Für die Gestaltungs- und Steuerrechtsdurchsetzungsberatung in Umstrukturierungsfällen ist ein wichtiges neues BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 – X R 60/09 (DB 2012 S. 779 und DB0469717) zur Kenntnis zu nehmen, das im Einzelfall sehr hilfreich sein kann. Es geht um „Vorfeldmaßnahmen“ einer betrieblichen Umstrukturierung, die eine geplante Buchwertverknüpfung oder Zwischenwertaufstockung wegen Zurückbehalt einer wesentlichen Betriebsgrundlage u. U. gefährden können. Stets müssen für privilegierte Umstrukturierungen sämtliche zum Zeitpunkt der Einbringung zum Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil (einschl. Sonderbetriebsvermögen I und II) gehörende „funktional wesentliche Betriebsgrundlagen“ übertragen werden. Damit können in engem zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang stehende oder gleichzeitig erfolgende Sondertransaktionen die Buchwertverknüpfungsmöglichkeit gefährden.
Der X. Senat des BFH stellt nun für Einbringungsfälle fest: Es steht der Anwendbarkeit des § 24 UmwStG weder § 42 AO – steuerlicher Gestaltungsmissbrauch – noch die „Rechtsfigur des Gesamtplans“ entgegen, wenn vor oder zeitgleich mit der (tatsächlichen) Einbringung eine wesentliche Betriebsgrundlage des einzubringenden Betriebs (konkret ein betriebsnotwendiges Grundstück) unter Aufdeckung der stillen Reserven veräußert wird und die Veräußerung auf Dauer angelegt ist. Das Judikat betrifft das „alte“ Umwandlungssteuerrecht, gilt aber inhaltlich darüber hinaus auch für die Neufassung des UmwStG durch das SEStEG vom 7. 12. 2006 und präzisiert die „Missbrauchsprüfung“ im neuen UmwSt-Erlass 2011 (DB0464115, insb. Rn 20.07).
Das „Missbrauchsproblem“ von Vorfeldmaßnahmen
Der dem BFH-Verfahren zugrunde liegende Streitfall spielt im Jahr 2000 und ist recht vielschichtig. Ein Einzelunternehmer (= Kläger) bringt seinen Betrieb im Wege der Einzelrechtsnachfolge zum 31. 10. 2000 mit Teilaufdeckung stiller Reserven (zum Ausgleich eines negativen Kapitalkontos) in eine von ihm gut einen Monat vorher (29. 9. 2000) gegründete GmbH & Co. KG ein. Das betriebsnotwendige Grundstück wird nicht mit eingebracht, sondern zeitnah (notarieller Vertrag vom 29. 9. 2000) an die Ehefrau zum Verkehrswert veräußert, wobei einige Sonderregelungen für die Kaufpreisbegleichung bestanden (Teilverrechnung mit Darlehensforderung der Ehefrau, keine Sicherung und Verzinsung des Kaufpreises). Folgemaßnahmen im Sachverhalt waren: „Weitereinbringung“ des Betriebs durch die KG in eine NewCo-GmbH, an der sich anschließend ein fremder Dritter im Wege einer Kapitalerhöhung (mit Agio) beteiligt (31. 10. 2000); Vermietung des Grundstücks zu fremdüblichen Konditionen an die NewCo-GmbH. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits wurde zudem erkennbar, dass die Ehefrau das Grundstück im September 2005 zum Verkehrswert an die NewCo-GmbH veräußert hat. Die Finanzverwaltung verlangt bei der stattfindenden Außenprüfung die Vollaufdeckung der stillen Reserven des Betriebs, weil wegen „Vorabausgliederung“ des Grundstücks nicht sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen eingebracht wurden. Über die Höhe der stillen Reserven wurde eine tatsächliche Verständigung getroffen. Der Stpfl. wehrt sich gegen die Vollaufdeckung der stillen Reserven mangels missbräuchlichen Gesamtplans. Das FG Münster gibt dem Stpfl. in seiner erstinstanzlichen Entscheidung vom 21. 10. 2009 – 14 K 2937/06 (DB0347747) Recht; der BFH bestätigt dieses Ergebnis und lehnt einen Gestaltungsmissbrauch ab. Die Entscheidung wird die Beratungspraxis erfreuen; sie ist zutreffend.
Rechtserkenntnisse aus dem BFH-Urteil
Der X. Senat des BFH befasst sich mit der Anwendung des § 24 UmwStG und klärt die Voraussetzungen für im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Umstrukturierung stehende „schädliche Einzeltransaktionen“. Die Urteilsaussagen befinden sich gedanklich „auf Linie“ mit den anderen Senaten (insbes. IV. und VIII. Senat). Der Rechtsanwender wird die „Vereinbarkeitsprüfung“ des X. Senats im Interesse von Planungssicherheit begrüßen. Das Urteil hat „Ausstrahlungswirkung“ auch auf andere Umstrukturierungsformen (etwa § 20 UmwStG, aber auch auf § 6 Abs. 3 EStG bei vorweggenommener Erbfolge oder Realteilungsmaßnahmen). Die Kernaussagen des Urteils vom 9. 11. 2011 sind:
– Eine Sacheinlage gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ist im Ausgangspunkt als realisierender „tauschähnlicher Veräußerungsvorgang“ zu verstehen, für den mit § 24 UmwStG (aber auch bspw. § 20 UmwStG) Sonderregelungen bestehen, die eine Übertragung sämtlicher funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang verlangen. Ansonsten erfolgt entsprechend dem Realisationsprinzip eine Zwangsaufdeckung sämtlicher stiller Reserven.
– Eine „Zurückbehaltung“ wesentlicher Betriebsgrundlagen ist dann unschädlich, wenn es sich im Umfeld der Umstrukturierung um einen realisierenden Veräußerungsvorgang handelt, der zivilrechtlich wirksam, tatsächlich gewollt und auf Dauer angelegt ist. Der Erwerb durch eine „nahestehende Person“, die eine Fremdüblichkeit nicht beeinflussenden Sonderkonditionen und der Grundstückstransfer auf den Mieter fünf Jahre später ist unschädlich. Für einen Gestaltungsmissbrauch oder die Anwendung der Rechtsfigur des Gesamtplans, deren Grundlagen offenbleiben, ist dann kein Raum. Abzustellen ist bei einer Einzelrechtsnachfolge auf den Zeitpunkt der „tatsächlichen Einbringung“ (dinglicher oder wirtschaftlicher Eigentumsübergang, nicht schuldrechtlicher Einbringungsvertrag); das Grundstück war zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr Einbringungsgegenstand.
– Offen bleibt, wann der Buchwerttransfer oder die Zurückbehaltung einer wesentlichen Betriebsgrundlage nach der Rechtsfigur des Gesamtplans steuerschädlich für die umwandlungssteuerliche Umstrukturierung ist. Hier besteht weiterhin Klärungsbedarf mit Rechtsunsicherheit für die Praxis. Indizielle Zeitgrenzen für unschädliche Vorbereitungsmaßnahmen nennt der BFH nicht.
Zum Schluss
Das BFH-Urteil ist klar, wichtig und hilfreich! Auf Dauer angelegte, realisierende Vorfeldmaßnahmen einer Umstrukturierung sind für Buchwertverknüpfungszwecke unschädlich. Die Finanzverwaltung sollte das Judikat schnellstmöglich im BStBl. veröffentlichen und damit für die Betriebsprüfungs- und Rechtsbehelfspraxis freigeben. Die Ausstrahlung des Urteils auf weitere Anwendungsfälle eines steuerschädlichen Gesamtplans (etwa bei § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG) wird man abwarten müssen.
(Zitiervorschlag: Prinz, Steuerboard DB0471336)