Die Besteuerung von in Deutschland erzieltem Einkommen einer KapGes. ist oft davon abhängig, dass dieses Einkommen einer „Geschäftsleitungs-Betriebstätte“ zugeordnet werden kann.
Im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) wird davon ausgegangen, dass eine KapGes. mehrere „Orte der Geschäftsleitung“ haben kann, mit der Folge einer sich auf das weltweite Einkommen erstreckenden Steuerpflicht auch in verschiedenen Staaten (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA). Ist das der Fall, soll es zur Bestimmung des Hauptansässigkeitsstaats auf den „Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung“ ankommen, wenn man so will, auf die „gewichtigere“, die „effektive“ Geschäftsleitung bzw. den Ort, wo letztere zu lokalisieren ist (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).
Weiter geht das DBA-Recht davon aus, dass eine in einem Staat aufgrund des dortigen Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft in einem anderen Staat eine Betriebsstätte auch in Form eines weiteren (weniger gewichtigen) „Ortes der (bloßen) Leitung“ (Art. 5 Abs. 2 lit. a OECD-MA) haben kann, was in diesem Staat eine „nur“ beschränkte Steuerpflicht mit bestimmtem Einkommen aus diesem Staat nach sich zieht.
Das deutsche Steuerrecht differenziert ähnlich:
– Nach § 1 KStG ist eine KapGes. u.a. dann unbeschränkt steuerpflichtig, wenn sie ihre „Geschäftsleitung“ im Inland hat.
– Nach § 10 AO ist „Geschäftsleitung … der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“; ein Vergleich mit dem Begriff der „tatsächlichen Geschäftsleitung“ im DBA-Recht (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) drängt sich auf.
– § 12 Satz 2 Nr. 1 AO, wonach insbesondere auch die „Stätte der Geschäftsleitung“ eine Betriebsstätte ist, scheint Art. 5 Abs. 2 lit. a OECD-MA zu entsprechen, unterscheidet sich aber insoweit, als dass auch in
§ 12 AO – wie in § 10 AO – auf die „Geschäftsleitung“ abgestellt wird, nicht auf den Ort der bloßen „Leitung“.
Der Begriff „Geschäftsleitung“ wird indes nur in § 10 AO als „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ konkretisiert, nicht in § 12 Satz 2 Nr. 1 AO. Die Rspr. rekurriert deshalb zur Konkretisierung der Betriebsstätte i. S. einer „Stätte der Geschäftsleitung“ auf § 10 AO und die dortige Konkretisierung als „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“. Damit verschmilzt der oft nur eine beschränkte Steuerpflicht auslösende Betriebsstättenbegriff mit dem eine unbeschränkte Steuerpflicht auslösenden Geschäftsleitungsbegriff.
Die Begriffswahl in § 10 und § 12 Satz 2 Nr. 1 AO ist unglücklich. Sie führt zu Auslegungsproblemen. Vergleichbar dem DBA-Recht hätte eine Formulierung in § 10 AO wie etwa „Die Geschäftsleitung ist dort, wo sich die Oberleitung befindet“ wohl zu weniger Missverständnissen geführt, wie sie seit einigen Jahren im Hinblick auf Divergenzen in der BFH-Rspr. beklagt werden (u. a. Gosch, StBp 1998 S. 106).
Unstreitig scheint nur, dass nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO die Stätte der Geschäftsleitung immer auch eine Betriebsstätte ist. Streitig ist dagegen, ob
– jedes Unternehmen zumindest einen Ort der geschäftlichen Oberleitung haben muss,
– es auch Gesellschaften ohne einen Mittelpunkt der Oberleitung und damit gänzlich ohne Geschäftsleitung geben kann (vgl. Buciek, in: Gosch, AO/FGO, § 10 Rdn. 29) bzw.
– ob eine Gesellschaft nur einen einzigen maßgeblichen Ort der geschäftlichen Oberleitung haben kann, weil es einer natürlichen Betrachtung folgend nur einen Mittelpunkt geben könne
(so der IV. BFH-Senat: „Der ‚Mittelpunkt‘ der geschäftlichen Oberleitung kann sich naturgemäß nur an einem Ort befinden“,
BFH-Urteil vom 3. 7. 1997 – IV R 58/95, DB 1998 S. 659 (Ls.)).
Nach Auffassung des I. BFH-Senats hingegen bestimme sich nach den im Einzelfall tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, welche von ihnen der Geschäftsleitung zuzuordnen sind und auf welche bei der Bestimmung des Ortes bzw. der Orte der Geschäftsleitung abzustellen ist. Dies schließe nicht aus, dass ein Unternehmen mehrere Orte der Geschäftsleitung haben kann und einzelne Geschäftsleitungstätigkeiten verschiedenen Mittelpunkten (Betriebsstätten) zuzuordnen sein können (BFH-Urteil vom 30. 1. 2002 –
I R 12/01; Urteil vom 15. 10. 1997 – I R 76/95).
Nach Gosch berge diese Divergenz in der Rspr. der beiden BFH-Senate „mit Gewissheit … noch einigen Zündstoff“ (a.a.O). M.E. gebührt jedenfalls im Ergebnis der Auffassung des I. Senats der Vorzug. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie den Grundsätzen im DBA-Recht entspricht. Sie hilft, weitere Auslegungsprobleme auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu vermeiden, die auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten auftreten können.
Nach Auffassung des I. Senats des BFH folge aus der Tatsache, dass nach § 10 AO die Annahme einer Geschäftsleitung einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung voraussetzt und nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO die Stätte der Geschäftsleitung eine Betriebsstätte bildet, dass das Innehaben der Geschäftsleitung nicht nur tätigkeits-, sondern auch ortsbezogen verstanden werden müsse.
Während einer Dienstreise eines Geschäftsführers getroffene wichtige Geschäftsleitungsentscheidungen führten nicht dazu, dass der jeweilige Ort der Entscheidung einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung des vertretenen Unternehmens bilde. Es fehle an einer ortsbezogenen Einrichtung außerhalb der Geschäftsleitungsbetriebsstätte, der die Tätigkeit zuzuordnen ist. Voraussetzung für einen weiteren Ort der Geschäftsleitung auch i. S. von § 12 Satz 1 Nr. 1 AO sei eine Einrichtung, an der sich der Geschäftsführer mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufhält und der Maßnahmen der Geschäftsführung zuzuordnen sind, weil sie entweder dort getroffen werden oder weil der Geschäftsführer mit einer gewissen Regelmäßigkeit von dort aus agiert.
Allein Verhandlungen eines Geschäftsführers mit wechselnden Auftraggebern und Auftragnehmern in deren Einrichtungen reichen nicht aus, um dort eine weitere Einrichtung der steuerpflichtigen Gesellschaft anzunehmen. Die Geschäftseinrichtungen von Geschäftspartnern bilden
i. d. R. keine Einrichtung (Betriebsstätte) des Unternehmens, um dessen Geschäftsleitung es geht. Entscheidend sei, ob einem Geschäftsführer (auch) an einem anderen Ort Wohn- oder Geschäftsräume zur Verfügung stehen, die er mit einer gewissen Regelmäßigkeit nutzt und denen eine dort ausgeübte Geschäftsleitungstätigkeit zuzuordnen ist. Aber auch und gerade ein häusliches Arbeitszimmer, ggf. auch Wohnräume selbst, sind als eine eine Betriebsstätte begründende Geschäftseinrichtung nur dann anzusehen, wenn die Gesellschaft darüber eine gewisse Verfügungsmacht hat. Daran wird es, wie das Urteil des IV. Senats zeigt, selbst bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer i. d. R. fehlen.
(Zitiervorschlag: Töben, Steuerboard DB0471750)