Diese Frage hat der BFH kürzlich (Beschluss vom 15. 12. 2010 – II R 63/09, DB 2011 S. 214) dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Der BFH äußert unter europarechtlichen Gesichtspunkten erhebliche Zweifel, ob eine erbschaftsteuerliche Ungleichbehandlung von Anteilen an Kapitalgesellschaften je nach deren Belegenheit innerhalb oder außerhalb der EU bzw. des EWR mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) vereinbar ist (vgl. Kessler, Steuerboard, DB0403646).
Sollte der EuGH die Vorlagefrage des BFH bejahen und damit die erbschaftsteuerliche Ungleichbehandlung von Anteilen an Kapitalgesellschaften je nach Belegenheit innerhalb oder außerhalb der EU für europarechtswidrig erklären, wären die Rechtsfolgen auf nationaler Ebene weit reichend. Zwar bezog sich die Frage des BFH zur Vorabentscheidung in erster Linie auf die Begünstigungsfähigkeit von Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in Drittstaaten (Kanada). Da der BFH im Grundsatz aber jegliche Erwerbe von Todes wegen dem Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit unterstellt sieht, könnte erwogen werden, zukünftig nicht nur Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in Drittstaaten als begünstigungsfähiges Vermögen zu qualifizieren; vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass sämtliche im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz normierten Steuerprivilegien, die ausschließlich EU-/EWR-Sachverhalte erfassen, auf Drittstaaten und infolgedessen auf das weltweit vorhandene Vermögen zu erstrecken sind.
Neben unternehmerischem Vermögen (Kapitalgesellschaftsanteile/ Betriebsvermögen/ Land- und forstwirtschaftliches Vermögen) könnten insofern z. B. auch Steuervergünstigungen für in Drittstaaten belegene Familienheime (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–4c ErbStG) und zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke (vgl. § 13c Abs. 3 Nr. 2 ErbStG) zu gewähren sein.
Wer die Entscheidung des EuGH aufgrund des ungewissen Ausgangs hinsichtlich seiner steuerlichen Unternehmensnachfolgeplanung allerdings nicht abwarten möchte, dem stehen auch nach derzeitiger Rechtslage bereits weit reichende Gestaltungsmöglichkeiten zur Erreichung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Privilegierungen für Unternehmensnachfolgen mit Drittlandsvermögen zur Verfügung. Soll z. B. – wie in dem Beschluss des BFH zugrundeliegenden Sachverhalt – eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat übertragen werden, so könnte die Inanspruchnahme der Begünstigung durch die Zwischenschaltung einer inländischen oder EU-/EWR-ausländischen Kapitalgesellschaft als Holding zur Bündelung der Auslandsbeteiligungen dem Grunde nach erreicht werden.
Vorteil dieser Gestaltungsmöglichkeit ist, dass es hierbei unbeachtlich ist, wie und in welcher Form sich das Kapitalgesellschaftsvermögen im Hinblick auf die Belegenheit im Ausland oder Inland strukturiert. Solange die zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft als solche ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland oder einem EU-/EWR-Staat hat und der Steuerpflichtige eine Beteiligungshöhe von mehr als 25% an dieser Kapitalgesellschaft aufweist, ist sie aufgrund ihrer Abschirmwirkung für ihr nachgeordnetes Betriebsvermögen begünstigungsfähig (vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Dementsprechend lassen sich Kapitalgesellschaften mit Sitz in der EU bzw. dem EWR im Grundsatz als Plattform zur „Umwandlung“ von sämtlichem nicht begünstigten Vermögen in für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke begünstigungsfähiges Vermögen gezielt nutzen.
Alternativ kann in Erwägung gezogen werden, Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im EU-/EWR-Ausland in ein inländisches oder ein in der EU bzw. dem EWR belegenes Betriebsvermögen einer Personen- oder Kapitalgesellschaft einzubringen (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), um die Begünstigungsfähigkeit dieses – dem Grunde nach nicht begünstigten – Vermögens, zu gewährleisten. Schließlich sollte, sofern der Sachverhalt und die Umstände des Einzelfalls es zulassen, über einen Zuzug von Drittstaaten-Kapitalgesellschaften in den EU/EWR-Raum nachgedacht werden.
Diese exemplarisch aufgeführten Gestaltungsmöglichkeiten zur Erreichung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Qualifikation von Drittstaatenvermögen als begünstigungsfähiges Vermögen sollten den Gesetzgeber – unabhängig von der Entscheidung des EuGH – dazu veranlassen, die von Gesetzes wegen verordnete erbschaft- und schenkungsteuerliche Ungleichbehandlung von sich innerhalb oder außerhalb der EU bzw. des EWR befindenden Betriebsvermögens aufzugeben. Es bestehen für in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtige zahlreiche Wege und Möglichkeiten, diese Ungleichbehandlung durch rechtlich zulässige Gestaltungen zu überwinden, sodass sich die Differenzierung nach der Belegenheit des Betriebsvermögens im Endeffekt als entbehrlich darstellt.