Dividendenausschüttungen einer deutschen Kapitalgesellschaft an eine ausländische Kapitalgesellschaft unterliegen in Deutschland der Kapitalertragsteuer von 25% zzgl. 5,5% Solidaritätszuschlag hierauf (die effektive Steuerlast beträgt somit 26,375%). Unterliegt die die Dividende empfangende Kapitalgesellschaft in Deutschland der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht, so werden grundsätzlich zwei Fünftel der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer erstattet. Die effektive Steuerbelastung beträgt dann 16,375%.
Durch die Zwischenschaltung einer Holdinggesellschaft und die entsprechende Umleitung der Dividende kann die Belastung mit deutscher Kapitalertragsteuer (Quellensteuer) vermieden oder zumindest reduziert werden. Besteht zwischen dem Quellenstaat und dem Sitzstaat des Dividendenempfängers kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), so werden etwaige Quellensteuern in voller Höhe erhoben. Wird nun eine Holdinggesellschaft mit Sitz in einem Staat, mit dem der Quellenstaat ein DBA abgeschlossen und in diesem die Reduktion der Dividendenquellensteuer vereinbart hat, zwischengeschaltet, reduziert sich entsprechend die Quellensteuer.
Zur Verdeutlichung: Eine in Monaco ansässige natürliche Person ist alleiniger Gesellschafter einer deutschen Kapitalgesellschaft, D-GmbH. Bringt der Monegasse seine Beteiligung an der deutschen D-GmbH beispielsweise in eine niederländische Kapitalgesellschaft, NL-BV, ein, so reduziert sich die deutsche Quellensteuer auf Dividendenausschüttungen der D-GmbH an die NL-BV auf 0%, sofern die 12-monatige Mindesthaltefrist erfüllt ist bzw. wird. Im Steuerrecht spricht man dann von Treaty-Shopping oder EU Directive-Shopping.
Die Quellensteuerentlastung wird jedoch dann verweigert, wenn die Zwischenschaltung der Holdinggesellschaft hauptsächlich zur Erlangung von Abkommensvorteilen bzw. Vorteilen nach EU-Richtlinien (z. B. EU Mutter-Tochter-Richtlinie oder EU Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie) erfolgte und daher als missbräuchlich qualifiziert wird.
Das deutsche Steuerrecht enthält in § 50d Abs. 3 EStG für den Fall des Treaty / EU Directive Shoppings eine spezielle Anti-Missbrauchsvorschrift, die vor der allgemeinen Gestaltungsmissbrauchsklausel des § 42 AO Vorrang hat. Nach der sog. Anti-Treaty (Anti-Directive) Shopping Vorschrift werden Quellensteuerentlastungen in Deutschland nicht gewährt,
soweit Personen an der ausländischen Gesellschaft (hier: Holdinggesellschaft) beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielen und
– es für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe gibt oder
– die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt (sog. 10%-Grenze) oder
– die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.
Durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (BeitrRLUmsG) soll die Anti-Treaty Shopping Regelung des § 50d Abs. 3 EStG nun zielgerichteter ausgestaltet werden, nachdem die EU-Kommission die Vorschrift als unverhältnismäßig beanstandet hat.
Nach dem Gesetzesentwurf soll die starre 10%-Grenze wegfallen, d.h. die Quellensteuerentlastung in Deutschland auch insoweit gewährt werden, wie die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftjahr erzielten Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen. Des Weiteren soll eine Feststellungslast für die ausländische Gesellschaft bezüglich des Vorliegens der wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründen sowie des angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs eingeführt werden. Der Bundestag hat dem Gesetzesentwurf am 27.10.2011 zugestimmt. Die abschließende Beratung im Bundesrat wird für den 25.11.2011 erwartet. In Kraft treten soll die Neuregelung am 1. 1. 2012.
Die geplante Neuregelung der deutschen Anti-Treaty Shopping Vorschrift und die damit verbundene stärkere Fokussierung auf Missbrauchsfälle ist zu begrüßen. Die neue eigenständige Form der Entlastung für „Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit“ wird Erleichterungen mit sich bringen. Der Gesetzgeber zieht nun die Notbremse, bevor die Europarechtswidrigkeit der deutschen Anti-Treaty Shopping Vorschrift festgestellt wird. Dies ist zu begrüßen und zu hoffen, dass die Finanzverwaltung sich an diesen gesetzgeberischen Willen hält und ihn nicht durch die Hintertür, beispielsweise bei der vermutlich anstehenden Überarbeitung des BMF-Schreibens, unterläuft.