Obligatorische GKB, statt optionaler GKKB – steuerpolitischer Konzeptwechsel der Bundesregierung!

WP StB Prof. Dr. Ulrich Prinz, Partner bei KPMG, Köln

WP StB Prof. Dr. Ulrich Prinz, Partner bei KPMG, Köln

Die Europäische Kommission hat am 16. 3. 2011 einen Richtlinienvorschlag für eine Gemein­same Konsolidierte KSt-Bemessungsgrundlage (GKKB) veröffentlicht, der ein beeindruckendes, komplett durchformuliertes Regelwerk für eine optionale, harmonisierte Unternehmensbesteuerung von Körperschaften in der EU enthält. Vorgesehen ist ein äußerst ambitionierter „konzeptioneller Dreischritt“, der eine einheitliche Steuerbemessungsgrund­lage für EU-Körperschaften, die anschließende Konsolidierung zu einem Gruppenergebnis mit zentrierter Zuständigkeit einer Hauptsteuerbehörde (one-stop-shop) und schließlich die formelhafte Aufteilung des Gruppenergebnisses auf die betroffenen Mitgliedstaaten beinhal­tet.

Der durch das GKKB-Projekt beim Steuerpraktiker entstehende Eindruck ist zweigeteilt: Steuersystematisch betrachtet vermittelt der Richtlinienvorschlag hoch interessante und tiefe Einblicke in unternehmenssteuerliche Grundsatzfragen; aus steuerpolitischer Perspektive dürfte allerdings eine kurzfristige Umsetzung in Anbetracht der Sorge um Steuersubstratver­luste der Mitgliedstaaten und eine stark beeinträchtigte Steuersouveränität Illusion sein. Kurzfristig realisierbar ist das Projekt nicht.

Sehr aufschlussreich und klar, in seiner Deutlichkeit etwas überraschend, ist die Antwort der Bundesregierung vom 3. 5. 2011 auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur GKKB (BT-Drucks. 17/5748 vom 5. 5. 2011; vgl. auch Herzig, Steuerboard vom 13. 5. 2011). Die Kernpunkte lassen sich in dem Leitmotiv „obligatorische GKB statt op­tionale GKKB“ zusammenfassen. Im Einzelnen heißt es:

  • Die Bundesregierung unterstützt derzeit nicht die Einführung einer GKKB, sondern will sich auf die Vorteile einer EU-weiten gemeinsamen Steuerbemessungsgrundlage konzentrieren (GKB), um eine stärkere Kohärenz der Unternehmensbesteuerung in der EU zu ermöglichen und bürokratischen Aufwand dauerhaft zu senken. Die GKB soll allerdings obligatorisch, nicht optional eingeführt werden. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zum Kommissionskonzept. Grund für die kritische Haltung der Bundesre­gierung ist vor allem die Sorge um erhebliche und dauerhafte steuerliche Minderein­nahmen. Auch die niederländische Regierung hat zwischenzeitlich ihre ablehnende Haltung zum GKKB-Projekt ihrem Parlament gegenüber geäußert (Schreiben vom 11.4.2011). Es dürfte also „politisch eng“ werden für den GKKB-Vorschlag.
  • Die Analyse der GKB im Hinblick auf Abweichungen der Steuerbemessungsgrundla­gen gegenüber den deutschen Regeln und die Überprüfung der fiskalischen Auswir­kungen soll im Sommer 2011 abgeschlossen sein. Aus diesem Grund hat die Bundesre­gierung eine Reihe der 63 Fragen aus der parlamentarischen Anfrage letztlich unbeant­wortet gelassen.
  • Die Bundesregierung rechnet aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips bei den direkten Steuern mit langwierigen Verhandlungen im Rat und hält wohl vom Einsatz des „In­struments verstärkter Zusammenarbeit“ in Europa nichts. Die aus der Kommission zu hörenden zeitlichen Vorstellungen zur Umsetzung des Projekts – ein bis zwei Jahre Beratun­gen im Rat und im Europäischen Parlament sowie weitere zwei bis drei Jahre zur nationalen Umsetzung –  dürften daher deutlich zu optimistisch sein.
  • Der Stellenwert von Verrechnungspreisprüfungen, die im Richtlinienentwurf nicht di­rekt angesprochen sind, wird bei der Antwort der Bundesregierung sehr deutlich. Mit dem deutschen Instrumentarium des § 1 AStG zeigt sich die Bundesregierung ganz zufrieden. Man erwartet keine erheblichen Steuerausfälle für den deutschen Fiskus aufgrund von steueroptimierten Verrechnungspreisgestaltungen.

Nimmt man einmal die GKB als Kernelement des EU-Vorschlags etwas näher in den Blick, so stellen sich vielfältige Fragen. Die Hinwendung zu einer mehr GuV-orientierten steuerli­chen Gewinnermittlung erfordert die endgültige Aufgabe des Maßgeblichkeitsprinzips mit seinem Rückgriff auf die handelsrechtlichen GoB. Der bilanzorientierte Bestandsvergleich, der in Deutschland eine lange Tradition hat und erst kürzlich durch das BilMoG für Steuerla­tenzermittlungen fruchtbar gemacht wurde, müsste insoweit aufgegeben werden. Viel ge­wonnen wäre damit allerdings nicht, da vor allem die Rückstellungsproblematik mit der Grundfrage rechtliche versus wirtschaftliche Verpflichtungsentstehung, der Drohverlustrück­stellungs­thematik und den nur begrenzt abziehbaren Pensionsrückstellungen bestehen bleibt.

Erste und zweite Gewinnermittlungsstufe werden durch den GuV-orienterten Ansatz „integ­riert“. Die aus deutscher Sicht hochbrisante Thematik der verdeckten Gewinnausschüttung wird damit Bestandteil der europäischen Bemessungsgrundlagenermittlung. In Deutschland wird man sich damit in Anbetracht höchst nuancenreicher vGA-Dogmatik schwer tun. Aller­dings könnten Personengesellschaften in ein solches modernisiertes Steuerbemessungs­grundlagen­konzept zwanglos einbezogen werden.

Die Kurzanalyse zeigt: Selbst bei einer Begrenzung des Projekts auf die GKB bleibt viel zu diskutieren. Ungeachtet aller schwierigen Detailfragen wird die Steuerpolitik in Deutschland gut daran tun, zumindest Lehren aus den Erkenntnissen des GKKB-Projekts für die derzeit anstehenden Steuerstrukturprojekte zu ziehen. Dies gilt sowohl für die Fortentwicklung der Organschaft zu einem modernen Gruppenbesteuerungssystem als auch für die Neuordnung der Verlustverrechnung.

Europäische Anregungen für den deutschen Gesetzgeber könnten dabei sein: zeitlich unbegrenzter Verlustvortrag ohne Rücktragsmöglichkeit, keine Mindest­besteuerung und kein § 8c KStG; Verzicht auf die Zinsschranke und Übergang auf eine miss­brauchsgeleitete Begrenzung des Finanzierungskostenabzugs im Verhältnis zu Niedrigsteu­erländern; Verzicht auf den Ergebnisabführungsvertrag als Voraussetzung für eine Gruppen­besteuerung bei gleichzeitig steigenden Qualifikationsanforderungen an die Gruppenmit­gliedschaft und eine 5-jährige Mindestbindung; Sofortabschreibungen für Forschungs- und Entwicklungsaufwand.

Aus meiner Perspektive sollte klar sein: Die nationalen Steuerstrukturprojekte müssen unab­hängig von der GKKB-Diskussion vorangebracht werden bei Vermeidung erkennbarer „In­sellösungen“ für Deutschland. Die Sonderfragen zur Gewerbesteuer sind nur durch Deutsch­land selbst, nicht „über Europa“ lösbar. Trotz aller Sorge um Steuersubstratverluste sollte die beachtliche Impulskraft der GKKB im europäischen Binnenmarkt nicht gering geschätzt werden. Zudem sieht der Richtlinienvorschlag eine Evaluation der Richtlinie nach spätestens 5 Jahren vor. All dies zeigt: Auch wenn man sich zunächst auf die GKB als „erstes Etappen­ziel“ konzentriert, sollte das Gesamtprojekt mit seinen Chancen nicht vorzeitig ad acta gelegt werden!

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