Als disquotal werden Einlagen bezeichnet, wenn Leistung und Beteiligung der Gesellschafter voneinander abweichen. Dadurch kann es zu ganz erheblichen Vermögensverschiebungen zwischen den Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften kommen. Die schenkungsteuerlichen Folgen dieser Vermögensverschiebungen sind seit Mitte der 80er Jahre umstritten. Die Finanzverwaltung hatte die durch disquotale Einlagen ausgelösten Vermögensverschiebungen als schenkungsteuerpflichtigen Vorgang qualifiziert (R 18 ErbStR a. F.), befand sich jedoch mit dieser Auffassung jedoch seit mehr als 15 Jahren im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung. Der BFH hatte bereits in zwei Entscheidungen Mitte der 80er Jahre betont, dass er Vermögensschiebungen zwischen Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft in Folge einer disquotalen Einlage nicht als schenkungsteuerbar ansieht. Es fehle an einer zivilrechtlichen Übertragung von Vermögen zwischen den Gesellschaftern. Die Werterhöhung in dem Anteil der – weniger einbringenden – Gesellschafter sei bloße Folge der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Kapitalgesellschaft.
Erst nachdem der BFH in den Leitsätzen seines bisher letzten zur disquotalen Einlage ergangenen Urteils vom 9. 12. 2009 noch einmal ausdrücklich auf die Abweichung seiner Rechtsauffassung zur R 18 Abs. 3 ErbStR hinwies, erfolgte mit Erlass vom 20. 10. 2010 eine Anpassung der Finanzverwaltungsrichtlinie.
Teile der Literatur feiern die disquotale Einlage daher als die derzeit beste steuerfreie Nachfolgegestaltung. Es scheint aber angebracht, die Euphorie zu bremsen. Die disquotale Einlage ist nur in einzelnen Fällen eine geeignete Option der Vermögens- und Unternehmensnachfolge.
Eine Nachfolge via disquotaler Einlage steht zumindest in Fällen der Unternehmensnachfolge stets in Konkurrenz zur Verschonungsoption nach § 13a ErbStG. Danach ist auch eine schlichte Schenkung des Unternehmens / der Unternehmensbeteiligung schenkungsteuerfrei, wenn das Unternehmen über einen Zeitraum von 7 Jahren fortgeführt wird und in diesem Zeitraum die maßgebliche Lohnsumme des Unternehmens stabil bleibt. Die langfristige Pflicht zur Unternehmensfortführung ist für den Unternehmer häufig gar nicht problematisch, ja in vielen Fällen sogar ausdrücklich gewünscht. Nur die Vermeidung der Lohnsummenregelung stellt daher einen echten Vorteil der disquotalen Einlage dar.
Diesem Vorteil stehen allerdings einige Nachteile gegenüber. So ist mit der Einlage in die Kapitalgesellschaft zwingend ein Rechtsträgerwechsel und damit eine ertragsteuerliche Realisierung stiller Reserven verbunden. Um eine Ertragsteuerbelastung zu vermeiden, kommen daher für eine Einlage nur solche Wirtschaftsgüter in Betracht, deren Veräußerungsgewinn entweder steuerfrei ist oder für die eine der sog. Buchwertfortführungsnormen (z. B. §§ 20, 21 UmwStG) greifen.
Zivilrechtlich ist das Fehlen eines Vertrags zwischen dem Unternehmer und seinem Nachfolger problematisch. So können bei disquotalen Einlagen anders als in Schenkungsverträgen keine Widerrufs- oder Nießbrauchsvorbehalte vereinbart, Auflagen auferlegt oder eine Pflichtteilsanrechnung bestimmt werden.
Der neue Erlass der Finanzverwaltung schafft zudem Rechtsunsicherheit. Zum einen spricht die Finanzverwaltung nur davon, dass disquotale Einlagen „in der Regel“ keine Zuwendungen an Mitgesellschafter auslösen. Dies könnte dafür sprechen, dass die Finanzverwaltung versuchen wird, Gestaltungen über § 42 AO die Anerkennung zu versagen. Um diese Angriffsfläche zu vermeiden, sollte keine disquotale Einlage in Gesellschaften geleistet werden, die erst kurz vor der Einlage gegründet wurden.
Zum anderen zeigt der Telos des Erlasses, dass die Finanzverwaltung nicht aufgegeben hat, einen ihrer Ansicht nach besteuerungswürdigen Tatbestand auch ohne eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung zu besteuern. So soll beispielsweise nach Auffassung der Finanzverwaltung jede verdeckte Gewinnausschüttung – soweit sie die Beteiligung des empfangenden Gesellschafters an der Kapitalgesellschaft überschreitet – eine steuerpflichtige Zuwendung der Kapitalgesellschaft an den die vGA empfangenden Gesellschafter sein. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Finanzverwaltung diese Auffassung in Bezug auf verdeckte Einlage „umdreht“ bzw. analog anwendet. In diesem Fall könnte die Finanzverwaltung u. U. bei einer disquotalen Einlage eine Schenkung des einlegenden Gesellschafters an die Kapitalgesellschaft annehmen, soweit die Einlage seine Beteiligung an der Kapitalgesellschaft überschreitet. Eine solche Auffassung wäre zwar unzutreffend, aber es müssten wieder die Finanzgerichte angerufen werden.
Danach erscheint die disquotale Einlage nicht als das „Allheilmittel“ der Vermögens- und Unternehmensnachfolge. Nur in speziellen Situationen kann sie dem Steuerpflichtigen Vorteile gegenüber der Verschonungsoption des § 13a ErbStG einbringen. Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass der Gesetzgeber derzeit keinen Versuch unternimmt, die bestehende Gesetzeslücke zu schließen. Eine solche Gesetzesänderung wäre aus Gründen der Rechtssicherheit gleichwohl wünschenswert. Dies gilt insbesondere aus Sicht der Finanzverwaltung. Denn ohne eine Gesetzesänderung sind wohl alle ihre Versuche, die Besteuerungslücke im Erlasswege zu schließen, zum Scheitern verurteilt. Allein die letzten 15 Jahre, in denen die Finanzverwaltung beharrlich eine vom BFH abweichende Auffassung vertrat, sollte eigentlich Warnung genug sein. Die Fortsetzung eines solchen unrühmlichen „Track-Records“ wäre für die nötige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem sicherlich nicht förderlich.