Berücksichtigung von vororganschaftlichen Rücklagen bei der Bemessung der Ausschüttungssperre

WP StB Dr. Martin Lenz ist Partner und Leiter National Tax bei KPMG AG, Frankfurt/M.

Eine Voraussetzung für die Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft ist die Abführung des ganzen Gewinns der Organgesellschaft an den Organträger. Bei der Bemessung der Gewinnabführung ist der Höchstbetrag der Gewinnabführung nach § 301 AktG zu beachten. Mit dem BilMoG wurde § 301 AktG dahingehend geändert, dass eine „Abführungssperre“ eingeführt wurde: Danach ist der Höchstbetrag der Gewinnabführung um „den nach § 268 Abs. 8 des Handelsgesetzbuchs ausschüttungsgesperrten Betrag“ zu vermindern. § 268 Abs. 8 HGB – ebenfalls durch das BilMoG eingeführt – formuliert die handelsrechtliche Ausschüttungssperre: Werden selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens aktiviert, dürfen Gewinne nur ausgeschüttet werden, „wenn die nach der Ausschüttung verbleibenden frei verfügbaren Rücklagen zuzüglich eines Gewinnvortrags und abzüglich eines Verlustvortrags mindestens den insgesamt angesetzten Beträgen abzüglich der hierfür gebildeten passiven latenten Steuern entsprechen“ (§ 268 Abs. 8 Satz 1 HGB).

Eine entsprechende Ausschüttungssperre gilt für den Überhang aktiver latenter Steuern (§ 268 Abs. 8 Satz 2 HGB) und für den Zeitwertüberhang des Planvermögens im Zusammenhang mit Altersversorgungsverpflichtungen abzüglich der hierfür gebildeten passiven latenten Steuern (§ 268 Abs. 8 Satz 3 HGB). Als frei verfügbare Rücklagen sind ausweislich der Gesetzesbegründung sowohl Gewinnrücklagen als auch Kapitalrücklagen gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom 14. 1. 2010 hat das BMF mitgeteilt, dass eine Anpassung der Ergebnisabführungsverträge aufgrund des geänderten § 301 AktG nicht erforderlich ist. Bei der Durchführung der Gewinnabführung ist jedoch die Neuregelung des § 301 AktG zu beachten, damit die Organschaft steuerlich anerkannt wird. Allerdings stellt sich dabei die Frage, wie der Begriff der frei verfügbaren Rücklagen zu verstehen ist, d. h. ob in Organschaftsfällen bei der Ermittlung der abführungsgesperrten Beträge zwischen vororganschaftlich und während der Vertragslaufzeit gebildeten Rücklagen zu unterscheiden ist.

Frotscher vertritt die Auffassung, die Berücksichtigung vororganschaftlicher freier Rücklagen führe im Ergebnis zu einer schädlichen Abführung der vororganschaftlichen Rücklagen (in: Frotscher/Maas, KStG-Kommentar, § 14 Rdn. 211a). Simon begründet Bedenken gegen eine Berücksichtigung vororganschaftlicher freier Rücklagen damit, dass sich die Ausschüttungsmöglichkeit vororganschaftlicher Rücklagen durch die Abführung von Vermögensmehrungen aus der Aktivierung sperrbetragsbehafteter Bilanzposten vermindert und dadurch in die Kompetenz der Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft eingegriffen werden könnte (NZG 2009 S. 1085).

Meines Erachtens sprechen jedoch die überzeugenderen Argumente für eine Einbeziehung der vororganschaftlichen Rücklagen in die Ermittlung der Abführungssperre:

Der Gesetzeswortlaut des § 301 Satz 1 AktG verweist ohne weitere Einschränkung auf § 268 Abs. 8 HGB, der wiederum nicht zwischen der zeitlichen Entstehung der freien Rücklagen unterscheidet.

Die Einbeziehung vororganschaftlicher Rücklagen in die Ermittlung der Abführungssperre führt nicht zu einer Abführung der vororganschaftlichen Rücklagen, denn deren Höhe bleibt unverändert. Im Ergebnis werden sie lediglich zur Ermittlung des Betrags des Jahresüberschusses, der nicht abgeführt werden darf, herangezogen.

Der Normzweck des Gläubigerschutzes spricht dafür, dass von der Abführung nur solche Beträge ausgeschlossen sind, die ohne Gewinnabführungsvertrag auch nach § 268 Abs. 8 HGB nicht ausgeschüttet werden dürfen. Letztlich sind auch vororganschaftliche Rücklagen haftendes Kapital, das der Unterlegung der Vermögensmehrungen i.S. des § 268 Abs. 8 HGB dient (so auch Kropff, in: FS Hüffer, S. 550 u. Stephan, in: Schmidt/Lutter, AktG-Kommentar, § 301 Rdn. 18).

Gegen die Bedenken hinsichtlich des Eingriffs in die Kompetenz der Hauptversammlung spricht, dass eine Ausschüttung vororganschaftlicher Rücklagen ohnehin nur durch Beschluss und mit Zustimmung des Organträgers (Mehrheitsgesellschafter) erfolgen kann (vgl. Kropff, in: FS Hüffer, S. 551).

Der aufgezeigte Meinungsstand verdeutlicht die in der Praxis herrschende Unsicherheit hinsichtlich der Berücksichtigung vororganschaftlicher Rücklagen bei der Ermittlung der Abführungssperre. Eine unzutreffende Berechnung der Abführungssperre könnte zur Nichtanerkennung der Organschaft führen. Daher wäre eine klarstellende Verlautbarung der Finanzverwaltung im Hinblick auf die bereits laufende Erstellung und Prüfung der Jahresabschlüsse für das Jahr 2010 – grundsätzlich das Jahr der Erstanwendung des BilMoG – wünschenswert.

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