilie zu investieren. In dieser Situation wird in der Regel der Verzicht auf den Vorbehaltsnießbrauch durch die Eltern in Betracht gezogen.
Erfolgt dieser Verzicht unentgeltlich, so liegt hierin eine Schenkung der Eltern an die Kinder. Gegebenenfalls ist der Schenkungsbetrag durch den Freibetrag gedeckt, allerdings ist zu beachten, dass Schenkungen innerhalb eines zehn-Jahres Zeitraums zusammen zu rechnen sind. Sollte der Freibetrag bereits ausgeschöpft sein oder sind die Eltern nicht bereit auf ihr Recht unentgeltlich zu verzichten, so werden die Parteien eine Abfindung vereinbaren. Diese muss angemessen sein um Schenkungsteuer zu vermeiden.
Wenn eine solche angemessene Abfindung entrichtet wird stellt sich aber die Frage, ob diese Abfindung beim Empfänger zu steuerpflichtigen Einkünften führt.
Ertragsteuerliche Behandlung der Abfindung beim Empfänger
Eine sonstige Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann, und um des Entgeltes Willen erbracht wird. Ausgenommen sind jedoch Veräußerungsvorgänge und veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür bezahlt wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 9. 8. 1990 – X R 140/88, BStBl. II 1990 S. 1026 = DB 1990 S. 2452). Auch das Nießbrauchsrecht stellt einen Vermögenswert dar. Dieses wird durch den Verzicht endgültig aufgegeben. Somit dürfte die Abfindungszahlung keine sonstige Leistung i.S. von § 22 Nr. 3 EStG sein.
Keine Entschädigung für entgangene Einnahmen
Eine Gegenleistung für den Verzicht auf einen Vorbehaltsnießbrauch ist nach Auffassung der Rechtsprechung auch keine Entschädigung (vgl. BFH-Urteil vom 25. 11. 1992 – X R 34/89, BStBl. II 1996 S. 663 = DB 1993 S. 816). Diese Auffassung der Rechtsprechung ist im Ergebnis zutreffend. Denn der Verzicht auf den Vorbehaltsnießbrauch führt zwar zum Verlust der bisherigen Einkommensquelle, die Abfindung wird aber nicht als Entschädigung für den Verlust der Einnahmequelle bezahlt, sondern ist als Gegenleistung für die Aufgabe des Rechtes, d.h. für die Übertragung des Wirtschaftsgutes selbst zu sehen.
Keine Einkünfte aus Spekulationsgeschäft
Es fehlt bereits an einem Anschaffungsgeschäft: Der Vorbehalt des Nießbrauchs durch den Vermögensübergeber stellt nach einheitlicher Meinung der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung keine Gegenleistung des Erwerbers dar (vgl. BFH-Urteil vom 28. 7. 1981 – VIII R 124/76, BStBl. II 1982 S. 378). Auch der Empfänger eines mit einem dinglichen Nutzungsrecht belasteten Grundstücks erhält nur ein um das Nutzungsrecht gemindertes Eigentum.
Außerdem stellt das Nießbrauchsrecht kein sonstiges dingliches Recht an einem Grundstück i. S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dar (vgl. Littmann, in: Littmann/Bitz/Pust, EStG § 23 Rdn. 31).
In der Literatur wird außerdem darauf hingewiesen, dass es bei der Ablösung eines Nießbrauchs nicht zur Veräußerung eines Wirtschaftsgutes komme, d. h. keine Übertragung auf einen Erwerber stattfindet. Gegenstand des Rechtsgeschäftes sei lediglich die Beseitigung einer Wertminderung des bereits in früheren Jahren übertragenen Grundstücks, das Nießbrauchsrechts gehe zivilrechtlich unter. Somit kommt es nicht zu einer Veräußerung, die tatbestandliche Voraussetzung für § 23 EStG wäre. Sollte der entgeltliche Verzicht als Veräußerung behandelt werden, so müsste der Gesetzgeber dies ausdrücklich regeln (vgl. Meyer/Ball, StBP 2010 S. 185 (190) Fn. 40).
Selbst wenn man eine Veräußerung unterstellen würde, käme hier eine Besteuerung des für den Verzicht gezahlten Entgelts allenfalls gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG innerhalb der für andere Wirtschaftsgüter regelmäßig geltenden ein-Jahresfrist in Betracht. Allerdings ist auf die Neuregelung in § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG hinzuweisen. Danach greift bei bestimmten Wirtschaftsgütern eine zehn-Jahresfrist, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt wurden. Dies würde voraussetzen, dass bereits bislang aus dem Vorbehaltsnießbrauch Einkünfte realisiert wurden, z. B. weil die Immobilie vermietet worden ist. Diese, mit Blick auf Steuersparmodelle eingefügte Neuregelung, findet allerdings nur Anwendung, sofern solche (anderen) Wirtschaftsgüter nach dem 31. 12. 2008 erworben wurden (§ 52a Abs. 11 Satz 4 EStG).
Auffassung der Finanzbehörden
Das oben abgeleitete Ergebnis wird auch von den Finanzbehörden bestätigt. Nach Tz. 60 des sog. dritten Nießbrauchserlasses (vgl. BMF-Schreiben vom 24. 7. 1998, BStBl. I 1998 S. 914 = DB 1998 Heft 38 Beilage 13) stellt die Ablösung eines Vorbehaltsnießbrauchs gegen Einmalzahlung beim Nießbraucher eine nicht-steuerbare Vermögensumschichtung dar.
Der sog. zweite Nießbrauchserlass (vgl. BMF-Schreiben vom 15. 11. 1984, BStBl. I 1984 S. 561) hatte allerdings noch danach differenziert, ob das Nutzungsrecht anlässlich einer unentgeltlichen Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge oder im Rahmen eines entgeltlichen Veräußerungsgeschäftes vorbehalten worden war. Ein Grund für diese Differenzierung scheint nicht erkennbar. Außerdem ist die Rechtsprechung dieser Differenzierung nicht gefolgt (vgl. BFH-Urteil vom 25. 11. 1992 – X R 34/89, BStBl. II 1996 S. 663 = DB 1993 S. 816).