Die verbilligte Wohnungsüberlassung – Beginnt die Steuervergünstigung künftig ab 66% ?

Durch das Wohnungseigentumsförderungsgesetz vom 15. 5. 1986 wurde in § 21 Abs. 2 EStG eine Sonderregelung eingefügt, wonach die verbilligte Wohnraumüberlassung bei Beziehern von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zum vollen Werbungskostenabzug berechtigt, wenn das Entgelt mindestens 50% der ortsüblichen Miete beträgt. Liegt sie darunter, so ist die Nutzungsüberlassung in einen entgeltlichen und unentgeltlichen Teil aufzuteilen. Ab 2004 wurde diese Grenze auf 56% angehoben. Nunmehr ist im Entwurf eines Steuervereinfachungsgesetzes 2011 (Gesetzentwurf der der Bundesregierung vom 4. 2. 2011, BT-Drucks. 54/11) eine weitere Anhebung auf 66% vorgesehen. Zusätzlich soll ein Satz angefügt werden, der lautet: „Beträgt das Entgelt bei auf Dauer angelegter Wohnungsvermietung mindestens 66% der ortsüblichen Miete, gilt die Wohnungsvermietung als entgeltlich.“ Wie ist das zu verstehen?

§ 21 Abs. 2 EStG ist entgegen dem ersten Anschein keine einfache Vorschrift. Sie wirft in der noch gültigen Fassung einige Rätsel auf und hat die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt. Denn nach der Systematik des Einkommensteuerrechts können Einkünfte grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige – hier der Vermieter – mit Überschusserzielungsabsicht handelt. Tätigkeiten, die objektiv nicht geeignet sind, Überschüsse zu erwirtschaften, bezeichnet die Rechtsprechung als „Liebhaberei“, sie sind einkommensteuerlich unbeachtlich, d. h. die erwirtschafteten Verluste können nicht mit den positiven Ergebnissen aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden. Und gerade die sog. Gunstmiete, also die verbilligte Vermietung an Angehörige, führt häufig zu dauerhaften Verlusten. Der Wunsch, einem Angehörigen verbilligt eine Wohnung zu überlassen, ist ein privates Motiv, das den Liebhabereiverdacht geradezu nahelegt. In allen Liebhabereifällen würde somit die Vergünstigung des § 21 Abs. 2 EStG leerlaufen, weil gar keine steuerbaren Einkünfte vorliegen. Der BFH hat deshalb – in freier und nicht unwidersprochen gebliebener Rechtsfindung – das für verbilligte Vermietung geltende Aufteilungsgebot in § 21 Abs. 2 EStG dahingehend ausgelegt, dass eine Einkunftserzielungsabsicht immer dann anzunehmen ist, wenn die Miete mindestens 75% der ortsüblichen Miete beträgt. Eine Überschussprognose, d. h. eine Liebhabereiprüfung sei nur anzustellen, wenn die Miete zwischen 56% und 75% der ortsüblichen Miete liegt.

Wird die Vorschrift durch die geplante Änderung im Steuervereinfachungsgesetz einfacher? Nach dem erklärten Willen der Bundesregierung sollte das so sein. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es, dass mit der Änderung die bislang erforderliche Prüfung der zweiten (von der Rechtsprechung erfundenen) Prozentgrenze entfalle, also bei Erreichen der 66%-Grenze der ortsüblichen Miete keine Totalüberschussprognose mehr vorzunehmen sei, was dazu führe, dass stets ein ungekürzter Werbungskostenabzug zuzulassen sei. Dies ergebe sich daraus, dass der Gesetzgeber mit Erreichen der 66%-Grenze die Vollentgeltlichkeit fingiere.

Wenn die Miete mindestens 66% der üblichen Miete ausmacht, soll also die Totalüberschussprognose entfallen. Auch in den Fällen, in denen wegen kompletter Fremdfinanzierung und hohen Erhaltungsaufwendungen die Totalüberschussprognose klar negativ ist, soll ein Ausgleich der Verluste aus der Vermietung mit anderen positiven Einkünften möglich sein. Der Gesetzgeber möchte in der Bandbreite von 66% – 75% Vermietungsfälle ohne positive Überschusserwartung gegenüber der geltenden Rechtslage besser stellen und den Charakter der Vorschrift als Steuervergünstigung zementieren. Dieser Schuss könnte aber nach hinten los gehen. Denn, wie schon die bestehende Vorschrift, legt auch der geplante § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht fest, dass eine Einkunftserzielungsabsicht entbehrlich ist.  Vielmehr ist der Anwendung des § 21 Abs. 2 EStG die Frage vorgelagert, ob der Steuerpflichtige überhaupt (positive) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Fingiert der Gesetzgeber nunmehr die Vollentgeltlichkeit und lässt die Aufteilung nicht mehr zu, so muss nach der Systematik des Gesetzes der Vermietungstätigkeit die Einkunftserzielungsabsicht zugrundeliegen, andernfalls sind die Einkünfte nicht steuerbar, d. h. die Einnahmen werden nicht versteuert, die Werbungskosten können nicht abgezogen werden. Die Rechtsprechung könnte nach der neuen Vollentgeltlichkeitsfiktion auf die Idee kommen, nunmehr auch die Regelung in § 2 Abs. 1 EStG ernst zu nehmen, also eine Totalüberschussprognose anzustellen. Dies würde zwar nicht der Intention der Entwurfsverfasser, wohl aber der objektiven Gesetzeslage entsprechen. In den Fällen der fingierten vollentgeltlichen Vermietung „zu 66%“, in denen eine Totalüberschussprognose eindeutig negativ ist, wären steuerbare Einkünfte zu verneinen, was die Neuregelung dann bei dauerhaften Werbungskostenüberschüssen ins Leere laufen ließe.

Alle Kommentare [5]

  1. Ziel der Bundesregierung ist es also die Anzahl bezahlbarer Wohnungen in Deutschland zu reduzieren. Viele Großstädter wird das sicher freuen. Daher unbedingt wiederwählen.

  2. @Augenlicht sehr qualifizierter Kommentar. Es ist wohl fraglich, wieviel bezahlbarer Wohnraum in Grossstädten durch Angehörige geschaffen wird. D.h. der Einstieg ist schon nicht sehr clever.
    Aber dann, wenn man sich erinnert, wer immer wieder für die Abschaffung des Angehörigenprivilegs agitiert hat (rotgrün!!!), wird doch deutlich, dass es nur um Regierungsbashing geht, anstatt um sachliche Diskussion. Cui bono? Denen die von 1998-2005 das Steuerrecht alles andere als vereinfacht haben, trauert doch niemand ernsthaft nach.

    Der Vorschlag ist mE in der Sache gut und eine Vereinfachung, wenn man das Gewürge um die Überschussprognosen erlebt.

  3. I. Ebene der Einkünftermittlung

    (1.) Steuersystematisch besehen ist die Norm des § 21 Abs. 2 EStG sowohl in alter Fassung als auch in der Entwurfsfassung eine sog. Einkünfteermittlungsvorschrift in Gestalt einer sog. Subventions- und Lenkungsnorm. Durch die beabsichtigte Änderung der Prozentgrenze (von 56% auf 66%) und gleichzeitige Anfügung des Satzes 2 (fingierte Vollentgeltlichkeit) soll eine Vereinfachung erreicht werden. Diese tritt auf der Ebene der sog. Einkünfteermittlung tatsächlich ein, denn durch die geplante Gesetzesänderung wird die bisherige Rechtsprechung des BFH zu § 21 Abs. 2 EStG obsolet. Dies dürfte unstreitig sein, zumal die Begründung des Gesetzeswntwurfs dies auch so anspricht („Die bislang nach BFH–Rechtsprechung … und Auffassung der Finanzverwaltung … vorzunehmende Totalüberschussprognoseprüfung entfällt dadurch, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der Auffassung von Rechtsprechung und Verwaltung oberhalb der Prozentgrenze Vollentgeltlichkeit bestimmt“).
    (2.) Diese Vereinfachung ist auch aus steuersystematischer zu begrüßen, weil die Rechtsprechung des BFH (BFH v. 5.11.02, IX R 48/01) nicht nur kompliziert ist sondern — nach Rechtsansicht des Verfassers — gegen den Wortlaut des Gesetzes und gegen die Regeln der juristischen Auslegungslehre verstößt (unzulässige Auslegung contra legem; vom Verfasser ausführlich begründet: Michael Stein, Deutsche Steuer-Zeitung 2011, Seite 80 bis Seite 92).
    (3.) Aus Sicht der Verfassers ist darin der eigentliche Verdienst der geplanten Gesetzesänderung zu sehen: Wenn der Judikative derart grobe Auslegungsfehler unterlaufen (wie sie der Verfasser ihr vorwirft, s. o.) dann ist ein „Reparaturgesetz“, dass unzulässiger Rechtsprechung (Rechtsanschauung des Verfassers) den Anwendungsbereich entzieht auch dann zu begrüßen, wenn es „lediglich“ einer Vereinfachung des Ertragsteuerrechts dienen soll. Daher hat der Gesetzgeber hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Er hat das Recht deutlich vereinfacht und (so betrachtet es jedenfalls der Verfasser) den BFH in seine Schranken verwiesen. Ob das Letztere auch beabsichtigt war, ist indes nicht erweislich.

    I. Ebene der Einkünfteerzielung

    Prof. Dr. Birk hat Problem mit der Einkünfteerzielungsabsicht erkannt und richtig dargestellt; § 21 sagt nichts zu sog. Liebhaberei (Fehlen einer Einkünfteerzielungsabsicht). Rechtssicherheit besteht hier leider nicht. Aus Sicht des Verfassers ergibt sich bei Anwendung des § 21 Abs. 2 EStG in der Fasssung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 das Folgende: BFH v. 5.11.02, IX R 48/01 und Folgeurteilen ist der Anwendungsbereich entzogen und BFH v. 27.7.1999, IX R 64/96 „lebt wieder auf“. BFH v. 27.7.1999, IX R 64/96 war indes (nach Ansicht des Verfassers) eine grobe Fehlentscheidung weil sie das Gesetzesanliegen und die Systematik des EStG u.a.m. nicht berücksichtigt (Stein, Verluste oder Liebhaberei bei der Vermietung von Immobilien, 6. Auflage 2011, Randnummer 730 bis 739, mit Nachweisen), weshalb die Grundsätze der Vorgängerrechtsprechung (BFH v. 25.1.1994, IX R 139/92) zur verbilligten Vermietung wieder zur Anwendung kommen sollten (begründet: Michael Stein, Deutsche Steuer-Zeitung 2011, Seite 80, dort: Seite 89 bis Seite 92). Dies würde zuvor aber eine grundsätzliche Änderung der Rechtsprechung (Richtungswechsel) erforderlich machen, weil die Entscheidung des BFH v. 27.7.1999, IX R 64/96 (s.o.) auf eine Fiktion des BFH (BFH v. 30.9.1997, IX R 80/94) aufbaut, die — nach der Rechtsanschauung des Verfassers — ihrerseits rechtswidrig ist, weil der BFH kein Recht setzen darf. Die ausführliche Begründung hierfür ist einem Fachbeitrag des Verfassers zu entnehmen, der in Kürze in der Deutschen Steuer-Zeitung unter dem Titel „Gesetzgebungsvorbehalt einer unwiderleglichen Vermutung“ erscheinen wird.

    Fazit: Aus Sicht des Verfassers liegt das Problem für die — nunmehr wieder — unsichere Rechtslage zu den Fragen der Einkünfteerzielung (Liebhaberei) bei verbilligter Vermietung eindeutig bei der Rechtsprechung, weil diese hierzu bislang Entscheidungen (etwa: BFH v. 30.9.1997, IX R 80/94; BFH v. 27.7.1999, IX R 64/96) contra legen getroffen hat, wie auch die nunmehr die vom Gesetzgeber kassierte Rechtsprechung (BFH v. 5.11.02, IX R 48/01) vollständig am Gesetz in der Auslegung durch den Großen Senat des BFH vorbei ging (s. o., noch einmal zu allem: rein persönliche Rechtsanschauung des Verfassers).

    Michael Stein

  4. Guten Tag, lese aufmerksam Ihre Ausführungen. Das Finanzamt München nennt meine Vermietung \verbilligtes Überlassen\. Ich habe meiner Tochter die Wohnung etwas billiger gegeben, damit sie in meinem Haus mit Familie einzieht. Dafür hat sie zugesagt, mich und meine gelähmte Frau (ihre Mutter im Rollstuhl zu pflegen). Diese soziale
    Einstellung bestraft das Finazamt damit, dass ich meine Werbungskosten, Erhaltungsaufwendungen, Reparaturen und Nebenkosten nicht mehr absetzen kann.
    Was für ein asozialer Staat. Ich habe im EStG gelesen, dass eine Miete bis auf 56% runter, von der ortsüblichen Miete nach Mietspiegel, verbilligt werden darf, ohne das Recht zu verlieren, Werbungskosten abzusetzen. Versteh ich was falsch? Bitte schreiben Sie mir, vielen Dank
    MfG Holzner

  5. Nur so konnte es kommen. Ansonsten wäre es einfach geworden. Dies zu verhindern, schaffte bisher jede politische Richtung. Zutreffend ausgedrückt: Den Bürokraten in den Fianazministerien gelang es immer wieder, diesen völlig blödsinnigen Akt der Selbstbefriedigung mit Steuer\recht\ unter Hormonen zu halten. Als Steinbrück seine Ministrabilität verloren hatte, beklagte er sich über die völlig widersinnigen Steuersätze bei der Umsatzsteuer. Da fragt man sich natürlich verwundert, weshalb er nichts getan hat, diser Heuchler.

    Wie schön man Steuerwahnsinn gestalten kann, zeigt die Zinsschrankenbesteuerung mit seiner Diskriminierung von Fremdkapital. Was ist daran eigentlich so anstößig, obwohl volkswirtschaftlich mit seiner motorischen Kraft überaus sinnvoll. Belgien zeigt, wie man es einfach und richtig macht. Dort wird eingesetztes Eigenkapital steuerlich belohnt, indem man einen bei alternativer Anlage entgagangegen fiktiven Zins als Betriebsausgabe abziehen kann. Belohnen, nicht betrafen. Aber was sollte man dazu kommentieren, wenn das Gesetz aus sich heraus verständlich und anwendbar ist?