Ein leidiges, oft strittiges Thema in Außenprüfungen sind Korrektheit und Vollständigkeit der Angaben nach §§ 14, 14a UStG in (Eingangs-)Rechnungen. Fehlende oder unzutreffende Rechnungsangaben, mithin rein formale Gründe, lassen den (in gutem Glauben durchgeführten) Vorsteuerabzug entfallen. Ein bei komplexen Aufträgen falsch ermitteltes Leistungsdatum, eine zu unpräzise Leistungsbeschreibung bei sonstigen Leistungen; ein „Fehler“ gelangt schnell in eine ansonsten korrekte Rechnung. Da Außenprüfungen oft erst Jahre später erfolgen, können gem. § 233a AO erhebliche Nachzahlungszinsen anfallen. Denn Finanzverwaltung und BFH ließen bisher den Vorsteuerabzug nicht rückwirkend, sondern erst ab Vorliegen der korrigierten Rechnung zu, obwohl § 31 UStDV zur Rückwirkung keine Aussage trifft. Doch es besteht Hoffnung.
Zunächst Euphorie durch den EuGH
Der EuGH entschied mit Urteil vom 15. 7. 2010 (Rs. C-368/09, Pannon Gép, DB0362651) in einem ungarischen Fall, dass eine bzgl. des Leistungszeitpunkts fehlerhafte Rechnung, die später nach Aufforderung durch die Finanzbehörde korrigiert wurde, trotzdem zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn die zuständige Behörde die korrigierte Rechnung vor ihrer Entscheidung erhält (vgl. u. a. Slapio, Steuerboard vom 20. 8. 2010). Leider setzte sich der EuGH in diesem Urteil jedoch nicht mit seinem früheren Urteil „Terra Baubedarf“ auseinander (EuGH-Urteil vom 29. 4. 2004 – Rs. C-152/02, DB 2004 S. 1080 [Ls.]), in dem er die Rückwirkung für einen anderen Fall, nämlich die erstmalige Ausstellung einer Rechnung ausdrücklich abgelehnt hatte.
Das Urteil löste anfangs Erleichterung, nahezu Euphorie, aus. In Anmerkungen zum Urteil sahen nicht nur Berater, sondern auch ehemalige bzw. aktuelle BFH-Richter (vgl. Wagner, UVR 2010 S. 311 bzw. Wäger, DStR 2010 S. 1478 f.) dieses als wegweisend an und entnahmen ihm, dass auch für deutsche Zwecke nun eine rückwirkende Berichtigung von Rechnungen möglich sei. Die damit einhergehenden Vereinfachungen für die Praxis wurden begrüßt. Lediglich Folgefragen, wie z. B. Mindestanforderungen an die gegenständliche Rechnung zur Abgrenzung zwischen Ergänzung bzw. Korrektur einerseits und erstmaliger Ausstellung einer Rechnung andererseits, schienen noch offen.
Anschließend Ernüchterung durch die FG
In der Folge beschäftigten sich verschiedene FG in zwei Urteilen und in mehreren Beschlüssen im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Berichtigung von Rechnungen und etwaigen Auswirkungen des EuGH-Urteils. Etwas überraschend entschieden sie entsprechend der bisherigen deutschen Praxis (vgl. u. a. Niedersächsisches FG, Urteil vom 25. 10. 2010 – 5 K 425/08; Rev. anh. beim BFH unter Az. XI R 41/10). Begründet wurde dies damit, dass das EuGH-Urteil nur einen ungarischen Sonderfall betroffen habe und der EuGH nicht von seiner Entscheidung „Terra Baubedarf“ habe abweichen wollen, da er diese in seinem neuen Urteil nicht erwähnt habe. Diese Auslegung des EuGH-Urteils ignoriert leider die mögliche Unterscheidung zwischen erstmaliger Ausstellung („Terra Baubedarf“) und Korrektur („Pannon Gép“) einer Rechnung, die es dem EuGH – auch ohne Eingehen auf sein früheres Urteil – ermöglicht, von einer Rückwirkung auszugehen.
Auch die Finanzverwaltung hält weiter an ihrer bisherigen Auffassung fest (u. a. OFD Magdeburg, Verfügung vom 3. 11. 2011 – S 7300-123-St 244).
Angesichts dieser Entwicklung sollten weiterhin (größere) Eingangsrechnungen genau auf die Einhaltung der formalen Rechnungsanforderungen geprüft werden und bereits von der Finanzverwaltung beanstandete Rechnungen zeitnah berichtigt werden. Den Leistungsempfänger trifft grds. auch eine Prüfpflicht, hierbei gilt jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Da ihm die Überprüfung von Steuernummer bzw. USt-ID und Rechnungsnummer regelmäßig nicht möglich ist, bleibt in diesen Fällen auch nach Verwaltungsansicht der Vorsteuerabzug i. d. R. erhalten.
Bleibt die Hoffnung auf den BFH
Zwar ist die o. g. Revision nicht beim 5. Senat – dessen Mitglied Wäger sich bereits zum EuGH-Urteil äußerte (vgl. oben) – anhängig, sondern beim 11. Senat, dem anderen der beiden USt-Senate des BFH. Gleichwohl besteht für Stpfl. die begründete Hoffnung, dass das Gericht dem EuGH folgen und die rückwirkende Korrektur – in Abgrenzung zur erstmaligen Ausstellung – einer Rechnung als zulässig erachten wird. Für die Praxis wäre dies ein Segen.
Die Revision wird sich auch mit der Frage beschäftigen, ob eine Verzinsung wenigstens auf dem Billigkeitswege (§ 163 AO) vermieden werden könnte. Insofern empfiehlt sich für die Praxis ggf. ein entsprechender (hilfsweiser) Antrag des Stpfl.
Dem Vernehmen nach ist mit einer Revisions-Entscheidung des BFH in der zweiten Jahreshälfte 2012 zu rechnen. Bis dahin sollten laufende Fälle unter allen Umständen offen gehalten werden, z. B. durch ein Ruhen des Verfahrens unter Verweis auf das anhängige BFH-Verfahren.
(Zitiervorschlag: Reckwardt, Steuerboard DB0474944)