Im Rahmen des von Handelsblatt und Euroforum durchgeführten Umsatzsteuer-Kongresses am 16./17. Mai in Berlin erwähnte Donato Raponi von der EU-Kommission, dass diese im Herbst Erläuterungen (explanatory notes) zu den neuen Rechnungsvorschriften veröffentlichen will.
Bekanntlich wurden durch die Richtlinie 2010/45/EU vom 13. 7. 2010 zahlreiche europäische Regeln über die Erstellung, den Inhalt und die Aufbewahrung von Rechnungen für Umsatzsteuer-Zwecke geändert. Sie müssen bis 1. 1. 2013 jeweils in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Kommission plant nun, ihre Auffassung zum Inhalt der geänderten Vorschriften zu veröffentlichen. Es sind Erläuterungen zu den Rechnungsvorschriften vorgesehen, welche jeweils ein Papier zu einem Thema umfassen, und zwar zu den Rechnungsanforderungen, zur Rechnungserstellung, zum Rechnungsinhalt und zur Aufbewahrung.
In dem Konsultationspapier (Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System, KOM(2010) 695/4) lautet Frage 15: „Könnten, wenn diese Möglichkeiten ausscheiden, Leitlinien zu neuen MwSt-Vorschriften der EU hilfreich sein (auch wenn sie für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind)? Könnten Leitlinien auch Nachteile haben?“ „Diese Möglichkeiten“ sind Ratsverordnung oder Durchführungsbeschlüsse der Kommission. Steuer-Kommissar Semeta sprach in seiner Rede beim Grünbuch-Kongress in Mailand am 6. 5. 2011 davon, die Kommission werde das Ergebnis der Konsultation „ergebnisoffen“ betrachten.
Das scheint hinsichtlich der „Hinweise“ aber nicht der Fall zu sein. Zwar wird der im Grünbuch verwendete Begriff „Leitlinien“ (guidance) bislang für die Ergebnisse der Beratungen im Mehrwertsteuer-Ausschuss benutzt. Aus dem Grünbuch-Text geht aber hervor, dass mit Frage 15 die „Hinweise“ gemeint sind. Auf S. 15 der deutschen Fassung heißt es: „Des Weiteren könnte das Problem, wenn auch auf unvollkommene Weise, dadurch gelöst werden, dass die Kommission zu Informationszwecken erläutert, wie Änderungen in den MwSt-Vorschriften zu verstehen sind“, in der englischen Fassung „provide explanations“.
Derartige Hinweise sollen weder die genannten Leitlinien des Mehrwertsteuer-Ausschusses ersetzen noch das Auslegungsmonopol des EuGH in Zweifel ziehen. Sie geben nach dem Selbstverständnis der Kommission ihre rechtlich nicht verbindliche Auffassung wieder. Für die Mitgliedstaaten können sie bei der Erkenntnis hilfreich sein, ob deren Verständnis erheblich von dem der Kommission abweicht und deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren drohen kann. Auch für den EuGH können die Erläuterungen wichtige Informationen bieten, wie ein Mitarbeiter des Gerichtshofs in einem allerdings ausdrücklich als private Meinung ausgewiesenen Diskussionsbeitrag während des Umsatzsteuer-Kongresses am 16./17. Mai in Berlin sagte.
Solche „explanatory notes“ genannten Hinweise sind auf EU-Ebene nicht völlig neu. Es gibt z. B. auf der Grundlage des Artikels 9 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. 7. 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ABl. L 256 vom 7. 9. 1987, S. 1, auch Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur im Zollrecht, deren aktuelle Fassung im EU-Amtsblatt Nr. C 137 vom 6. 5. 2011 veröffentlicht wurde.
Bei der Erstellung solcher Erläuterungen wird die Kommission aber durch den „Ausschuss für die zolltarifliche und die statistische Nomenklatur“ mit Vertretern der Mitgliedstaaten unterstützt (Art. 7 Verordnung (EWG) Nr. 2658/87), und sie sind ausdrücklich in einer Ratsverordnung geregelt. Im Bereich der Umsatzsteuer ist eine vergleichbare Rechtsgrundlage nicht erkennbar. Es soll auch keine formelle Konsultation zu geplanten Hinweisen geben, eine Einbeziehung der Finanzverwaltungen und der Wirtschaft in den Entstehungsprozess ist aber nicht ausgeschlossen.