Zum Steuerabzug der Kosten für die universitäre Bildung

Jun.-Prof. Dr. iur. Heribert M. Anzinger, Darmstadt

Was ist der Zweck eines universitären Studiums? Diese Frage hat die einschneidenden Stu­dien­reformen der letzten Jahre ebenso begleitet wie den po­litischen Diskurs um die Recht­fertigung von Studien­gebühren. Im Steuerrecht war sie erneut Gegenstand einer Entschei­dung des BFH vom 28. 7. 2011 (VI R 7/10, DB 2011 S. 1836). Streitig war, ob Aufwendungen für ein Erststudium nach Schulabschluss vorweg­genom­mene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit darstellen. Die ständige Rechsprechung hatte bis 2002 die berufliche Veranlassung der Ausbildungsauf­wen­dun­gen für einen erstmaligen oder neuen Beruf verneint, den Zweck eines Studiums in der persön­lichen Selbstverwirk­lichung verortet und das Ziel eines Studiums vordergründig in der Er­lan­gung einer gesell­schaftlichen Stellung gesehen.

Diese Rechtsprechung hat der BFH mit Urteil vom 17. 12. 2002 (VI R 137/0, DB 2003 S. 127) ausdrücklich aufgegeben, die berufliche Veranlassung des Studiums in den Vordergrund gerückt und dies mit tiefgreifenden Ver­ände­rungen im Berufsleben, Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt begründet. Der Gesetzgeber mochte diese Neubewertung der Lebenswirklichkeit nicht teilen und reagierte mit einem „Nicht­an­wen­dungs­gesetz“. Dessen erkennbar einziger Zweck war die Beschränkung des Abzugs der Aufwendungen für eine erste Berufsausbildung auf einen limitierten Sonder­aus­gabenabzug und damit eine weitgehende Wiederherstellung der alten Rechtslage.

So eindeutig der in dieser Gesetzesergänzung zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Wille war, so fragwürdig war die Rechtfertigung der darin angelegten Differenzierung zwischen Erst- und Folgeausbildung. In den neuen konsekutiven Studiengängen führte diese Differenzierung dazu, dass die Kosten des Studiums bis zur ersten (Bachelor-)Prüfung nur beschränkt als Sonderausgaben und daher nicht vortragsfähig abgezogen werden konnten, während die Kosten des weiteren Studienverlaufs vollständig und vortragsfähig als Werbungskosten abzugsfähig waren. Die im Schrifttum geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 12 Nr. 5 EStG waren berechtigt.

Obwohl sich der BFH diese verfassungsrechtlichen Zweifel in seiner neuesten Entscheidung zu eigen macht, brauchte er nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Neuregelung mit dem Grundgesetz unvereinbar ist und das Bundesverfassungsgericht einbeziehen. Stattdessen hat er § 12 Nr. 5 EStG im Wege der Auslegung kurzerhand selbst außer Kraft gesetzt. Dazu musste er dem Willen des Gesetzgebers freilich bedenklich Gewalt antun. Die von diesem mit dem Ziel eingefügte Norm, die Aufwendungen für eine erste Berufs­aus­bildung rechtsprechungsbrechend und daher konstitutiv dem Bereich der privaten Lebenssphäre zuzuordnen und nur im Rahmen von Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen, greife nicht, wenn diese Aufwendungen nach der zu brechenden Rechtsprechung nicht der privaten Lebenssphäre zuzuordnen sind. Das Stirnrunzeln, das im BMF vorherrschen dürfte, kann man nachvollziehen. Und man kommt ins Grübeln, ob nach der Logik der vom BFH gewählten Argumentation der Weg wieder frei ist, Vorsorge­auf­wen­dungen unbeschränkt als Werbungs­kosten abzuziehen, wenn sie dazu dienen, eine Erwerbsquelle aufzubauen. Gespannt darf man auch auf die Kasuistik zu der vom BFH zur Rettung des Anwendungsbereiches von § 10 Nr. 7 EStG vorgeschlagenen qualitativen Unterscheidung zwischen beruflich veranlasster und nicht beruflich veranlasster „Berufs­aus­bildung“ sein.

Auf die Finanzverwaltung wird nach der Entscheidung viel Arbeit zukommen – ebenso auf die ca. 2,2 Mio. Studierenden, die sich nun als Homo fiscalis „nach Verlusten sehnend“, ihr Verlustsparbuch ab dem ersten Semester füllen wollen. Sie müssen die kleinen Belege für Bücher, Büromaterial und die Ausstattung der Studentenwohnung sammeln, die AfA für den Laptop berechnen, die Fahrtkosten der Wochenendheimfahrten, dokumentieren, Aus­lands­auf­enthalte steueroptimal gestalten (vgl. BFH vom 9. 6. 2011 – III R 28/09,  DB0426325), eine doppelte Haushaltsführung nachweisen und vor allem ab dem ersten Semester jährlich eine Einkom­men­steuererklärung abgeben. Ob viele sich dieser Mühe unterwerfen? Das Know-how dazu werden die wenigsten Studierenden von Anfang an haben und die Finanz­verwaltung wird sich Gedanken machen müssen, wie das Verfahren vereinfacht werden kann. Vielleicht könnte hier endlich ein sinnvoller Anwendungsfall für die mehrjährige Veranlagung gefunden werden.

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