Am 9. 5. 2012 hat der BFH mit zwei Paukenschlägen daran erinnert, dass auch das Steuerrecht nicht außerhalb des Verfassungsrechts steht. Neben dem Treaty Override (BFH-Urteil vom 10. 1. 2012 – I R 66/09, DB0474325) stellt er die Zinsschranke, oder genauer die Schädlichkeit einer Gesellschaftersicherheit auf den Prüfstand (BFH-Urteil vom 13. 3. 2012 – I B 111/11, DB 2012 S. 1071).
Überschießender Geltungsbereich
Nicht nur Gesellschafterdarlehen können zur Anwendbarkeit der Zinsschranke führen, sondern auch Drittdarlehen, wenn und soweit der Dritte auf Gesellschafter Rückgriff nehmen kann (sog. gesellschafterbesichertes Darlehen). Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung hat der BFH anlässlich eines erfolgreichen AdV-Verfahrens, bei dem Gesellschafterbürgschaften zur Anwendbarkeit der Zinsschranke führten, in Zweifel gezogen, da sie zu weit gefasst ist. Gesellschafterbesicherte Drittdarlehen sind nur schädlich, um zu verhindern, dass grds. schädliche, zur Gewinnverlagerung geeignete Gesellschafterfinanzierungen ersetzt werden, indem der Gesellschafter sein Darlehen an eine Bank gibt, die es dann an die Gesellschaft weiterreicht, und hierfür als Sicherheit einen Rückgriff auf das Darlehen des Gesellschafters erhält (Back-to-back-Finanzierung). Allerdings werden durch die Regelung der schädlichen Gesellschaftersicherheit nicht nur solche unmittelbaren Back-to-back-Finanzierungen, sondern auch die Fälle erfasst, in denen eine andere Sicherheit eines Gesellschafters, beispielsweise eine Bürgschaft, gegeben wird. Eine solche Bürgschaft kann jedoch nicht zur Gewinnverlagerung genutzt werden. Damit hat diese Regelung gemessen an ihren Zweck einen deutlich überschießenden Geltungsbereich.
Auch eine gesetzliche Typisierung, bei der nicht jeder betroffene Fall unmittelbar nach dem Gesetzeszweck einschlägig sein muss, hat sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen zu lassen; die „Streueffekte“ dürfen nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen treffen und die Nachteile dürfen nicht zu schwer wiegen. Gemessen an diesen Rahmenbedingungen kommt der BFH zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass die Schädlichkeit jeglicher Gesellschaftersicherheit zu unverhältnismäßigen Belastungswirkungen führt. Jenseits missbräuchlicher Gestaltungen werden gerade finanz- und ertragsschwache Unternehmen, die besonders auf Fremdkapital angewiesen sind, betroffen.
AdV aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel
Der BFH sah sich hier nicht gehindert, aufgrund der verfassungsrechtlichen Zweifel AdV zu gewähren. Im konkreten Streitfall erkannte er ein gegenüber dem öffentlichen budgetären Interesse überwiegendes Aussetzungsinteresse des Stpfl. Der BFH hat hierzu die wirtschaftlichen Wirkungen sehr ausführlich dargestellt. Die Zinsschranke führte beim Stpfl., einer immobilienverwaltenden AG, zur Festsetzung von KSt, die in zwei Jahren das Ergebnis vor Steuern jeweils deutlich überstieg und im dritten streitgegenständlichen Jahr 71% erreichte. Hinzu kam, dass der Stpfl. nicht über ausreichend Liquidität für die Steuerzahlung verfügte. Die hierfür notwendige Fremdfinanzierung hätte den Zinsaufwand, und damit den Effekt der Zinsschranke, weiter erhöht.
Auf der anderen Seite sah der BFH keine erheblichen haushaltsmäßigen Verwerfungen, die der AdV entgegengestanden hätten. Er schätzt die Auswirkungen der Zinsschranke insgesamt auf 0,3% des Steueraufkommens 2011 und 0,28% des Steueraufkommens 2012.
Der AdV steht nach Auffassung des hier entscheidenden I. Senats auch nicht die Auffassung des II. Senats entgegen, im AdV-Verfahren könne keine weitergehende Entscheidung getroffen werden, als vom BVerfG bei einer verfassungsmäßigen Prüfung zu erwarten sei. Der I. Senat lässt bereits offen, ob hieran überhaupt festzuhalten sei. Jedenfalls sei nicht zu erwarten, dass das BVerfG dem Gesetzgeber nur einen Regelungsauftrag für die Zukunft erteilen werde, denn eine pro-futuro-Wirkung stelle nur die Ausnahme dar.
Ausblick
Diese Entscheidung hat aus mehreren Gründen Wirkung weit über die konkrete Klausel hinaus:
Der BFH hat ausdrücklich offengelassen, ob gegen die Zinsschranke insgesamt grds. verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Da der Beschluss die tatsächliche geringe wirtschaftliche Bedeutung der Zinsschranke für den Staatshaushalt sowie deren u. U. erdrückende Auswirkung auf betroffene Stpfl. ausführlich darstellt, ist es nicht fernliegend anzunehmen, dass zumindest der 1. Senat zu der Auffassung neigt, es bestünden verfassungsmäßige Zweifel an der Zinsschranke insgesamt und auch diese könnten ggf. eine AdV rechtfertigen.
I. Ü. gab es den schädlichen Rückgriff auf den Gesellschafter bereits in der alten Regelung der Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 8a KStG a. F.). Die verfassungsmäßigen Zweifel an der überschießenden Ausgestaltung können dorthin übertragen werden.
In den genannten Fällen erscheint daher ein Antrag auf AdV gleichfalls nicht von vornherein aussichtslos, jedenfalls sollten sie bis zu einer abschließenden verfassungsrechtlichen Klärung offen gehalten werden.
(Zitiervorschlag: Pupeter, Steuerboard DB0474603)