Es bleibt offen, ob eine Erlass-Zusage eines Landesfinanzministeriums für das Finanzamt bindend sein kann – sie ist es jedenfalls dann nicht, wenn wegen der Höhe der zu erlassenden Beträge das Einvernehmen des Bundesfinanzministeriums erforderlich ist. Der BFH nahm hierzu jüngst in einem Beschluss vom 11. 2. 2011 Stellung.
Die Klägerin betreibt rund 150 Gemeinschaftsunterkünfte zur Unterbringung von Asylbewerbern, Spätaussiedlern, ausländischen Flüchtlingen und Obdachlosen. Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften (Kostenträger), welche für die Unterbringung zuständig waren, hatten in den meisten Fällen der Klägerin die Grundstücke zur Verfügung gestellt, die Klägerin hatte sie saniert. Sie teilte ihre an die Kostenträger erbrachten Leistungen in umsatzsteuerfreie Vermietungsleistungen und umsatzsteuerpflichtige Leistungen wie Verpflegung, Betreuung und Bewachung auf. Das Finanzamt akzeptierte diese Aufteilung bis 1998.
Nachdem eine derartige Aufteilung von der Rechtsprechung verworfen wurde, hatte das Finanzamt in 2006 für die Jahre 1999 bis 2002 USt und Zinsen in Millionenhöhe (zusammen 1,7 Mio. €) festgesetzt, weil die Umsätze insgesamt steuerpflichtig seien. Die Klägerin legte gegen die Festsetzung keinen Einspruch sein, sondern beantragte noch in der Einspruchsfrist Erlass der Steuern und Zinsen. Gleichzeitig verhandelte sie mit den Finanzbehörden, insbesondere dem Landes-Finanzministerium. Dieses erteilte der Klägerin im Oktober 2005 möglicherweise eine Zusicherung, die Beträge zu erlassen. Das Finanzamt lehnte den Erlassantrag aber ab, und die Klage gegen diese Ablehnung blieb beim Finanzgericht erfolglos. Dieses ließ offen, ob das Landes-Finanzministerium den Erlass zugesagt hatte, denn eine solche Zusage sei für das Finanzamt nicht bindend gewesen; eine eigene Zusage des Finanzministeriums hätte das Finanzamt zurücknehmen können, weil das Ministerium sachlich nicht zuständig gewesen wäre.
Auch vor dem BFH erlitt die Klägerin Schiffbruch; die Beschwerde, dass die Revision nicht zugelassen wurde, war erfolglos. In seinem Beschluss vom 11. 2. 2011, V B 83/09, bestätigt der BFH die Entscheidung des FG Niedersachsen mit folgender Begründung: „Denn nach dem Schreiben des BMF vom 28. 7. 2003 (BStBl. I 2003 S. 401) haben die obersten Finanzbehörden der Länder für den Erlass von USt gemäß § 227 AO die vorherige Zustimmung des BMF einzuholen, wenn der Betrag, der erlassen werden soll, 200.000 € übersteigt; bei zu erlassenden Zinsen – wie im Streitfall – sind zur Zuständigkeitsabgrenzung der Steuer- und Zinsbetrag getrennt zu betrachten (vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, AO, FGO, § 227 AO Rdn. 120, 124). Selbst wenn der Senat im Revisionsverfahren zu dem Ergebnis käme, dass die Zusicherung einer nach den verwaltungsinternen Regelungen zur Zuständigkeitsabgrenzung übergeordneten Zustimmungsbehörde bei Erlassentscheidungen Bindungswirkung für das FA hätte, wäre dies im Streitfall unerheblich, da allein eine Zustimmung des BMF das FA binden könnte.“
Das Ergebnis ist wahrscheinlich mit Recht und Gesetz vereinbar – aber wohl nur Juristen vermittelbar.
Zum einen war die Klägerin schlecht beraten, als sie keinen Einspruch gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer eingelegt hat. Der wäre in der Sache zwar erfolglos gewesen – auch Ärzte, deren Honorare aus Schönheitsoperationen jahrzehntelang als steuerfrei behandelt wurden, mussten sich vom BFH sagen lassen, sie hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass es dabei bleibe, so dass nach Änderung der Rechtsprechung die Steuer für die noch nicht bestandskräftig veranlagten Jahre nachzuzahlen war. Da wohl kaum ein Patient bereit war, Jahre später eine für ihn nicht abziehbare Steuer zu zahlen, ging die Nachbesteuerung zulasten der Ärzte. So auch hier – die öffentlich-rechtlichen Träger handeln bei der Unterbringung von Asylbewerbern, Spätaussiedlern, ausländischen Flüchtlingen und Obdachlosen hoheitlich und haben deswegen keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug, weswegen sie ebenfalls eine Nachzahlung der nun bei der Klägerin erhobenen Umsatzsteuer ablehnen werden.
Obwohl der Einspruch daher relativ aussichtslos war, hätte er eingelegt werden sollen – vielleicht gab es ja doch verfahrensrechtliche oder materielle Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Bescheide. Hinzu kommt, dass nach gefestigter Rechtsprechung der Sinn des Erlassverfahrens nicht darin liegt, eine rechtmäßig erfolgte Steuerfestsetzung rückgängig zu machen, und eine rechtmäßige Steuerfestsetzung indiziert die rechtmäßige Zinsfestsetzung.
Richtig war dagegen, dass die Klägerin beim Finanzamt Erlass der Steuern und Zinsen beantragt hat. Oft wird hier der Fehler gemacht, dass zwar gegen die Steuerfestsetzung Einspruch eingelegt und nach dessen Ablehnung Klage beim Finanzgericht erhoben wird. In diesem Prozess wird dann der Erlass beantragt – das Finanzgericht muss den Antrag als unzulässig abweisen, weil es zum Erlass noch kein abgeschlossenes Vorverfahren gibt.
Hat das Finanzamt aber, wie hier im Streitfall, über den Erlassantrag entschieden, kann das Finanzgericht nur noch prüfen, ob das Finanzamt das ihm zustehende Ermessen nicht oder falsch ausgeübt hat. Nicht ausgeübt wurde es, wenn die Entscheidung der Behörde nicht erkennen lässt, dass überhaupt eine Abwägung des Für und Wider stattgefunden hat. Trotz Abwägung kann das Ermessen falsch ausgeübt worden sein. Das Finanzgericht kann in solchen Fällen nicht anstelle des Finanzamts sein eigenes Ermessen ausüben, es kann nur den Verwaltungsakt aufheben und die Behörde zur neuen Entscheidung verpflichten. Deswegen sind Prozesse über abgelehnte Erlassentscheidungen nur selten erfolgreich.
Hier hat das Finanzgericht geprüft, ob durch eine Zusicherung des Landes-Finanzministeriums eine Bindung des Finanzamts eingetreten wäre, was einer Ermessensreduzierung auf Null gleichgekommen wäre. Das ist ein Sonderfall, in welchem das Ermessen so stark reduziert ist, dass nur eine einzige Entscheidung richtig ist. Wäre das Finanzamt an eine Erlass-Zusage des Ministeriums gebunden gewesen, hätte es – möglicherweise – nur noch den Erlass aussprechen können. Da das Ministerium aber wegen der Höhe der Beträge für den Erlass nicht zuständig war, hätte selbst seine Zusage keine derartige Bindung bewirkt. Deshalb wurde die Ermessensausübung des Finanzamtes akzeptiert. Zur Prüfungsbefugnis der Gerichte im Hinblick auf Ermessensentscheidungen sei auch auf das am 4. 5. 2011 veröffentlichte Urteil vom 13. 1. 2011 – V R 43/09, DB0416924 zum Erlass von Vorsteuerberichtigungsbeträgen hingewiesen.
Beide Instanzen nehmen es unkommentiert hin, dass eine so wichtige und hier streitentscheidende Frage wie die sachliche Zuständigkeit einer Verwaltungsebene nur durch eine Verwaltungsanweisung begründet wird. Auch das könnte ein Störgefühl verursachen.
Früher hat der BFH unter Berufung auf vorangegangene EuGH-Entscheidungen auch Zweifel geäußert, ob die nur in den Steuer-Richtlinien enthaltenen Regeln zur Unternehmereigenschaft der juristischen Personen des öffentlichen Rechts hinreichend rechtssicher seien oder ob sie nicht in einem Gesetz enthalten sein müssten („Der EuGH hat ferner im Urteil Câmara Municipal do Porto [Rs. C-446/98] in Slg. 2000, I-11435, UR 2001 S. 108 auf die ständige Rechtsprechung des EuGH verwiesen, nach der eine bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern könne und die nur unzureichend bekannt sei, nicht als rechtswirksame Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der EG angesehen werden könne (Rdn. 33, m.w.N.)“; BFH-Vorlagebeschluss vom 20. 12. 2007 – V R 70/05, DB0285224, Rdn. 51). Allerdings äußerte er diese Bedenken zu Fragen des materiellen Steuerrechts, nicht des Verfahrensrechts, und das Verfahrensrecht ist grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten. Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag, welche erfüllt werden müssten, sind hier nicht ersichtlich. Auch kennt das Grundgesetz nur das Recht auf den gesetzlichen Richter, aber nicht auf den gesetzlichen Verwaltungsbeamten.
Es wäre interessant zu wissen, auf welche Rechtsgrundlage sich das zitierte BMF-Schreiben 28. 7. 2003 und seine Nachfolger stützen und wie die dort aufgestellten Regeln mit den Zuständigkeitsvorschriften des Finanzverwaltungsgesetzes (i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 8. 12. 2010, BGBl. I S. 1768) vereinbar sind. Der Klägerin würde es allerdings auch nicht helfen, wenn die verwaltungsinterne Zuständigkeitsregelung rechtswidrig wäre und die Zuständigkeit für einen Erlass unabhängig von der Höhe der Beträge beim Finanzamt läge, denn von diesem hatte sie ja keine Zusage.