Ist der Sphärentheorie endlich der Boden entzogen?

RA/StB Ralph Korf, München

In einer auf den ersten Blick unscheinbaren Entscheidung des BFH (Beschluss vom 7. 9. 2011 – V B 54/11) liest man Erstaunliches: Zumindest nach dem Wortlaut rückt der V. Senat von der Begründung ab, mit welcher er im Jahr 1984 die sog. Sphärentheorie ins Leben rief. Im vorliegenden Fall ging es um einen Verein, dem Finanzamt und Finanzgericht den Vorsteuerabzug versagt hatten. Das FG begründete die Klageabweisung damit, „dass der Kläger als Verein ‚auch nichtwirtschaftliche Zwecke (ideelle Vereinszwecke) verfolgte‘“, wie der BFH zitiert. Der  V. Senat fährt im gleichen Satz fort: „ohne dabei aber zu begründen, woraus sich diese Zweckverfolgung ergibt“.

Früher: Nicht-unternehmerische Zweckverfolgung bei Verein zwingend

Nach der früheren Rechtsprechung wäre diese Begründung der Zweckverfolgung nicht erforderlich gewesen, weil sie sich aus der Natur des Vereins ergab. Der BFH begründete 1984 für das Streitjahr 1968 nämlich, dass ein Verein seinen Mitgliedern gegenüber zwingend auf der Mitgliedschaftsebene und damit nicht-unternehmerisch Leistungen erbringen müsse. Wenn bei einem Verein zwingend eine solche nicht unternehmerische Sphäre vorhanden sei, gelte dies wegen der Neutralität der Umsatzsteuer auch für jeden anderen Unternehmer (BFH-Urteil vom 20. 12. 1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985 S. 176).

Diese Logik war spätestens seit den EuGH-Urteilen überholt, in welchen der Gerichtshof entschied, dass die Jahresbeiträge der Mitglieder eines Sportvereins die Gegenleistung für die von diesem Verein erbrachten Dienstleistungen darstellen können, und dass Beistandsleistungen, die eine Gesellschaft ihren Mitgliedern gegen Zahlung eines festen Jahresbeitrags bei Fahrzeugpannen erbringt, Versicherungsumsätze im Sinne des Art. 13 Teil B Buchst. a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen (vom 21. 3. 2002 – Rs. C-174/00, Kennemer Golf & Country Club, EuGHE 2002 S. I-3293 = DB 2002 S. 1538 [LS] und vom 7. 12. 2006 – Rs. C-13/06, Kommission gegen hellenische Republik, EuGHE 2006 S. I‑11563 = DB 2006 S. 2728 [LS]). Daraus ergibt sich, dass ein Verein nicht zwingend eine ideelle Tätigkeit ausüben muss und dass damit der Begründung der Sphärentheorie der Boden entzogen war.  Trotzdem hielt der BFH eisern daran fest, jeder Unternehmer müsse unabhängig von seiner Rechtsform eine nichtunternehmerische Sphäre haben.

Erste Anzeichen für Trendwende

Seinem Urteil vom 6. 5. 2010, V R 29/09 (DB 2010 S. 1978) hatte der BFH auf der Online-Datenbank vorangestellt:

„‘Sphärentheorie‘: Vorsteuerabzug eines Unternehmers aus der Begebung von Inhaberschuldverschreibung – richtlinienkonforme Auslegung von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG – Verzicht auf Steuerbefreiung von Umsätzen“

In jener Entscheidung hieß es: „Dieser Abgrenzung nach der Umsatztätigkeit des Unternehmers (Steuerpflichtigen) entspricht die Rechtsprechung des Senats, nach der ein Unternehmer wie z.B. ein Verein, der einerseits in einem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich steuerbare Leistungen erbringt und andererseits in nichtwirtschaftlicher Weise seinen ideellen Vereinszweck verfolgt, ohne dabei steuerbare Leistungen zu erbringen (zur Erbringung entgeltlicher Leistungen bei der Verfolgung des ideellen Vereinszwecks vgl. aber EuGH-Urteil vom 21. 3. 2002 – C-174/00, Kennemer Golf, EuGHE 2002 S. I-3293, Ls. 3 = DB 2002 S. 1538 [LS]), nur hinsichtlich seines wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (BFH-Urteil vom 20. 12. 1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985 S. 176, Ls. 1 und 2; ebenso das EuGH-Urteil vom 12. 2. 2009 – C-515/07, VNLTO, EuGHE 2009 S. I-839 = DB 2009 S. 382 [LS])“.

Neuer Wein in alten Schläuchen

Wäre dieses Zitat inhaltlich zutreffend, käme man zu dem Ergebnis, dass „nichtunternehmerisch“ in der Verwendung seit 1984 gleichzusetzen wäre mit „nichtwirtschaftlich“ in der Verwendung seit 2010. Das aber widerspräche einer Aussage im BFH-Beschluss vom 29. 6. 2010, V B 160/08, in welchem es heißt: „Durch die bereits vorliegende Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist geklärt, dass auch eine gemeinnützige Körperschaft einen unternehmerischen und einen nichtunternehmerischen Bereich haben kann (vgl. BFH-Beschluss vom 14. 4. 2008 – XI B 171/07, BFH/NV 2008 S. 1215, m.w.N. aus der Rechtsprechung), wobei der unternehmerische Bereich die wirtschaftliche und die nichtwirtschaftliche Tätigkeit umfasst (EuGH-Urteil vom 12. 2. 2009 – C-515/07, VNLTO, EuGHE 2009 S. I-839 = DB 2009 S. 382 [LS] = UR 2009 S. 199, Rdn. 35)“.

Früher unterschied der BFH nur zwischen der nichtunternehmerischen und der unternehmerischen Sphäre, wobei unternehmerisch nur Umsätze sein konnten, die entweder steuerpflichtig, steuerfrei oder als Umsätze im Ausland nicht steuerbar waren. Alles andere war nichtunternehmerisch. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH muss aber zwischen der unternehmerischen Tätigkeit (welche aus wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Aktivitäten bestehen kann) und der nichtunternehmerischen Tätigkeit differenziert werden, welche derart unternehmensfremd ist, dass sie einem privaten Tun gleichzustellen ist.

Auch wenn der V. Senat erkennbar versucht, den Begriff der „Sphärentheorie“ aufrecht zu erhalten, so zeichnet sich aus den drei genannten Entscheidungen doch ab, dass er inhaltlich die Linie des EuGH übernimmt und vor allem – entgegen der Grundlagenentscheidung von 1984 – nicht mehr davon ausgeht, jeder Verein habe zwingend einen ideellen Bereich.

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