Die Hinzurechnungsbesteuerung soll die missbräuchliche Verlagerung von Steuersubstrat in Niedrigsteuerländer verhindern. Der „Lehrbuch-Fall“ spielt in einer Steueroase – nicht hingegen in einer westlichen Industrienation. Doch künftig können auch Investitionen in Großbritannien und in den Niederlanden von der Hinzurechnungsbesteuerung betroffen sein: Grund dafür sind sinkende KSt-Sätze.
Die Tendenz in einigen europäischen Staaten geht hin zu einer Senkung der KSt-Sätze. So wurde beispielsweise in Großbritannien kürzlich angekündigt, den KSt-Satz ab dem 1. 4. 2012 auf 24% zu senken. Zudem soll der KSt-Satz schrittweise bis 2014 auf 22% gemindert werden. Bereits im Jahr 2011 wurde der KSt-Satz in den Niederlanden auf 25% abgesenkt, wobei die ersten 200.000 € mit einem geminderten Steuersatz von 20% versteuert werden. Damit gelten Großbritannien und die Niederlande per se als „Niedrigsteuerland“ i. S. der Hinzurechnungsbesteuerung.
Nach den Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung werden die Einkünfte einer ausländischen Zwischengesellschaft dem inländischen Anteilseigner hinzugerechnet. Eine Zwischengesellschaft ist definiert als eine Gesellschaft, die von Inländern beherrscht wird, passive Einkünfte erzielt und deren Einkünfte niedrig besteuert sind. Dabei sieht das AStG die Grenze der Niedrigbesteuerung bei einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 25%. Von dem nominalen Steuersatz geht dabei eine Indizwirkung aus.
Die Grenze der Niedrigbesteuerung von weniger als 25% gilt seit 2001 und wurde auch im Rahmen der Absenkung des KSt-Satzes von 25% auf 15% ab dem Vz. 2008 nicht verändert. Begründet wird die Beibehaltung der Grenze von 25% damit, dass für die Ertragsteuerbelastung auch die GewSt zu berücksichtigen sei. Realität ist jedoch, dass die Gesamtsteuerbelastung einer inländischen KapGes. zwischen ca. 23% und 33% liegt. Somit kann auch Deutschland ebenso wie Großbritannien und die Niederlande als eine „Steueroase“ i. S. der Hinzurechnungsbesteuerung anzusehen sein.
Zu beachten ist zudem, dass eine Niedrigbesteuerung i. S. der Hinzurechnungsbesteuerung auch in Ländern vorliegen kann, deren nominaler Steuersatz genau 25% (z. B. Österreich) oder knapp über 25% beträgt. Denn für die Beurteilung einer Niedrigbesteuerung sind die ausländischen Einkünfte nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften zu ermitteln. Weichen die Gewinnermittlungsvorschriften im Ausland von den deutschen Regelungen ab, kann die effektive Belastung der passiven Einkünfte der ausländischen Gesellschaft unter 25% liegen. In diesen Fällen tritt ebenfalls die Hinzurechnungsbesteuerung ein.
Einen Ausweg aus der Hinzurechnungsbesteuerung kann die Ausnahme für EU-/EWR-Gesellschaften nach § 8 Abs. 2 AStG darstellen. Diese kommt jedoch nur zur Anwendung, wenn der Nachweis gelingt, dass die ausländische Gesellschaft eine „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ in ihrem Ansässigkeitsstaat ausübt. Was unter einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ zu verstehen ist, definiert weder das Gesetz noch gibt es dazu umfassende Verwaltungsanweisungen. Zudem wird dieser Nachweis einen erheblichen administrativen Aufwand verursachen.
Gelingt der Nachweis nicht, werden die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft in Deutschland mit KSt und GewSt sowie SolZ besteuert. Die im Ausland erhobene Steuer kann auf die deutsche Steuer angerechnet werden. Allerdings erfolgt die Anrechnung nur auf die KSt, also i. H. von 15%, und nicht auf die GewSt. Damit ist die ausländische Steuer nur z. T. anrechenbar, wenn der ausländische Steuersatz über 15% beträgt. Im Ergebnis unterliegen die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer höheren Steuerbelastung als Einkünfte einer inländischen KapGes. Dem Sinn und Zweck der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung entspricht dies nicht. Diese bezweckt lediglich die Besteuerung auf inländischem Steuerniveau in Missbrauchsfällen.
Der Gesetzgeber ist nun gefordert, die Grenze der Niedrigbesteuerung abzusenken und damit eine Anpassung an die steuerliche Realität vorzunehmen. Dass europäische Industrienationen wie Großbritannien, die Niederlande – und auch Deutschland selbst – als faktische Steueroasen gelten, entspricht weder dem historischen Gesetzgeber noch den Zielen der Hinzurechnungsbesteuerung. Diese Regelung sollte auf Fälle beschränkt sein, in denen das ausländische Steuerniveau deutlich unter der inländischen Ertragsteuerbelastung liegt.
(Zitiervorschlag: Lenz, Steuerboard DB0470265)