In der Praxis ging man bislang ganz überwiegend davon aus, dass die nach ausländischem Handelsrecht bestehende Verpflichtung einer ausländischen Gesellschaft, Bücher zu führen und Abschlüsse zu erstellen, für die Besteuerung in Deutschland ohne Bedeutung ist. Das BMF ist dieser Auffassung in einem kürzlich erschienenen Schreiben mit dem Hinweis entgegengetreten, dass auch ausländische Rechtsnormen eine Buchführungspflicht für Zwecke der Besteuerung in Deutschland begründen können. Dieser Hinweis birgt einigen Sprengstoff über den eigentlichen Anwendungsbereich des Schreibens hinaus. Insbesondere hierzulande in ausländischer Rechtsform tätige Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer dürften hier alarmiert sein.
Der zitierte Hinweis findet sich im kürzlich veröffentlichten Schreiben des BMF vom 16. 5. 2011 (BStBl. I 2011 S. 530, DB0418082). In diesem Schreiben geht es zwar speziell um beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die eine ausländische Kapitalgesellschaft ohne eigene inländische Betriebsstätte oder ständigen Vertreter im Inland erzielt. Die darin enthaltenen Ausführungen zu Buchführungspflichten sind jedoch abstrakt formuliert: „Nach § 140 AO sind für die Besteuerung Bücher zu führen, wenn diese bereits nach „anderen Gesetzen als den Steuergesetzen“ zu führen sind, wobei auch ausländische Rechtsnormen eine Buchführungspflicht nach § 140 AO begründen können.“
Nur wenn eine solche Buchführungspflicht nicht besteht, können ausländische Gesellschaften – so das BMF weiter (Tz. 6, 7) – ihren „Gewinn als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln“. Anderenfalls hat die Gewinnermittlung nach Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) zu erfolgen. Diese Auffassung widerspricht der – speziell zur englischen Limited – vertretenen Rechtsauffassung der OFD Hannover (Vfg. vom 28. 2. 2007, DB0421656), nach der eine nach englischem Recht vorgenommene Gewinnermittlungen für die Besteuerung in Deutschland unbeachtlich sein soll.
Die Verfasser des jüngsten Schreibens hatten – wie aus dem BMF zu hören ist – nicht im Blick, dass ihre Rechtsauffassung auch Konsequenzen für hierzulande in ausländischer Rechtsform tätige Freiberufler haben kann. Gleichwohl haben bereits einzelne Finanzämter unter Bezugnahme auf dieses Schreiben Zweifel angemeldet, ob in Deutschland tätige Rechtsanwaltssozietäten mit ausländischer Rechtsform ihren Gewinn auch dann im Wege einer Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln dürfen, wenn das einschlägige ausländische Handels-/Gesellschaftsrecht – wie etwa bei einer englischen LLP der Fall – eine Pflicht zur Buchführung und Abschlusserstellung vorsieht.
Das BMF-Schreiben könnte somit eine eigene unbeabsichtigte Dynamik für in Deutschland tätige Freiberuflersozietäten mit ausländischer Rechtsform entwickeln. Denn hätten diese ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln, würden sich z. B. offene Forderungen (selbst wenn sie noch nicht abgerechnet wurden) gewinnerhöhend auswirken. Angesichts dieser Drohkulisse werden deutsche Freiberuflersozietäten, die bisher mit dem Gedanken gespielt haben, in eine ausländische Rechtsform zu wechseln, von einem solchen Schritt Abstand nehmen.
Gegen die Auffassung des BMF bestehen erhebliche Bedenken, die offenbar auch vom BFH geteilt werden. Zwar hat dieser bisher offen gelassen, ob von der Formulierung „anderen Gesetzen als Steuergesetzen“ in § 140 AO auch ausländische Rechtsnormen erfasst sind (I R 116/93, DB0097473), hat aber in zwei weiteren Entscheidungen (I B 118/88, DB0085087 und I R 117/87, DB0085086) trotz bestehender ausländischer Buchführungspflichten eine Gewinnermittlung nach Einnahmen-Überschussrechnung für möglich gehalten und den Gedanken nur deshalb nicht weiter verfolgt, weil diese Art der Gewinnermittlung in den konkreten Fällen nicht gewählt wurde. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist der BFH auch in zwei jüngst ergangenen Entscheidungen gelangt, in denen nach IFRS erstellte Abschlüsse vorgelegen hatten (I R 103/09, Rdn. 23, DB 2010 S. 2648; IV R 46/09, Rdn. 24, DB0422362). Das kann durchaus so verstanden werden, dass der BFH in diesen Fällen auch keine Buchführungspflicht nach § 140 AO annehmen will.
Die Rechtsprechung des BFH basiert insgesamt auf einem Grundsatz, den das Gericht bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1967 (BFH-Urteil vom 19. 1. 1967 – IV 12/63, BStBl. III 1967 S. 288) formuliert hat. Dort heißt es: „Eine Buchführung mit anschließender Erstellung von Abschlüssen, die eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ausschließt, liegt nur vor, wenn sie einen Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermöglicht“. Diese Voraussetzung dürfte ein nach ausländischem Recht erstellter Abschluss (ohne vorherige Überleitung in einen HGB konformen Abschluss) aber regelmäßig nicht erfüllen, es sei denn, das ausländische Recht entspricht zufällig in allen Punkten dem deutschen Recht.
Ist aber trotzt Vorliegens eines ausländischen Abschlusses im Wege der Überleitung praktisch erst ein HGB konformer Abschluss zu erstellen, ist nicht nachvollziehbar, weshalb bereits allein der ausländische Abschluss die Gewinnermittlung nach Einnahmen-Überschussrechnung verbieten soll. Auch fällt es schwer eine Rechtsgrundlage hierfür zu erkennen. Vor diesem Hintergrund sollte das BMF seine Rechtsauffassung nochmals überprüfen, jedenfalls aber den Anwendungsbereich klar eingrenzen.